Begegne der Welt mit einem Lächeln …



»Lächeln: Ein Lächeln, das dir überraschend begegnet, ist wie ein Regenbogen, der dich im Nebel trifft.« (Gerd Jüttner)

Montagabend im Edeka – die rechte Zeit für ein sehr nettes Erlebnis? Durchaus! Wer, wie ich, Vollzeit arbeitet, dem bleibt oft nichts anderes übrig, als die Einkäufe abends zu erledigen. Dies tun viele und so geht es dann im Supermarkt oft ein bisschen stressig zu. Schnell nach der Arbeit noch was besorgen und vor allem montags, nach dem Wochenende, hetzen sie durch die Reihen. Ich war nicht in Hektik, aber durchaus etwas in Eile, da ich abends einen Termin hatte und der Hund im Auto saß und wartete. Ich gebe es zu, ich habe nicht so richtig rechts und links geschaut und bin vor dem Milchregal fast mit einer Dame zusammen gestoßen. Passiert im Gedränge. Ich lächle sie an und sage etwas wie: bisschen eng hier … oder ähnlich un-intelligentes. Sie zögert kurz, lächelt dann zurück und ich gehe meiner Wege. Ein paar Sekunden später stehe ich vorm Kühlregal und staple gerade Joghurtbecher in meinen Korb, da steht die Dame neben mir, tippt mir auf die Schulter und sagt: Wissen Sie, das möchte ich ihnen doch jetzt noch gerne sagen; es war so nett, dass Sie mich angelächelt haben. Wirklich. Normalerweise schauen die Leute einen immer nur böse an. Das hat mir jetzt richtig gut getan. Danke! – Ich bin zwar etwas perplex, aber lächle nochmal und bedanke mich für ihre freundlichen Worte. … und ganz gelassen und beschwingt beende ich meinen Einkauf und gehe gut gelaunt nach Hause.


… wünsche Euch allen einen lächelnden Wochenstart!!

lange Reise ...





… nun eine lange Reise im physischen Sinn ist zwar gerade nicht in Planung, aber ich freue mich schon sehr darauf,

am Freitag 27.11.15, 18:00 Uhr

immerhin virtuell auf die Reise zu gehen. Dies bei meiner Lesung in dem etwas ungewöhnlichen Ambiente des Naturgut Biomarktes in Echterdingen (Bernhäuser Straße).

Foto:  auf der Via Lemovicensis zwischen Carvelle und St. Astier  … an dem Tag begegnete mir ein Wegengel …

Aus meinem Buch „Manchmal muss man einfach weiterlaufen“:

Des Bruders Hüter

St. Astier. 24.3.2011. Der Weg hierher war zweigeteilt. Fing aber erst mal mit einer Überraschung beim Frühstück an. Ja, ich habe gestern fast schon gewünscht, dass noch irgendein anderer Pilger kommt, um mich ein wenig auszutauschen. Aber dass ich nun am frühen Morgen ausgerechnet Philippe, den „Schwätzer“ von Crozant, antreffen muss? Ich setze mich aber trotzdem zu ihm an den Tisch und wir unterhalten uns ein wenig. Er schwatzt mich dann gleich etwas angeberisch voll von wegen, wie viele Kilometer er pro Tag läuft, Strecken von 40/45 Kilometern, was sicher zutrifft. Ich habe ja mit der Zugfahrt nach Limoges etwas abgekürzt und er ist jetzt auch schon hier. Und er lässt sich darüber aus, was man unterwegs alles braucht und nicht braucht. Ich verkneife mir dann einfach eine Bemerkung über die Vorzüge eines guten Buches, um abends noch ein wenig zu lesen. Doch alles in allem ist die Unterhaltung ganz in Ordnung und später unterwegs denke ich darüber nach, was ich von ihm lernen kann. Denn in manchen Dingen hat er ja durchaus recht.
Philippe ist vor mir fertig und verabschiedet sich. Ich packe meine restlichen Sachen und bezahle meine Rechnung. Dabei stelle ich fest, dass meine Kreditkarte hier nicht funktioniert, da ich dafür keine PIN habe, was mich ärgert. So muss ich nämlich einen großen Teil meines Bargeldes nehmen, mit der Folge, dass dies sich bedrohlich dem Ende entgegenneigt. Helmut erklärt mir später, dass wir aus diversen Gründen gar keine PIN haben. Wäre schön zu wissen gewesen.
Gegen halb neun ziehe ich los. Erst mal geht es natürlich ein ziemliches Stück durch Périgueux und Vororte. Aber rechtzeitig, bevor der Morgenkaffee durchgelaufen ist, findet sich ein Wäldchen. Bis zur alten Benediktinerabtei von Cancelade, heute ist dort das Centre Spirituel Alain de Solminihac untergebracht, ist die Strecke auch sehr gut ausgezeichnet.
Heute werden mal wieder die Wadenmuskeln so richtig trainiert, denn es geht ziemlich viel hoch und runter und ein paar Mal ist es richtig schwierig, den Weg zu finden. An manchen Stellen rate ich mehr oder weniger unter Zuhilfenahme des Kompasses. Was ich feststelle, immer wenn ich denke, jetzt bin ich komplett falsch, voilà ein Wegweiser oder Zeichen, dass ich noch auf der Via Lemovicensis bin. Dies lässt mich jedes Mal einen Dank gen Himmel schicken. Ich glaube, ich habe inzwischen ein gewisses Gefühl für den Weg. Das heißt, ich habe das Gefühl, ich werde geleitet, und das nicht nur per Wegweiser.
Dies Gefühl verlässt mich dann allerdings kurzfristig. An einer Stelle, ich bin ungefähr seit einer Stunde durch einen Wald gelaufen, stehe ich vor einer Kreuzung. Ein Weg geht leicht rechts ebenerdig und einer leicht links ansteigend. Und es gibt keine Zeichen, welcher der Wege nun der richtige ist. Ich konsultiere Wanderführer und Karte, Kompass und Beschreibungen, aber auch die helfen nicht. Was tun? Ich beschließe den linken Weg zu nehmen, doch nach ein paar Metern werde ich unsicher und drehe um, weil es mir nicht richtig vorkommt. So stehe ich dann wieder an der Kreuzung und schaue den rechten Weg an. Kann mich aber nicht so wirklich entschließen, den zu nehmen, da es ziemlich steil bergauf geht und ich nicht dort hochschnaufen will, nur um festzustellen, ich bin falsch. In Gedanken versunken warte ich auf eine Eingebung. Die kommt, allerdings anders als erwartet. Denn plötzlich taucht wie aus dem Nichts ein Mann auf. Da er von schräg hinter mir kommt, erschrecke ich fürchterlich, als er „Bonjour madame“ sagt. Beinahe stolpere ich über meine eigenen Füße, als ich mich zu schnell umdrehe und nun meinerseits „Bonjour!“ stottere. Ich sehe, dass er grüne Waldarbeiterkleidung anhat. Aus seinem etwas dreckigen Gesicht schauen mir ebenso grüne Augen entgegen. In einer Hand hält er seinen Schutzhelm und in der anderen eine Kettensäge. Letztere sieht zwar ein wenig bedrohlich aus, aber er hat ein recht freundliches Gesicht und lächelt. „Entschuldigen Sie, wenn ich Sie erschreckt habe. Sind Sie ein Pilger?“, fragt er mich, natürlich in Französisch. „Ja“, antworte ich knapp und immer noch zögerlich. Ich will ihm im ersten Moment nicht unbedingt sagen, dass ich den Weg verloren habe. Aber er scheint es zu ahnen. „Haben Sie sich verlaufen?“, ist dann auch seine mitfühlend klingende Frage. Wieder kann ich nur nicken und ein „Ja“ herausbringen. Mein Gehirn scheint irgendwie kurzfristig gelähmt. Ihm kommt das wohl seltsam vor, dass ich immer nur „Oui“ stammele, und so ist seine nächste Frage: „Sprechen Sie Französisch?“ Allmählich taut meine Zunge auf und ich schaffe es zwei ganze Sätze zu formulieren: „Ja, ich spreche Französisch. Entschuldigen Sie, aber ich habe mich sehr erschrocken.“ – „Das tut mir leid, ich bin es gewohnt mich im Wald leise fortzubewegen.“ – „Sie kennen sich hier aus?“ So langsam finde ich auch den Rest meiner Sprache wieder. „Ja, der Jakobsweg geht dort entlang.“ Er deutet auf den rechten, ansteigenden Weg. „Danke, ich kann hier leider keine Wegweiser sehen. Gut, dass Sie gerade vorbeigekommen sind.“ Er lacht leise und meint: „Komisch, eigentlich wollte ich heute in einem anderen Teil des Waldes arbeiten, entschloss mich aber kurzfristig hierher zu kommen. Nun, alles Gute und bon courage!“ Sprach's, dreht sich um und verschwindet auf dem linken Weg. Ich rufe ihm noch ein „Merci beaucoup“ hinterher und mache mich dann auf, weiterzulaufen. Keine 300 Meter weiter finde ich dann einen der gelb-blauen Pfeile, die die Amis de St. Jacques hier aufgehängt haben. Ich schicke dem Waldarbeiter noch mal einen stillen Dank nach. Fast schäme ich mich für den Gedanken, aber irgendwie schien er mir wie ein Wegengel.
In Carvelle mache ich dann erst mal eine Pause, sitze für eine ganze Weile auf einer Bank, esse mein Brot und freue mich über herrlichstes Wetter. Der Weg führt dann wunderschön an einem Kanal entlang. Es macht richtig Spaß und ich komme gut voran. Ich singe lauthals „Je marche seul“ von Jean-Jacques Goldman. Und ich hoffe, mich hört keiner, denn ich kenne nur den halben Text und dichte mir den Rest dazu. Noch motivierter bin ich, als ich ein Schild erblicke: St.-Jacques-de-Compostelle 1107 km. Ein Klacks!
Die letzten drei Kilometer sind dann allerdings nicht mehr ganz so toll, denn sie führen an der ziemlich stark befahrenen D3 entlang. Und es gibt keine Ausweichmöglichkeit. Ich stelle bald fest, wieso: Linker Seite ist der Fluss L’Isle und ein paar private Grundstücke. Auf der rechten Seite recken sich zum einen ziemlich steile Felsen in die Luft und ich sehe mehrere Schilder, dass es sich um eine Militärsperrzone handelt. Kurz vor St. Astier sehe ich dann auch ein in den Felsen gehauenes Hauptquartier für irgendeine europäische Militäreinheit. Nun, als Pazifist halte ich mich so weit davon entfernt wie eben möglich und bin froh, als ich die Chambre d’hôtes erreiche.
Eine sehr nette, etwas schüchterne junge hübsche Frau zeigt mir mein Zimmer. Alles in hellem Goldgelb gehalten und sehr gemütlich. Die Toilette ist gleich nebendran, obwohl ich kurz eine Horror-Vision meiner Nacht in Nancy habe. Doch hier scheint es nicht so belebt. Das Bad gegenüber, eine Küche und ein Aufenthaltsraum runden die gemütliche kleine Wohnung ab. Die Madame entschuldigt sich für die Bauarbeiten draußen, das Haus wird von außen renoviert, und erzählt mir, dass nur noch eines der anderen Zimmer vermietet sei. Als sie gegangen ist, richte ich mich erst mal ein und ruhe ein wenig aus.
Später gehe ich die Stadt erkunden. Vor allem statte ich auch der Kirche einen Besuch ab, zünde eine Kerze an und bestaune die Statue, den Heiligen St. Astier. Ich nehme mir vor, wenn ich wieder zu Hause bin, mal ein paar Recherchen zu all den Heiligen zu machen, die ich in katholischen Kirchen sehe. Ich frage mich, wie viele es wohl gibt? Und ob der Papst sie alle auswendig kennen muss?
Den Abend beschließe ich dann mit einer heißen Dusche, einem Abendessen bestehend aus Reis mit Käse und Salat und später ein bisschen Fernsehen. Wenn so alle Tage sind, schaffe ich es doch locker bis ans Ende der Welt.

(aus „Manchmal muss man einfach weiterlaufen“ von Wiebke B. Beyer)

Wetter ...



… draußen mag es heute nicht ganz so gemütlich sein, aber das macht nichts. Denn wenn man schon im Voraus für angenehme Erinnerungen sorgt, scheint immer die Sonne!

Wünsche Euch allen ein strahlendes Wochenende!!


Lesungen im Herbst ...

"Manchmal muss man einfach weiterlaufen" 

- Das Buch.



Dies ist mehr als nur eine Lesung, denn dies ist kein gewöhnliches Pilgertagebuch! Wiebke Beyer nimmt den Zuhörer mit auf eine Reise durch die Landschaft Frankreichs bzw. Nordspaniens und durch ihr turbulentes Leben. Die Autorin vermittelt das Gefühl, hautnah dabei zu sein und man möchte am Liebsten die Wanderschuhe schnüren und auch loslaufen. Ein etwas anderer, aber dafür umso spannenderer, sehr emotionaler und mitreißender Bericht über den Jakobsweg.

Termine:
27. November 2015, 18:00 Uhr im Naturgut Biomarkt, LE-Echterdingen
15. Dezember 2015, 19:00 Uhr in der Johannes-Kirche, Filderstadt-Bernhausen


Weitere Details unter www.wiebkebeyer.jimdo.de

Ein Bild und dessen Geschichte...






Ein bisschen Zuhause in der Fremde

La Coquille. 20.3.2011. Dieser Weg hält immer wieder Überraschungen für mich bereit und ich bin dankbar dafür.

Doch erst mal fange ich den Tag mit Erkenntnissen an, als ich am Packen bin:
1. Ich packe alles recht sorgfältig, immer mehr oder weniger dieselbe Reihenfolge und vieles zum Schutz noch mal extra in Tüten. Ganz meinem Sternzeichen „Jungfrau“ entsprechend ordentlich. In solchen ganz nahen, praktischen Dingen bin ich im Allgemeinen auch eher ein Sicherheitstyp. Und das ist gut so, denn im Kontrast dazu bin ich oft, zum Beispiel bei Planungen, eher nachlässig und spontan und in Gefühlsdingen kann es gar ins Chaotische gehen. Das eine hält mich am Boden, das andere lässt mich fliegen.
2. Als ich gestern die Landstraße vor Flavignac entlanglaufe, kommt mir ein älterer Mann auf einem Fahrrad entgegen. Er sieht mich und hält an, um zu grüßen. Dann fragt er natürlich das übliche Woher und Wohin. „Was“, fragt er, als ich es erzähle, erstaunt, „so weit läufst du, und das ganz alleine?“ Ich zucke nur mit den Schultern und sage: „Das ist gar nicht so schlimm und ich komme ja immer wieder durch Ortschaften.“ Er nickt noch einmal anerkennend und fährt weiter. Ist es wirklich nicht so schlimm? Er bringt mich dazu, über das Alleinlaufen nachzudenken. Ich fühle schon in manchen Situationen ein Unwohlsein, bis hin zur Ängstlichkeit. Es ist durchaus eine Herausforderung, vor allem in einsamen Gegenden. So ist es auch richtig, dass es einen gewissen Mut erfordert, diese Reise alleine durchzuziehen. Mir wird bewusst, ich brauche es nicht abzutun, wie ich es gerne gegenüber anderen ganz cool betone. Sondern ich kann stolz sein, es zumindest zu versuchen.
Mit solchen philosophisch angehauchten Gedanken im Sinn bin ich gegen sieben Uhr gesattelt und gespornt. Also marschiere ich los. Zunächst den Schlüssel bei der Mairie (dem Rathaus) in den Briefkasten werfen und schon bin ich auf dem Weg. Ein Stück folge ich dem Wanderweg, aber wie vom Pilgerführer angedeutet, führt dieser durch ein sehr feuchtes Gelände und so beschließe ich bis Châlus die Straße zu nehmen. Erstens, weil es einfacher zu laufen ist und zweitens an einem Sonntagmorgen wenig Autos fahren. Und so ist es auch. Ein herrlicher Morgen, wolkenloser Himmel und aufgehende Sonne. Einatmen, ausatmen, laufen. Sein.
Die schweren Stiefel an den Füßen fühlen sich gut an, passen perfekt. Kein Drücken oder Zwicken. Vergessen ist die Schwermütigkeit von vor zwei Tagen und ich bin ganz im Hier und Jetzt. Die Luft ist frisch und hat schon einen Hauch von Blütenduft. An vielen Bäumen zeigt sich das erste zaghafte Grün. Fast über Nacht ist es, als sei die Natur aufgewacht, und es scheint, dass sie nun versucht schnell die kalten Tage zu vergessen und nachzuholen. Es fühlt sich gut an, einfach so in den Tag hineinzulaufen, nicht wissend, was mich heute erwartet. Ich bin ganz bei mir und brauche mich nur um die ganz profanen Dinge des Lebens zu kümmern: essen und trinken und einen Schlafplatz finden. Die Gedanken nur bei diesem einen Tag, weil das, was morgen kommt, heute nicht wichtig ist. Gefühlte und gelebte Freiheit!
Das Château de Châlus-Chabrol schaue ich nur aus der Ferne an, auch wenn Richard Löwenherz persönlich hier nicht nur anwesend gewesen, sondern auch gestorben sein soll. Ich bin zwar in gewisser Weise im Urlaub, aber kein Tourist. Nicht unbedingt auf Besichtigungen aus. Ich verspüre nicht das Bedürfnis nach Kultur. Ich pilgere und für mich heißt das mehr, mich mit mir selbst zu beschäftigen, mit der Natur und mich nicht zu sehr ablenken zu lassen.
Zumindest nicht so sehr von Geschichte. Von dem Duft, der aus einer Bäckerei kommt, allerdings durchaus. Er hängt förmlich in den engen Gassen von Châlus. Und mein Magen knurrt schon wieder. Es scheint nicht nur mir so zu gehen, denn der Bäckerladen ist voll. Nun, es ist Sonntagmorgen und da haben die Leute auch Zeit für ein Schwätzchen mit dem Nachbarn und dann ein langes, spätes Frühstück. Als ich an der Reihe bin, kaufe ich mir ein Croissant. Und im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Bauch heraus nehme ich noch etwas, das aussieht wie eine Schneckennudel mit Rosinen. Diese ist äußerst lecker und ich staune mal wieder über meinen Appetit auf Zucker. Etwas, das normalerweise bei mir weniger ausgeprägt ist. Allerdings überlege ich mir, dass es wohl eher eine starke Disziplin und die Folgen meiner Essstörungen sind, die mich davon abhalten, Gebäck im Allgemeinen wirklich genießen zu können. Hier bin ich frei davon. Was für ein Geschenk! Mit vielen Kalorien gestärkt, marschiere ich munter weiter, jetzt über Waldwege und kleinen Sträßchen folgend. Ich finde die Abwechslung gut und denke, so werden wenigstens alle Muskeln mal bewegt.
Kurz vor Firbeix führt der Weg aus dem Wald heraus und ich komme an einer Gärtnerei vorbei. Hier herrscht Hochbetrieb, obwohl es Sonntag ist. Dies klärt sich auf, als ich ein Schild bemerke, das einen ‚Tag der offenen Tür‘ verkündet. Nun bin ich doch sehr versucht ein bisschen zu besichtigen. Ich habe immerhin drei Jahre die Gartenabteilung beim Lowes Baumarkt in Livingston, Texas geleitet und das steckt wohl noch ein wenig in mir. Aber die Menschenmassen halten mich letztlich zurück und ich laufe weiter bis zur N21, die ich hier überqueren muss. Eine auch sonntags extrem befahrene Straße und somit ein nicht ganz einfaches Unterfangen.
Auf der anderen Seite gibt es dann zum Glück eine Bank zum Ausruhen. Über dieser prangt ein Schild: 1240 Kilometer bis Santiago. Na dann, das geht ja. Wie sich doch der Blick verändert, wenn man so jeden Tag, oder fast jeden Tag, marschiert.
Noch ein bisschen sitzen bleiben und dann weiter. Nach circa 300 Metern führt der Weg direkt durch einen Bauernhof. Zunächst bin ich etwas verwirrt, aber nach dem Konsultieren meiner Karten ist klar: Da geht es mittendurch. Der Bauer ist auch sonntags am Arbeiten und beachtet mich nicht wirklich. Ich grüße freundlich, aber mir ist etwas unwohl, und als ich das Bauernhaus hinter mir gelassen habe, bin ich doch froh. Da kann nicht mal das vor mir liegende Stück sehr matschiger Weg das Vorwärtsstreben behindern.
Ich lasse die Gedanken fließen, durch mich hindurch. Denke nicht wirklich etwas Bewegendes, halte die einzelnen Bilder nicht fest. Einfach den Weg, die Natur wirken lassen. Bei Aillac verliere ich kurz den Jakobsweg, stelle aber schnell fest, dank Karte, dass das nicht schlimm ist. Nachdem ich ein Stück eine völlig einsame kleine Straße durch einen frisch nach Tannennadeln duftenden Wald laufe, treffe ich etwas später auf die D67 und den Wanderweg. Ein kleiner Felsen direkt an der Kreuzung lädt zu einer kurzen Pause ein, und weil ich schon wieder hungrig bin, stärke ich mich mit einem Käsebrot. So bin ich fit für die letzten Kilometer bis La Coquille.
Dort angekommen mache ich bei der Kirche Halt. Erst mal nach drinnen, etwas ruhen, ankommen und danke sagen für den guten Weg hierher und die Bitte um ein Dach über dem Kopf für die Nacht. Ebendies zu suchen mache ich mich dann auf. Ich finde das Refuge und bin nicht wirklich begeistert. Fast eine Art Halle, etwas alt und nicht sehr einladend. Aber was soll’s. Für eine Nacht geht alles. Auf einem Schild lese ich, dass die Herberge erst um 16.00 Uhr aufmacht. Wahrscheinlich, weil diese von freiwilligen Helfern betreut wird und die an einem Sonntagnachmittag auch etwas Besseres zu tun haben. Ich kann das nachvollziehen. Aber jetzt ist es gerade mal zwei Uhr! Zwei Stunden im Dorf herumhängen? Und das an einem Sonntag, wenn alles zu ist? Die Aussicht ist nicht sehr motivierend. Soll ich weiterlaufen? Aber dazu habe ich auch nicht wirklich Lust, immerhin habe ich heute doch schon gut 30 Kilometer hinter mir. Mir fällt ein, ich habe in der Herberge gestern Abend ein Schild für einen privaten Gȋte mit dem klangvollen Namen Maison Morain gesehen und mir die Telefonnummer herausgeschrieben. Das ist doch eine Option.
Der Bahnhof ist hier gleich ums Eck und davor eine Telefonzelle. Ja, sie hätten offen, 25 Euro inklusive Frühstück. Das ist es mir wert und ich sage, ich komme gleich, nachdem ich mir den Weg habe beschreiben lassen. Ich muss vorhin direkt daran vorbeigelaufen sein, als ich in die Stadt kam. Einladend habe ich es jetzt im Blick. Aber es gibt keine Klingel, also klopfe ich. Als ich eintrete, werde ich sofort sehr nett begrüßt. „Hallo, mein ist Name Greg. Und dies ist meine Frau Heidi.“ Ich: „Das ist ja ein deutscher Name!“ Bis jetzt sprechen wir Französisch. Sie sagt: „Wir sind Amerikaner.“ Erstaunt rufe ich aus: „No way!“ Ich erzähle ihnen, dass ich in Texas lebe! Inzwischen haben wir zu Englisch gewechselt. Ob ich erst mal einen Tee will, fragt Heidi, was ich gerne und dankend annehme. Während ich den trinke, unterhalten wir uns ein bisschen über dies und jenes.
Etwas später sagt Heidi, sie zeigt mir jetzt erst mal das Zimmer, damit ich meine Sachen ablegen kann. Und sie fragt, ob ich Abendessen will, es würde aber normalerweise extra kosten. Erst lehne ich ab, aber nachdem Greg sagt, es gibt TexMex kalifornische Art, sie sind Kalifornier, kann ich nicht widerstehen. Es riecht auch schon sehr verführerisch im ganzen Haus. Mit der Familie essen und ein bisschen reden und finde ich dann doch sehr einladend. Und das werde ich letztlich auch, eingeladen, denn wir sind ja irgendwie doch verbunden. Sehr nett. Heidi meint noch, ich kann auch ihren Computer benutzen, was ich gerne in Anspruch nehme. Später stehe ich in der Küche ein bisschen im Weg, während Heidi und Greg kochen, und wir unterhalten uns. Heidi und Greg sind, wie Helmut und ich, von „zu Hause“ weg. Sie haben in verschiedenen Orten in USA gelebt, aber wollten einfach was anderes ausprobieren. So haben sie, als ein entsprechendes Jobangebot für Heidi kam (sie ist Lehrerin), alles verkauft und sind zunächst nach Berlin, dann nach Frankreich. Haben hier dieses Haus gekauft, das 25 Jahre unbewohnt war, und es renoviert. Wenn man in La Coquille wohnt (deutsch: die Muschel) und das Haus an der Place St.-Jacques-de-Compostelle ist, bleibt einem wohl nicht viel anderes übrig, als einen Gȋte für Pilger einzurichten, sagt Heidi lachend. Das liegt nahe, da der Jakobsweg direkt am Haus vorbeiführt. So ist dann auf jeden Fall nicht nur die Sprache ein Anknüpfungspunkt, sondern auch eine ähnliche Lebenseinstellung. Etwas zu wagen für seine Träume und auch mal ins kalte Wasser springen.
Sie wissen natürlich auch allerlei Geschichten von Pilgern zu erzählen, die hier schon durchgekommen sind. Von denen berichten sie mir dann beim Abendessen. Wir sitzen mit Parker, dem zehnjährigen Sohn des Hauses, und einem Freund von ihm am Esszimmertisch. Ich finde es sehr gemütlich. Vorneweg Gemüsesuppe, dann Tacoshells mit Bohnen, Mais, Hühnchen, Salsa, alles selber zusammenzustellen. Greg meint, sein Bruder hat ihm gerade ein Carepaket mit dem entsprechenden Gewürz geschickt. Tacos füllen und mit den Händen essen. Dazu Reis. Ich finde, es schmeckt sehr mexikanisch und sehr lecker, und esse fast schon unverschämt viel, gleichwohl es meine Gastgeber freut, dass ich kräftig zulange. So langsam habe ich wohl wirklich den berüchtigten Pilgerhunger. Hinterher noch Espresso und Zuckerkekse. Köstlich. Noch ein bisschen reden, und bis ich mich dann in mein Zimmer zurückziehe, ist es schon fast zehn Uhr.
Und ich bin noch nicht einmal wirklich müde, eher etwas aufgedreht. Ärgere mich ein wenig, dass ich keine Fotos gemacht habe. Und tröste mich damit, dass ein Bild die tolle Stimmung des Abends so oder so nicht hätte einfangen können. Nachdem ich noch eine Gartenzeitschrift durchgeblättert habe, die auf dem Nachttisch liegt, mache ich das Licht aus und vom Vollmond beschienen schlafe ich irgendwann ein.



©Wiebke Beyer, aus ihrem Buch "Manchmal muss man einfach weiterlaufen"