Was tut man, wenn man nichts tut? ... Teil IV ...

Die naechsten zwei Tage verbringe ich damit, die Erkenntnisse zu verarbeiten, die Stille und die Natur zu geniessen, meine Gedanken zu ordnen und meine Meditationstechnik zu verfeinern und vertiefen. Zu Letzterem bekomme ich noch eine ganz besondere Gelegenheit, die mich allerdings auch vor eine neue Herausforderung stellt.

Am Morgen des achten Tages reicht mir Stephanie (unsere fuer die Organisation zustaendige ‚Managerin’) einen kleinen Zettel. Auf dem steht, dass ich ab dem Nachmittag – und fuer den ganzen naechsten Tag – die Moeglichkeit habe, in einer der Zellen in der Pagoda zu meditieren. Die Pagoda ist ein rundes, zweistoeckiges, grosses Gebaeude, das hinter den Unterkuenften liegt. Bisher hatte ich es nur von aussen betrachtet, fand aber es strahlt eine gewisse fast schon majestaetische Ruhe und Kraft aus. Nun also habe ich die offizielle Erlaubnis sie zu betreten. Und das tue ich dann auch. Natuerlich werden die Schuhe draussen gelassen, um dann auf Socken durch die Glastuer hineinzugehen. Am Eingang steht ein kleiner Tisch mit Instruktionen (z.B. wo Kissen zu finden sind und das man seine Zelle nach Benutzung aufraeumen soll etc.). Die Waende weiss und der Boden in dunkelgruen gefliesst, wirkt es dennoch nicht kalt – im Gegenteil. Man mag ja vom Meditieren halten was man will, aber ich erlebe es hier am eigenen Leib, dass eben das Energien freisetzt, die mit keinem Messgeraet ausser dem menschlichen Sinnen zu messen sind.

Im Erdgeschoss sind die Zellen in zwei Ringen angelegt und schnell habe ich die meine gefunden. Und wenn ich Zellen sage, dann trifft das durchaus zu. Ein Raum – kuchenstueckfoermig – vielleicht 3 m hoch, die Grundflaeche 2.5 m Seitenlaenge und 1.5 – 2 m breit. Kein Fenster und eine Tuer, die sich ziemlich lichtdicht schliessen laesst. Ich besorge mir ein Kissen, oeffne die Tuer, mache Licht an und trete ein. Hm, ich weiss ja nicht. Meine leichte klaustrophobische Veranlagung will an die Oeberflaeche sprudeln, aber ich ringe sie fuer den Moment erfolgreich nieder. So jetzt bin ich mal hier, setze mich und mache das Licht aus. Es ist fast stockdunkel (ausser einem kleinen Streifen Helligkeit, der unter der Tuer durchscheint) und still. So still, das eben diese Stille schon fast in den Ohren droehnt. Ich lehne mich an die Wand, schliesse die Augen und atme ruhig. Etwas, dass ich nur unzulaenglich mit dem Wort „Frieden“ beschreiben kann, nimmt mich in seinen Bann. Doch leider haelt dies nicht sehr lange an. Nach ca. 20 Minuten faellt mir das Atmen schwerer und immer wieder draengen sich Gedanken hoch, dass jemand die Tuer von Aussen abschliesst und ich nicht mehr rauskommen. Ich fange an, auf Schritte zu lauschen – die natuerlich nicht da sind. Ich rede mir gut zu, dass das Einbildung ist, aber nur der Verstand hoert zu. Das hilft dem aufsteigenden Gefuehl der Beklemmung wenig. Immer wieder kommen mir Woerter wie Einzelhaft und Folter in den Sinn und letztlich gebe ich auf. So leise wie moeglich – um die Meditierenden in den anderen Zellen nicht zu stoeren – packe ich die Kissen zusammen, oeffne leise die Tuer und bin sehr froh, als ich endlich draussen im Sonnenschein stehe und wieder richtig atmen kann .... als wir am letzten Tag wieder reden duerfen, hoere ich von anderen, das es ihnen aehnlich ergangen ist. Die aelteren Studenten – also die, die nicht zum ersten Mal hier sind – meinen es wird mit jedem Mal einfacher. Nun gut, so besteht Hoffnung ...

Fuer jetzt nutze ich die Zeit die mir bleibt auch noch mal zur Selbstbeobachtung. Fasziniert faellt mir auf, um wieviel langsamer ich esse, mich bewege, mich umschaue, ja sogar denke. Intensiver. Ich nehme mir fest vor, davon etwas mit in meinen doch oft eher hektischen Alltag zu nehmen und hoffe das es klappt.

Der abendliche Kurs gibt mir auch immer mal wieder eine Denkaufgabe. Ich habe schon vor langer Zeit lernen duerfen, das bei solchen Seminaren, nicht immer alles fuer jeden zutrifft, ankommt, oder gar Zustimmung findet. Das ist auch gut so. Was fuer mich ein wichtiger Satz ist, ist fuer andere vielleicht das, was sie ueberhoeren. Was fuer mich unlogisch oder unreal erscheint, ist fuer eine andere Schuelerin der Satz, der ihr Leben veraendert. Und das ist auch gut so!

Zum Beispiel, stoert es mich persoenlich, wenn behauptet wird, das Vipassana als er einzig richtige Weg beschrieben wird, ein glueckliches Leben fuehren zu koennen. Und wenn ueber andere Sekten, Religionen, Meditationstechniken gesagt wird, dass die doch keine Ahnung haben, es falsch machen oder sie sind gar kontraproduktiv. Ich bin der Meinung es gibt immer mehr als einen Weg. Denn so verschieden die Menschen sind, so verschieden ist auch ihre Herangehensweise daran, die Persoenlichkeit zu verbessern.

Was mir gefaellt die Einstellung zum Thema „Vergaenglichkeit“. Alles vergeht, nichts ist permanent, darum macht es auch keinen Sinn, sich nach etwas zu sehr zu sehnen oder eine Abneigung zu haben. Es bleibt so oder so nicht. Und dies hier auf einem physischen und psychischen Level zu lernen, ist ein Geschenk, das mir – so empfinde ich es – wieder ein Stueck mehr innere Freiheit gibt.

Der zehnte Tag bricht an und als ich aufstehe bin ich schon sehr neugierig darauf, wie es wird. Ab heute duerfen wir ja wieder sprechen. Nicht sofort, aber spaeter am Tag.

Der Himmel ist strahlend blau und es scheint ein schoener Tag zu werden. Ich freue mich darueber. Am Morgen ist es allerdings noch ziemlich kuehl, da es in der Nacht wieder gefroren hatte. So ziehe ich mich warm an, bevor ich mich auf den Weg zum Fruehstueck mache. Ab morgen werde ich dann auch wieder ‚Strassenkleidung’ tragen – hier bin ich jetzt 10 Tage lang in bequemer, legerer Sportkleidung rumgelaufen.

In den morgendlichen Meditationsstunden, lernen wir einen ‚Anhang’ an die praktizierte Meditationstechnik. Bisher fokkussierte sich die Aufmerksamkeit ganz auf den eigenen Koerper, das eigene Empfinden, das Ich. Nun erfahren wir, wie wir die so gesammelte Energie auch nach aussen weitergeben koennen. Es hier zu beschreiben wuerde dem nicht gerecht werden, wie es funktioniert, darum versuche ich es gar nicht erst. Aber jetzt verstehe ich unter anderem warum ich, an dem Tag als es mir so schlecht ging und ich in die Meditationshalle kam, das Gefuehl von positiver Energie hatte, die mich umhuellte und beschuetzte.

Und dann ist es soweit. Offiziell verkuendet der Assistant Teacher, dass nun die Zeit des Schweigens vorbei ist. Dennoch sagt keiner ein Wort, als wir die Halle verlassen. Und auch auf dem Weg zur Unterkunft. Ich merke, es ist auch gar nicht so einfach, wieder Worte zu finden. Mir persoenlich ist ueberhaupt nicht wirklich nach reden zumute. Das finde ich sehr spannend.

Vor dem Gebaeude in der Sonne stehen Stuehle und zwei Baenke und ich setze mich. Eine der schwangeren jungen Frauen sitzt schon dort und sie ist die erste, die das Schweigen bricht: „Bin ich froh, das wir nun wieder laut sprechen duerfen.“ Ich pflichte ihr bei und bin sehr erstaunt wie seltsam meine eigene Stimme in meinen Ohren klingt.

Doch ist der Damm einmal gebrochen, fliesst das Wasser – oder besser in diesem Fall die Worte. Und es tut so gut sich ein wenig auszutauschen, ueber das was wir in den letzten Tagen erlebt haben. Endlich die Namen derjenigen zu erfahren, die mit mir – und doch weit weg - diese intensive Zeit durchmachten. Ich stelle fest, das Vieles – wenn nicht gar das Meiste, was ich mir so im Kopf von den wenigen Blicken auf die Mitstudenten zusammengereimt hatte, nicht stimmt. Die Lebensgeschichten die zum Vorschein kommen sind wie das Leben eben, vielfaeltig. Die schwangere Katy – von der ich annahm, sie haette das hier voll im Griff und sei eine ernste Person – ist aeusserst lebenslustig, mit einem Millitaeranwalt verheiratet und gesteht, sie ist froh dass es vorbei ist. Eine junge Inderin aus Dubai, die schon zum zweiten Mal den Kurs macht, sagt es ist jedesmal anders. Ueberhaupt, geht es ziemlich international zu, eine Russin (Olga, natuerlich), die Franzoesin (Marie-Laure) die in Hawaii lebt, eine Weltenbummlerin aus Arkansas, die erst vor wenigen Monaten durch Mauretanien reiste, usw.

Und was fuer ein Unterschied es macht, wenn man reden darf! Ploetzlich lauter laechelnde Gesichter (waehrend der Schweigetage sehen alle ernst aus und wie ich finde ein wenig gestresst – jetzt die Erloesung sozusagen), schwatzen, lachen. Eine fast andere Welt!
Allerdings stelle ich fest, es ist auch ganz schoen anstrengen und so mache ich nach dem Mittagessen meine uebliche Spazierrunde durch das Gelaende. Alleine und in Ruhe.

Nachmittags gibt es eine Meditierstunde, in der ich mich allerdings in keinster Weise auf mich konzentrieren kann. In meinem Kopf schwirren Stimmen und dazu Gedanken zu all dem, was ich von den anderen gehoert haben. Jetzt verstehe ich erst wirklich, warum das Schweigen in den neun Tagen so wichtig ist! Duerften wir reden, waere das Ergebnis zwar nicht null, aber die Wirkung der Technik waeren nur halb so effektiv. Eine interessante Erkenntnis.

Nun duerfen die Frauen theoretisch auch wieder mit den Maennern reden, wovon ein paar – die zusammen angereist sind – auch Gebrauch machen. Aber nur in dem Gemeinschaftsbereich. Es wird weiterhin getrennt gesessen, gegessen und meditiert. Spaeter gibt es noch ein Meeting, um die Organisation und den Ablauf der verbleibenden Zeit zu besprechen. Auch werden ‚rideshares’ – also Mitfahrgelegenheiten – vermittelt. Ich finde jemanden der mich bis Huntsville mitnimmt, was Helmut ein paar Stunden Autofahrt erspart. Ich habe zwar kein Handy dabei, aber darf das Telefon im Haus benutzen um ihn kurz anzurufen und Bescheid zu geben.

Waehrend des Abendessens wird natuerlich auch viel geredet und es wird mir fast zu laut in dem kleinen Raum. Ich merke dass dann auch in der anschliessenden Meditationsstunde, dass es schwer faellt abzuschalten. Durch das „viele Reden“ den ganzen Tag bin ich ganz wirr im Kopf. Und sehr muede, habe Schaedelbrummen. Aber in wenigen Minuten wird dann hoffentlich auch im Flur vor meinem Zimmer – wo noch ein paar „Maedels“ stehen und schwatzen – Ruhe sein.

Tag elf beginnt um 4 Uhr mit aufstehen. 4.30 dann Pflichtprogramm, erst Chanting, dann der letzte Kurs und noch eine halbe Stunde Meditation, bevor es Fruehstueck gibt. Anschliessend beginnt das grosse Aufraeumen und putzen, zum Einen im eigenen Zimmer und zum Anderen in den gemeinschaftlich genutzten Bereichen. Es klappt hervorragend.

Gegen 9.00 Uhr fahren Hian und ich los. Nun bin ich doch ein klein wenig wehmuetig, dass die Zeit hier vorbei ist. Doch auch froh, nun wieder in die Welt entlassen zu sein. Es kommt mir vor, als haette ich mich fuer Wochen hier auf diesen wenigen Quadratmetern aufgehalten.

Die 2 ½ Stunden dauernde Fahrt bis Huntsville vergeht allerdings wie im Flug. Dort treffen wir Helmut und natuerlich die Hundies, die erstmal voellig ausrasten. Eine Stunde spaeter sind wir dann in der Kathy Lane. Es ist schoen wieder zuhause zu sein!

Doch noch lange klingt die Erfahrung der Stille und das In-mich-hineinsehen in mir nach.

Was tut man wenn man nichts tut? ... Teil III

Ich sprach nicht mit der Lehrerin, aber ich reiste auch nicht ab. Mir wurde sehr bewusst, dass es eine wichtige Stufe auf der Leiter zum naechsten „Level“ ist. Was waere das Leben denn ohne neue Erfahrungen, auch wenn diese nicht immer besonders angenehm sind. Denn genau daran wachsen wir doch. Ich dachte an meine Wanderung, da hatte ich auch ganz schoene Durchhaenger. Dort sagte ich mir, heute laufe ich mal ein paar Kilometer und morgen sehe ich weiter. Ganz im Augenblick. Der Unterschied ist, dass ich auf der Wanderung, wenn ich einen solchen Durchhaenger hatte, die Moeglichkeit hatte z.B. mit Helmut zu telefonieren. Der hat mich dann aufgemuntert. Hier bin ich mit mir alleine, aber ich erkenne, das ist gut so!
Mir fiel noch eine Parallele zu meiner Pilgerreise auf, meine Traeume sind auch hier sehr intensiv. Fast noch realistischer gewisser Weise oder genauer gesagt, sie scheinen mehr mit der Realitaet zu tun zu haben. Vielleicht einfach, weil ich hier eben keine Ablenkungen habe und sich die Welt des Moments einfach nur um meine ureigene Achse dreht. So kommen dann auch die Bilder nur aus mir selbst heraus, bezugnehmend auf die Dinge die mich bewusst oder unbewusst beschaeftigen.

Zum Beispiel traeumte ich zwei Naechte hintereinander davon, dass ich ein „Ermittler“ sei. Im Traum war es natuerlich ein wenig konfus, aber als ich hinterher daruber nachdachte, machte es durchaus Sinn. Ich meine, die „Arbeit“ die ich hier tue ist auch eine Art ‚Ermittlung’; ich finde etwas heraus – ueber mich.

Oder (in Kurzfassung) ich traeumte, dass ich auf eine Party ging. Diese hatte das Motto schwarz/weiss, aber davon wusste ich nichts. Also kam ich mit einem knallbunten Kleid an. Sofort fuehlte ich mich komplett fehl am Platz und gab dem Gastgeber die Schuld, mich nicht richtig informiert zu haben .... Als ich nach diesem Traum aufwachte, fiel mir ein, was in mir vorging als ich die Broschuere des Vipassana Meditation Retreat Centers gestern noch mal durchgelesen hatte (dieselbe, die ich schon online mindestens zwanzig mal studiert hatte). Naemlich, das es mir schien, als stuenden nun Dinge drin, die vorher nicht dort standen. Was natuerlich nicht stimmt, ich habe sie aber wohl nicht so sehen wollen. Ich hatte ein Vorstellung von dem was mich hier erwartet und eben diese habe ich dort heinein gelesen (hatte im Traum das Kleid fuer die Party gekauft, ohne mal nachzufragen, ja sogar ohne es vorher anzuprobieren ...) ...

Nun, es kam Tag sieben. Und mit diesem Tag mein persoenlicher ‚Durchbruch’: ich glaube ich war noch nie oder sehr selten in meinem Leben so ich.

Meditationshalle
Bevor die morgendliche Meditationsstunde began, stand ich noch einen Moment am Pond und liess den Wind durch mich durchblasen. Ich genoss einfach den Moment, der – wie mir nun auch gefuehlsmaessig klar wird – nie wieder kommt. So verharrend, kamen mir Textstuecke des Songs ‚Unwritten’ in den Kopf: <> … und mir stiegen die Traenen in die Augen. Aber es waren willkommmenen Traenen, da mir bewusst wurde, nicht im Verstand, sondern im Gefuehl: Alles ist gut! Und – so abgedroschen dies auch klingen mag – als die Sitzung begann, fuehlte ich mich „eins“ mit mir und meiner Welt. Ploetzlich erkannte, fuehlte, ich meinen Weg. Den, den ich schon zurueck gelegt hatte. Wie weit ich doch schon gekommen bin; und der Weg, der vor mir liegt, vieles noch im Dunkeln aber trotzdem klar erkennbar. Was ich tun moechte in Zukunft ... So klar stand es vor mir, dass ich es anfassen konnte. Dann dieser jetzige Moment – vergaenglich wie alle, aber wichtig – ich bin. Und dann wusste ich, das ich aus meinem Schatten getreten bin.

Und meine Rueckenschmerzen? Wie weggeblasen. Reinigung, Kartasis, Synthese. Jetzt verstehe ich was damit gemeint ist!

Nein, ich behaupte nun nicht ich bin erleuchtet und ich werde auch kein Buddhist. Und nein, ich bin immer noch kein Fan von Meditation – obgleich ich es faszinierend finde und inzwischen noch viel mehr Respekt davor habe (vor allem vor der Vipassana Technik). Und ich bin jetzt auch nicht ploetzlich ein besserer Mensch. Aber ich denken, glaube – fuehle – ich bin wieder ein ganzes Stueck gewachsen, ich bin ein bisschen eine bessere Wiebke.

Eine gewisse Ruhe oder eher Gelassenheit, trug dazu bei, dass ich nun viel mehr Freiraum hatte. Vor allem in meinem Kopf. Die Gedanken hoeren naemlich nicht auf. Immer noch war ich mit mir alleine und entsprechend viele davon kamen und gingen.

Zum Beispiel als ich meine mittaeglichen Spazierrunde machte (bei der mir zunaechst einmal ganz bewusst auffiel, das ich viel langsamer ging, viel weniger „getrieben“). Ich sinnierte darueber nach, dass ich, wenn ich wieder zuhause bin, wieder arbeiten gehen darf. Und ich weiss, dass ich aufgrund der Personalsituation mehr Stunden haben werde, was prinzipiell ob des besseren Verdienstes ja nich schlecht ist. Und hier? Hier tue ich den ganzen Tag nichts. Welch ein Luxus! Ich sitze auf meinem Baumstamm und beobachte die Natur, ich laufe meine Runden, ich meditiere. Ich schreiben ein wenig, aber ich habe – geniesse – den Luxus des Nichts tun. Und stelle fest, wie schwer das sein kann. Frage mich dann gleichzeitig: warum um alles in der Welt sollte ich hier weg wollen? Vor allem nachdem ich jetzt an dem Punkt bin, wo ich mir einen eigenen Rythmus goenne, ist es doch schon viel besser. Ich meine, keiner „zwingt“ mich hier zu etwas. Natuerlich gibt es Regeln, aber ich fuege mich ja freiwillig der Disziplin. Und solange ich niemanden stoere, stoert es niemanden! Wie sagt der Lehrer: ‚Learning to see things as they are!’ heisst: ich bin jetzt hier und so ist es. Nicht alles passt mir, aber wann im Leben tut es das schon...
Dies brachte mich auch dazu ueber die Tierwelt hier zu philosophieren; z.B. die Wildkatze, die ich gesehen hatte. Sie lebt absolut im Moment. Sie denkt nicht an das Jagen oder Faulenzen von gestern oder an das Jagen und Faulenzen von Morgen; sie lebt jetzt und „denkt“ an das Jagen und Faulenzen jetzt.
Oder der Erpel, der hier am Teich wohnt. Vorhin beobachtete ich ihn, wie er sich das Gefieder putzte. Bestimmt 15 Minuten lang und er liess sich durch nichts dabei stoeren. In dem Moment gab es scheinbar nichts wichtigeres als das ... beneidenswert.
Beneidenswert sind auch die Schildkroeten. Sie koennen den ganzen Tag ueber regungslos in der Sonne sitzen. Stillsitzen. Der Mensch bemerkt es im Normalfall nicht, aber im Prinzip sitzt man nie wirklich still. Das Unterbewusstsein reagiert auf bestimmte Reize (z.B. Jucken) ganz automatisch. So ist es nicht verwunderlich, wie schwer es einem Menschen faellt, tatsaechlich still zu sitzen. Will sagen, ohne auf diese Reize zu reagieren. Man wuerde meinen eine Stunde sei nicht viel, doch sie kann ziemlich endlos werden. Wer mag kann als kleinen Selbsttest einmal versuchen 10 Minuten vollkommen still zu sitzen. Nur atmen und schlucken, sonst nichts. Ausser man ist passionierter Meditierender, werdet ihr feststellen, das ist gar nicht so einfach. Und dann das mal sechs multiplizieren ...

Nun, mir faellt es inzwischen wirklich wesentlich leichter, auch die Konzentration, das Fokkussieren auf die Technik. Nicht immer, aber es ist gut, das im Tagesablauf feste ‚Uebungsstunden’ sind. Ansonsten ist es naemlich mit meiner Disziplin nicht so weit her.

Aber – zu meinem Trost – bemerke ich, dass es auch anderen nicht immer leicht faellt, still zu sitzen. Waehrend wir in der Halle sind, hoert man – da ja sonst keine Geraeusche sind - immer wieder, wie jemand seine Sitzposition veraendert. Nun, Goenka sagt, man soll sich nicht mit den anderen Studenten vergleichen. Da wir nicht reden und uns auch nicht beachten sollen, ist das nicht schwer. Gleichwohl man die anderen dennoch wahrnimmt, ich zumindest. Aber, ich fuer mich, beneide keinen von ihnen. Weiss ich doch, dass jeder sein Paket zu tragen hat. Ich stelle fuer mich fest, es ist wie immer, wenn ueberhaupt, bin ich selber mein groesster Feind.

Auch dies sagt Goenka: ... nur Du alleine kannst Deinen Weg gehen. Das macht schon auch klarer – fuer mich nun fuehlbarer – was er meinte mit: wenn Du nur um Erleuchtung betest, wird nichts passieren; Du musst selbst die Erfahrung machen, es kann nicht von aussen kommen ... Und wenn es mal nicht klappt, sei nicht verdrossen darueber. Nichts ist wie es bleibt. Alles ist permanent im Fluss und verwandelt sich. Das Leben ist kein in Stein gemeisseltes Wort, das unabaenderlich waere. Nein, es fliesst und veraendert sich stetig. Alles ist vergaenglich im positiven Sinn. Annicca! Darin liegt viel Trost und Hoffnung. Die erlebte Erkenntnis dessen, das alles vergaenglich ist, fliesst, legt mir einen Tuch von Gelassenheit um ....

Ich fuehle mich „erschoepft“ im Sinne von etwas geleistet und „belebt“ im Sinnen von Erkenntnis zugleich.

... Fortsetzung (letzter Teil – wie ich wieder sprechen lernte) folgt ...

Was tut man wenn man nichts tut? ... Teil II

Als ich am naechsten Morgen aufwachte, ging es mir schon wesentlich besser. Der Magen hatte sich beruhigt und die Kopfschmerzen waren weg. Jetzt kann ich mich endlich auf das konzentrieren, warum ich hier bin – so dachte ich.
das 'Dhama-Rad'

Der Tag selber war schon fast Routine. Da man keine wirkliche Ablenkung hat, stellt sich diese sehr schnell ein. Der Stundenplan wird strikt eingehalten und Disziplin ist ein Teil der Methodik und wie ich spaeter feststelle auch sinnvoll – zumindest bis zu einem gewissen Grad. Sie strukturiert den Tag, in den man ansonsten nur so hineinleben wuerde.

Am dritten Tag fand ich dann auch endlich eine gute Sitzposition, naemlich mit Meditationsbank. Das ist ein kleiner sehr niedriger Hocker, unter den man die Beine sozusagen drunterfaltet. Dann noch ein Kissen unter die Knie und ich konnte fast schmerzfrei sitzen. So hatte ich dann auch eine richtig gute Meditationsstunde und war mir sicher, jetzt habe ich den Dreh raus. Aber mir wurde bald klar, dass es nicht unbedingt an der Sitzposition liegt, ob eine Session gut oder schlecht ist.

Wenn man jemanden fragt, wieviel Zeit er / sie mit sich selber verbringt, was waere wohl die Antwort? Bis vor wenigen Tagen haette ich steif und fest behauptet 24 Stunden pro Tag! Jetzt stelle ich fest, dass dies alles andere als wahr ist. Die allermeiste Zeit stehen wir mindestens einen Meter neben uns, alleine durch die konstante Ablenkung. Natuerlich sollte man sich bei der Arbeit auf eben jene konzentrieren, ebenso beim Autofahren und dergleichen. Auch ist es sehr hoeflich im Gespraech mit anderen Menschen, diesem einen guten Teil seiner Aufmerksamkeit zu schenken. Doch all dies fuehrt dazu, dass man nicht wirklich bei sich ist ....

Hier nun, ist keine dieser Ablenkungen vorhanden. Kein Radio oder Fernsehen, man braucht weder arbeiten noch redet man (die Mitstudenten sollten ja moeglichst ignoriert werden) und man wird mit allem Noetigen (z.B. Essen) versorgt ohne sich grossartig darum kuemmern zu muessen. Einzig die Natur bietet eine kleine Abwechslung. Aber die Gedanken hoeren auch dort nicht auf. Sprich, man spricht fast ununterbrochen mit sich selbst.

Ich ueberlege mir, dass wenn ich schreibe, dies im Prinzip auch als reden gilt, oder? Ich unterhalte mich mit mir selber. Ob dies dann auch als Ablenkung gilt? Ich persoenlich finde nicht, denn es ist ja wichtig, zu schauen, was mit mir passiert, waehrend ich hier bin und meditiere. Und schreibenderweise gelingt mir dies nun mal meist am Besten.

die Unterkunft der Frauen

(die Fotos habe ich selbstverstaendlich
nicht selbst gemacht - no cameras allowed -
sondern der Webseite des DhammaSiri
Centers entliehen)
Am Tag drei ist die Technik ein wenig verfeinert worden. Ich verstehe langsam auch besser worum es geht. Naemlich darum, dass wir aufmerksam auf unser Unterbewusstsein werden. Ich erhebe hier nicht den Anspruch, dass ich alles so wiedergebe, wie es auch gemeint ist. Ich beschreibe es so, wie es bei mir ankommt. In einfachen Worten: wie oft geschieht es, dass es mich irgendwo juckt und ganz automatisch kratze ich mich – ohne bewusst darueber nachzudenken. Hier nun, wenn ich fuer eine Stunde stillsitze und die „Empfindungen“ in meinem Koerper beobachte, veraendert sich etwas. Ich spuere z.B. dass es mich am Bein juckt. Ich beobachte dann genau diese Stelle mit einer sehr gleichmuetigen Einstellung: ah, da juckt es jetzt, na und? .. und das Jucken geht von ganz alleine weg. Dies bewusst zu realisieren hat zwei Auswirkungen. Die eine ist, dass einem klar wird, dass nichts von Dauer ist. Dies in der Theorie zu wissen ist ja gut und schoe, aber es physisch am eigenen Leib zu erleben, vertieft die Erkenntnis um ein Vielfaches!

Die zweite Auswirkung ist, dass ich durch das bewusste nicht kratzen (ich benutze das „Jucken“ an sich als Beispiel, denn es kann auch ein Kitzeln oder auch Schmerz sein), loese ich sozusagen die unbewusste Handlung auf. Lasse mich also nicht unkontrolliert handeln. Wenn nun genau dieser Mechanismus – naemlich Handlungen aus dem Unterbewusstsein in das Bewusstsein zu bringen – durchbrochen wird, kann ich dies auch auf viel komplexere Bereiche ausweiten. Beispiel: wenn jemand etwas Unschoenes zu mir sagt, reagiert mein Unterbewusstsein automatisch mit ‚Abwehr’ und Gegenreaktion. Negative Gefuehle, die bewirken, dass es mir schlecht geht. Lasse ich meinem Unterbewusstsein aber nicht diese Freiheiten, sondern durchbreche den Automatismus, so kann ich, wenn jemand etwas Unschoenes zu mir sagt, viel bewusster reagieren und z.B. sagen: oh, der hat einen schlechten Tag, aber das geht vorbei. Ich muss deswegen nicht auch schlecht drauf sein ...

So in ungefaehr verstehe ich die Theorie der Technik. Und wenn dies funktioniert, ich mir das verinnerlichen kann ... ein ganz neues Lebensgefuehl wuerde entstehen ... Allerdings, das Ganze in die Praxis umzusetzen ist natuerlich nicht ganz so einfach und erfordert ziemlich viel Uebung.

Aber darum war ich ja hier. Doch schnell merkte ich, dass dies viel Bereitschaft voraussetzt. Und mein Gehirn / Geist zeigte sich nicht immer kooperativ dabei. Es ist Tag vier und die morgendliche Sitzung war fast schon grausam schwer. Ich schaffe es nicht mich zu konzentrieren, fokkussieren. Mir tut alles weh von der ungewohnten Sitzerei und meine Gedanken fahren Achterbahn. Ich habe einen Moment in dem ich mich ernsthaft frage, wie ich auf die bloede Idee kommen konnte, mich fuer dieses Retreat anzumelden. 10 Tage meditieren? Ich haette ja nicht mit einem zwei Tage Probekurs anfangen koennen, oder etwas aehnlichem? Nein immer gleich in die Vollen .... Waehrend der Lehrer redet (vom Band) ist es ganz gut. Da hoere ich die Stimme und befolge auch die Anweisungen. Aber dann wenn es ruhig ist, kommt es mir vor, als versage ich komplett. Es scheint mir, allen anderen faellt es leicht, die sitzen still da und meditieren (so sieht es aus) und ich hampel hier um und kriege es nicht hin. Doch ich versuche mich damit zu troesten, dass ja schliesslich noch kein Meister vom Himmel gefallen ist.

Ich bin mir schon sehr bewusst darueber, dass ein Teil der Ursache meines nicht ganz so guten Befindens natuerlich nicht wirklich nur die ungewohnte Sitzerei ist und auch nicht das Meditieren als Technik an sich. Es ist – um nochmal darauf zurueck zu kommen – die Tatsache, dass ich nun ploetzlich 24 Stunden mit mir alleine bin. Keine Ablenkung in irgendeiner Form. Und durch die Uebungen, in Bereiche des Unterbewusstseins vorzudringen, kommen ja nicht nur Automatismen zum Vorschein, sondern auch dort vergrabene Gefuehle! Das ist so, als wenn man in der Wueste ein Loch graebt und dann bildet sich ploetzlich tief unten im Sand eine kleine Pfuetze. Und wenn man noch ein wenig weitergraebt, wird es ein wenig mehr Wasser und man sieht wie die Oberflaeche erst welllig wird und dann wie es in der Mitte zu sprudeln beginnt. Und von diesem Sprudeln in der Mitte gehen die Kreise bis an den auessersten Rand der nun groesser werdenden Pfuetze ...

Es ist immer noch der vierte Tag und die Nachmittagssitzung hatte es wirklich in sich. Erst eine Stunde normales meditieren (wie wir es die letzten Tage praktiziert haben). Dann gab es eine kurze Pause und dann kam eine ca. 90-minuetige Sitzung in der wir die eigentliche Vipassana-Technik lernten. Jetzt werden nicht mehr nur die Empfindungen im Nasenbereich beobachtet, sondern am ganzen Koerper. Es kostete mich schon einige Muehe mich fuer so lange Zeit zu konzentrieren, aber ich schaffte es, auch in den naechsten Sitzungen; wenn schon nicht immer intensiv zu meditieren, so dennoch still zu sitzen.

Und dann kam Tag sechs. Angefangen hatte er mit einem positivem Erlebnis am Vormittag. Direkt vor der Unterkunft der Frauen befindet sich ein Teich. Da Wasser ja sowieso mein Element ist und hier an dem Pond zu meiner Freude auch Schildkroeten wohnten, hatte ich schnell meinen Lieblingsplatz gefunden, ein Baumstamm mit Blick auf eben das Gewaesser mit all der wilden Natur da rum. Und da – nach einem Regentag – nun das Wetter wunderbar mild war, die Sonne schien, hatte ich es mir dort bequem gemacht. Alle anderen waren in ihren Zimmern oder in der Meditationshalle und ich war alleine.

Ich sitze also da am Pond und gruebel vor mich hin, als es rechts von mir im Gebuesch raschelte. Ich vermutete erst ein paar Voegel, die es hier ziemlich zahlreich gibtb. Aber irgendwie war es mehr. Also Squirrles (texanische Eichhoernchen), auch davon waren hier genug unterwegs. Doch auch dafuer schienen mir die Geraeusche zu laut und als ich in die Richtung blickte, schaute ich direkt in die Augen einer Wildkatze (in Texas heissen diese Bobcat). Im allerersten Moment setzten Herz und Atmung aus. Natuerlich war sie nicht so gross wie etwa ein Puma, aber doch um einiges groesser und kraeftiger als eine gewoehnliche Hauskatze. Das Fell grau-braun meliert, mit kurzem Schwanz und einem kraeftigen Koerperbau. Mit gelb-schwarzen Augen sah mich kurz an (ich war inzwischen aufgestanden um sie besser zu sehen und – ganz ehrlich – notfalls schneller fliehen zu koennen), drehte sich dann um und spazierte an mir vorbei, am Haus entlang, um sich dann ca. 10 m weiter hinzusetzen und aufmerksam in den Wald hinter dem Gebaeude zu schauen.
Irgendwann hatte sie wohl etwas entdeckt und sprang davon. Wow! Ich habe selten etwas so elegantes gesehen, oder gar ein Lebewesen das eine solche Ruhe ausstrahlt! Und sie schien ueberhaupt keine Angst zu haben. Faszinierend.

Weniger faszinierend dagegen war meine Verfassung. Koerperlich plagten mich Kopfschmerzen und eine ungute Verdauung, aber damit haette ich ja noch leben koennen. Unangenehmer war der seelische Zustand. Und im Laufe des Mittags wurde es immer schlimmer. Meine Gedanken fingen an sich um die Ueberlegung zu kreisen, noch heute mit der Lehrerin zu sprechen und ihr zu sagen „ich gehe“ und dann Helmut anrufen, dass er mich spaetestens morgen abholen soll. Natuerlich fiel mir – als „Wie kann ich mein Leben verbessern“-Hoerbuch-Veteran sofort der Spruch ein: A Winner never quits and a Quitter never wins! Aber: man dh. frau dh. ich kann sich doch auch mal geirrt haben und diesen Irrtum dann zugeben, oder? Ich meine, warum soll ich mich noch vier Tage quaelen? Okay, Helmi wird es wohl eher nicht gefallen, weiss ich doch, dass er ein Projekt am Laufen hat waehrend ich weg bin. Aber ich kann mich doch nicht immer danach richten, was anderen passt oder nicht ... mein Gedankenschlitten war ausser Kontrolle und auf einen schwarzen, eisigglatten Emotionsgletscher geraten und bewegte sich langsam, aber unhaltbar in Talrichtung ... Tiefe Krise. Mir kam dann kurz der Gedanke, oder besser die Befuerchtung, wenn ich all das anleiere – also mit der Lehrerin reden, Helmi anrufen, usw. – ich mich hinteher auch elend fuehle, weil ich versagt habe. Eine Zwickmuehle!
Je mehr Minuten verstrichen, je konfunser wurde ich. Und es war niemand da, dem ich es mitteilen konnte. Ich musste – zumindest in dem Moment – damit fertig werden. Eine Entscheidung treffen. Wieder die ernsthafte Ueberlegung morgen abzureisen. Auch ein Spaziergang nach dem Mittagessen und ein Powernap (20 min schlafen) halfen nicht. Es ging mir nicht besser. Kopfschmerzen, der Magen krampfte sich zusammen.

Dachte dann, okay, ich gehe in die Nachmittagssitzung und anschliessend treffe ich eine Entscheidung. Doch soweit kam ich dann gar nicht, denn auf dem Weg von der Unterkunft zur Meditationshalle fiel die Krise ueber mich her, als haette mir jemand einen Eimer Wasser ueber den Kopf geschuettet. Ich kann das nicht, ich will weg! So wartete ich auf dem Weg dorthin auf unsere zustaendige Ansprechpartnerin (eine sehr junge Frau, ich schaetze japanischer Abstammung, die fuer Organisation etc. zustaendig war). Ich sagte ihr (mit noch) fester Stimme: Ich will morgen abreisen! Allerdings muss ich schlecht ausgesehen haben, denn sie fragte gleich ob alles okay ist? Das war zuviel! Nein, nichts ist in Ordnung! ... meine Stimme nur noch ein heiseres Fluestern zwischen den aufsteigenden Traenen. Ich bin normalerweise nicht so nah am Wasser gebaut, aber jetzt ... All die tollen Saetze, die ich mir zurecht gelegt hatte – weg! Klasse. Ich versuchte ihr dann zu erklaeren, dass dies alles hier einfach nichts fuer mich sei, das ich fehl am Platz bin. Sie sagte sehr ruhig, dass es ihr beim ersten Kurs ebenso ergangen sei. Immer noch mit erstickender Stimme stammelte ich, dass mir das jetzt nicht wirklich nuetze. Ihr naechster Satz allerdings traff mich: It is not at all what you expected, right? (es ist nicht was Du erwartet hast). Nein, wirklich nicht! Sie fragte mich dann, ob ich mit der Lehrerin sprechen moechte und ich sagte, mit traenenverschleiertem Blick auf die Uhr, dass jetzt ja erstmal Meditationsstunde sei. Ob ich dort teilnehmen koennte? Ja, ich versuche es. So bin ich in die Halle. Und eine positive Energiewelle empfing mich. Ich setzte mich auf meinen Platz und beruhigte mich. Es dauerte eine Weile, aber ich hatte ploetzlich wieder das Bild der Wildkatze – elegant, ruhig, furchtlos – vor Augen und das half. Als sich der Tornado in meinem Kopf dann ausgetobt hatte, konnte ich auch wieder einen klaren Gedanken fassen (wobei das Stillsitzen und die allgemeine Versunkenheit der Meditierenden ihren Teil beitrugen). Ich ueberlegte mir, dass wenn ich mit der Lehrerin spreche, sie mir bestimmt sagt „versuche es doch noch einen Tag lang“ und „ das was jetzt passiert, ist der Reinigungsprozess, all die alten Dinge sprudeln an die Oberflaeche“ ... usw. Trotzig wie ich bin, antwortete ich mir: Das weiss ich ja selbst! Doch neben dem Trotz hatte auch eine ganz vernuenftige Stimme Platz und die sagte: dies waere kein guter Zustand nach Hause zu fahren, ich sollte erstmal wieder meine sieben Sinne sammeln. Ich glaube ich beginne die Geschichte mit der Reinigung zu verstehen. Und dazu dient das Schweigen, meditieren (allein mit eigenen Gedanken) und die ‚Solitude’, aber auch das Durchwaten eines Krisensumpfes, barfuss und ungeschuetzt. Vielleicht sollte ich doch die vollen 10 Tage bleiben und komme nicht „kaputt“ nach Hause? Doch erstmal heute. Fuer heute ist es gut und morgen, morgen ist ein neuer Tag und ich entscheide dann. Ja, so mache ich das ...

Ich lernte an diesem Tag das wohl wichtigste Wort bis ins tiefste Innere zu begreifen: „Annicca“ (sprich: anitscha) – frei uebersetzt bedeutet es: nichts ist permanent, alles geht vorbei! Auch die Ungewissheit, wie es mir morgen gehen wird ....

.... Fortsetzung folgt ....

Was tut man, wenn man nichts tut? ... Teil I

Diese Frage stellte mir eine Freundin bevor ich mich aufmachte zu einer Reise in die Stille. Wobei eine stille Reise nach Innen – im Nachhinein betrachtet – wohl die passendere Bezeichnung ist.

Wer vor hat selber diese „Reise“ zu machen, sollte diesen Bericht vielleicht nicht lesen um unbeeinflusst und vor allem unvoreingenommen die Welt des Vipassana (‚wiepaschna’ ausgesprochen) fuer sich zu entdecken. Wer schon an einem 10-Tage „Seminar“ teilgenommen hat, liest dies vielleicht und denkt: bei mir war das aber ganz anders. Das liegt in der Natur der Sache, denn so verschieden wir Menschen sind, so verschieden erleben wir auch ein solches Meditationsretreat.

However, dies hier sind meine Erfahrungen, die ich – wie es eben meine Art ist - ungefiltert weitergebe.

Zunaechst einmal die ganz simplen rundherum Tatsachen, fuer diejenigen, die noch nie davon gehoert haben. Vipassana ist keine Sekte oder Religion, lehnt sich aber in vielem an die Lehren Buddahs an, der – so heisst es – auch diese spezielle Meditationstechnik wiederentdeckte. Letzteres ist es, worin man in den 10 Tagen unterwiesen wird, zusammen mit ein wenig Hintergrundwissen.

Vipassana wird von einer sogenannte „non-profit organisation“ gelehrt, Diese Organisation arbeitet rein auf Spendenbasis. Zunaechst einmal kostet einen so ein 10 Tage-Kurs nichts, aber wenn man denkt, dass es eine gute Sache ist, kann man anschliessend eine grosse oder kleine Geldsumme (oder auch seine Arbeitskraft usw.) spenden um anderen Menschen die Moeglichkeit zu geben auch einen solchen Kurs zu belegen. Wer mehr ueber Vipassana an sich wissen moechte, findet dies auf der entsprechenden Webseite (deutsch: http://www.dvara.dhamma.org/dvara_.html?L=1 / englisch: http://www.siri.dhamma.org/ )

Ich selber bin durch eine Freundin darauf gestossen, die im letzten Jahr in Deutschland in dem Retreat war. Es hat mich fasziniert, alleine schon dass man neun von den zehn Tagen nicht spricht oder in irgendeiner Form kommuniziert. Nachdem ich dann feststellte, dass sich nur ca. 3.5 Autostunden von Livingston entfernt ein Meditation Center befindet, stand der Entschluss fest mich der Herausforderung zu stellen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass ich mir zwar sehr im Klaren darueber war, dass es eine solche wird, schliesslich habe ich keinerlei Erfahrung mit Meditation – aber letztlich doch null Ahnung hatte, was wirklich auf mich zukommt.

Das Gelaende des Southwest Vipassana Meditation Center liegt nahe eines kleinen Ortes ca. 40 Meilen suedwestlich von Dallas. Ziemlich weit draussen und es gibt als Nachbarn Weiden mit Longhorns und Koyoten.

Ein Prinzip ist, dass man so wenig wie moeglich mitbringt, um sich so wenig wie moeglich abzulenken. Soll heissen, kein Fotoapparat, kein Handy, selbstverstaendlich gibt es kein TV oder Radio, keine Buecher – das hat mich, wie jeder der mich kennt sich unschwer vorstellen kann - Ueberwindung gekostet – und man soll auch kein Tagebuch schreiben! Ohne Stift und Papier verreisen? Dies nun stellte fuer mich den groessten Pruefstein dar, dachte ich, und brachte es letztlich schlicht nicht ueber mich, mich an diese Regel zu halten. Meine Unterhaltungen mit mir selber fuehre ich nun mal meist schriftlich. Auch habe ich, wenn ich nicht schreibe, das Problem an irgendetwas haengen zu bleiben, aus Angst ich vergesse diesen wichtigen Gedanken. Ich konnte auch nicht wirklich sehen, in welcher Form mich das Schreiben einschraenken sollte, habe allerdings meine Aufzeichnung auf ein absolutes Minimum beschraenkt ...

Ach ja und Maenner und Frauen werden strikt getrennt, nicht nur die „Dorms“  (Schlafhaeuser) sondern auch beim Essen, die Spazierwege usw. Nur in der Meditations-halle sind beide Geschlechter gleichzeitig, allerdings auch hier, Maenner links – Frauen rechts (und jeder hat seinen eigenen Eingang).

So lieferte mich Helmut also am 15.03. im Southwest Vipassana Meditation Center ab. Nachdem ich mich angemeldet hatte, bezog ich mein Zimmer: eine „Zelle“, die schlicht aber aeusserst praktisch eingerichtet ist, mit eigenem WC, Dusche und Waschbecken gleich rechts wenn man reinkommt, ein Regal fuer Klamotten und ein Bett (ich hoerte spaeter, dass die Einzelzimmer „Luxus“ sind und es normalerweise Mehrbettzimmer gibt). Zu meiner Freude gab es ein grosses Fenster, das den Blick nach hinten zum „Wald“ freigab – allerdings nicht zu oeffnen war (wegen der Klimaanlage). Ein paar Stunden im Auto sitzen war anstrengend und so machte ich einen ersten Spaziergang in und um die Gebaeude herum. Ausreichend Platz war vorhanden und ich war sehr gespannt, was da auf mich zukommt.



Zunaechst einmal gab es ein leichtes Abendessen, Lasagne und Salat (ich hielt mich an letzteren) und Tee. Bei diesem ging es noch recht laut zu. Noch durften wir sprechen und die Meisten machten Gebrauch davon. Ein Durcheinander aus Stimmen und Saetzen und ich vermuten, haette man es gemessen, dass der Decibel-Bereich den zulaessigen Hoechstpegel deutlich ueberschritt. Man (das heisst ‚Frau’, denn die Maenner haben wie erwaehnt ihren eigenen Speisesaal) stellte sich vor, unterhielt sich ein wenig darueber, was man hier tat und es war allgemein eine gewisse nervoese Gespanntheit spuerbar. Doch ich hoerte auch, dass es einige gab, die schon zum zweiten oder dritten Mal oder noch mehr an einem solchen Vipassana Retreat teilnahmen. Als ich mir so die Frauen in dem kleinen Raum, der als Speisesaal genutzt wurde (urspruenglich war dies ‚Haupthaus’ eine ganz normale ‚Residenz’ gewesen), ansah, sah ich, dass unter den schaetztungsweise 30, 40 Damen, wirklich so ziemlich jede Altersklassen – von 20 bis 70 – vertreten war.

Nach dem Essen gab es eine so genannte „Orientation“ – also eine Einfuehrung in die Regeln und den Stundenplan, sowie einige organisatorische Dinge. Fuer den Abend wurde dann noch eine erste Meditationsstunde angekuendigt und ab sofort galt es zu schweigen. Natuerlich kann man bei Bedarf das „Management“ ansprechen, wenn zum Beispiel die Dusche nicht funktioniert oder aehnliches. Auch kann man – nach vorheriger Anmeldung – einmal am Tag einen Termin mit der ‚Assistant Teacher’ bekommen um Fragen zur Meditationstechnik zu stellen oder Schwierigkeiten zu besprechen. Aber ansonsten kommuniziert man nicht (und soll auch jeden koerperlichen Kontakt vermeiden). Es ist gar nicht so einfach, die anderen schlicht zu ignorieren, da ja ein jeder zu einer gewissen Hoeflichkeit erzogen worden ist. Zum Beispiel das man sich gruesst oder auch mal ‚Entschuldigung’ sagt, oder einfach nur freundlich laechelt. Nichts davon. Im Prinzip laeuft man am Besten mit gesenktem Kopf umher.

Fasziniert hat mich, dass der Ablauf so reibungslos ging – ohne auch nur ein Wort zu wechseln. Jede von uns war viel aufmerksamer in dem was sie tat, wo sie lief und auch wo die anderen gerade sind, um eben nicht sprechen zu muessen.
Ich selber bin ja sowieso keine Person, die staendig quatschen muss und so schien mir das Schweigen noch die leichteste Aufgabe. Und in den naechsten Tagen sollte ich noch feststellen, wieviel man doch hoert, wenn man nichts hoert – also nicht spricht.

Was tut nun der Mensch wenn er nichts tut? Well, ich glaube der Mensch kann in keinem Moment gar nichts tun, den zumindest atmen tut er. Man kann still sitzen, ruhig sein, sich nicht irgendwie berieseln lassen, aber man tut nie nichts. Atmen und denken, tut man immer ! Und wenn man sitzt, sitzt man – tut man sitzen usw.

Und mit eben diesem Sitzen begannen wir an diesem Abend. In der ‚Meditation Hall’ bekam jede einen Platz zugewiesen. Die meisten sassen auf dem Boden, einige der aelteren Damen und zwei schwangere junge Frauen sassen auf Stuehlen. Ein duennes Kissen von ca. 50 – 60 cm im Quadrat markierte die Nummer 31. Zu meiner rechten war der Mittelgang, der die Maenner von den Frauen trennte. Vor, hinter und neben mir sassen andere Schueler. Ich war ehrlich froh, eine offene Seite zu haben, vor allem angesichts meiner leicht klaustrophobischen Veranlagung.

Bevor die Stunde begann, hatte ich meine Jeans gegen eine bequemere Jogginghose eingetauscht, trotzdem schliefen mir nach kuerzester Zeit die Beine/ Fuesse ein und der Ruecken tat weh. Im Schneidersitz direkt auf dem Boden war nicht die optimale Position.
Im Vorraum, wo man die Schuhe auszog (wie ueberall hier, inklusive Speiseraum und Dorms, blieben die Schuhe im Eingangsbereich stehen), gibt es ein Regal mit Kissen und Decken usw., das sich im Laufe der Tage leerte. Auch bei mir dauerte es ein paar Tage, bis ich die richtige Sitzposition fand.

Ganz ehrlich bekam ich nicht allzuviel mit von dieser ersten Stunde. Zum Einen galt es sich in die Stimme des Lehrers – in diesem Fall S.N. Goenka, vom Band, natuerlich in englisch – hineinzuhoeren, wie erwaehnt eine haltbare Sitzposition zu finden und ueberhaupt war alles sehr ungewohnt. Obgleich ich es interessant fand, mit ca. 60, 70 Menschen in einem Raum zu sein und nur ein gelegentliches Husten oder Raeuspern zu hoeren.

Alles in allem aber ein guter Tag und ich schlief tief und fest in dieser Nacht.

Am naechsten Morgen ging es dann um 4.00 Uhr mit einem Gong los. Ich hatte mir vorsichtshalber den Wecker gestellt, aber es waere nicht noetig gewesen. Der Gong (von einer „Studentin“ geschlagen), war laut genug. Schon in der Einfuehrungsrunde am Abend hatte eine der aelteren Schuelerinen (also eine die den Kurs mindestens schon einmal gemacht hatte) gesagt, dass das ‚Chanting’ (Gesang) am Morgen lohnenswert waere und so begab ich mich gegen 4.30 Uhr in Richtung von der Meditationshalle. Mit ein paar Kissen ausgestattet – und eine Decke, da es ziemlich kuehl war – versuchte ich es mir auf meinem Platz einigermassen bequem zu machen. Die Hall war etwa halbvoll. Gegen 5.30 kamen die beiden ‚Assistant Teacher’ (ein Mann, eine Frau), die vor den Schuelern an der vorderen Wand auf einem erhoehtem Podest ihren Platz haben (den Schuelern zugewandt). Die Gesaenge (auf Hindu gesungen) sind nicht teil der Meditationstechnik sondern gelten eher als Einstimmung fuer die Assistent-Teacher und – so stellte ich fest – auch die Schueler. Es hatte eine fast tranceartige Wirkung.

6.30 ging es dann hinueber in das Haupthaus zum Fruehstueck. Auch dies angekuendigt durch einen Gong. Schweigend standen wir vor der Tuer bis wir hinein konnten. Ein sehr seltsames Gefuehl ...
Fruehstueck bestand heute fuer mich aus warmen Oatmeal (Haferflocken) mit Frucht und Soyamilch. Da dies (oder aehnliches) auch zuhause meine bevorzugte Speise am Morgen ist, war ich vollkommen zufrieden damit. Doch es gab keinen Kaffee, was mich innerlich ein wenig seufzen liess.

Nach einer kurzen Pause, hiess es dann um 8 Uhr wieder meditieren in der Halle. Immer noch hatte ich nicht die optimale Position (ich versuchte es inzwischen mit ‚knien’ – also ein Kissen zwischen die Beine und diese sozusagen falten), aber an den Geraeuschen konnte ich feststellen, dass es vielen Anderen auch so ging. Die Einleitung in die Technik begann damit, dass man sich auf den Bereich um die eigene Nase konzentrieren sollte und nachfuehlen, wie der Atem an den Nasenloechern bzw. der Innenseite der Nase vorbeistrich. Ich hatte den Dreh ziemlich schnell raus, allerdings hatte ich Probleme mit der Konzentration, denn mir war speiuebel. Zum Glueck war die Stunde bald vorbei und wir wurden „entlassen“ um wahlweise in der Halle oder im eigenen Zimmer weiter zu ueben. Ich ‚fluechtete’ in meine Unterkunft, denn mein Magen hatte beschlossen, das Essen im Allgemeinen heute keine gute Idee war und kurze Zeit spaeter uebergab ich mich. Mir war elend zumute, denn zur Uebelkeit kamen nun auch noch heftige Kopfschmerzen. Zunaechst schob ich es auf den gestrigen Besuch unterwegs in einem Fast Food Restaurant (gleichwohl mir dann ja am Abend schon schlecht gewesen waere und als ich wieder zuhause war stellte sich raus, dass Helmut voellig gesund war). Vielleicht, so meine zweite Ueberlegung, war es einfach der beruechtigte 24-Stunden-Magenvirus. Oder durchlaufe ich einen Reinigungsprozess? Doch so schnell? Ich bin gerade erst angekommen und habe noch nicht einmal richtig mit dem Meditieren begonnen ....

Irgendwie schaffte ich es mich durch den Tag zu hangeln, allerdings bekam ich von meiner Umgebung wenig mit. Ich nahm an den ‚Pflichtstunden’ in der Halle teil, aber blieb ansonsten im Bett liegen. Was wohl auch die beste Loesung war, denn immerhin blieb der Pfefferminztee am spaeten Nachmittag drin. So konnte ich dann auch dem abendlichen Theoriekurs folgen. Da die Organisation der Meinung ist, dass es am Besten ist diesen in der Muttersprache zu hoeren, bekam ich einen I-Pod und Kopfhoerer und sass dann nicht mit den Amerikanern in der Halle, sondern in einem Extrazimmer um dem zu lauschen. Ausser mir gab es noch eine Franzoesin (die das Ganze in franzoesisch hoerte), ein Chinese, Japaner, Inder, Thais und Hispanics, die je nach Groesse der Gruppe per I-Pod oder am CD-Spieler den Unterricht verfolgen konnten. Ob meiner angeschlagenen Gesundheit, brachte ich sicher nicht die noetige Aufmerksamkeit mit, die der ‚Discourse’ verdient haette. Aber das was ich mitbekam, war allemal interessant.

Ziemlich kaputt fiel ich um 9.30 Uhr ins Bett und schlief sofort ein ...

.... Fortsetzung folgt .....