Die Postkarte



Es ist Samstag und wir kommen gerade von einem Spaziergang mit Clyde zurück. Bevor ich die Haustüre aufschließe, fällt mir ein, ich habe heute noch gar nicht in den Briefkasten geschaut. Also wenn ich nun schon fast daran vorbei laufe, leere ich ihn auch gleich. Sicher wieder nur ‚Altpapier‘ und Rechnungen. Aber der Kasten ist ziemlich klein und außerdem undicht, so ist das tägliche Leeren fast schon ein Muss. Ganz davon abgesehen bin ich natürlich auch weiblich neugierig … Und wer weiß, vielleicht ist diesmal eine Zusage eines Verlages darin. Die Spannung steigt.
Ich schließe die rostig-verbeulte Klappe auf … und da liegt – einsam und ganz in eine Ecke gedrängt eine Postkarte. Wie schön! Ich freue mich, dass es keine Rechnung ist und irgendjemand an mich gedacht hat. Doch der genaue Blick macht mich etwas stutzig. Irgendwie kommt mir die Schrift zwar ziemlich bekannt vor, doch die Karte ist nur mit W. unterzeichnet. Hm …. Ich bleibe auf dem Treppenabsatz stehen und lese den Text:
Liebe Wiebke, ich bin mir sicher, dass Du inzwischen Dein Buch fertig hast. Und wie sieht es mit einem Verlag aus? Schon Absagen? Nun Du weißt ja, die sind wichtig zum Lernen, also einfach weitermachen. Aber verliere auch Deine anderen Ziele nicht aus den Augen; auch wenn es nicht immer geradeaus geht. Alles ist gut! W.“
Jetzt bin ich völlig verwirrt. Wer könnte das geschrieben haben. Mir  fallen zwar spontan ein oder zwei Freunde ein, die soviel über mich wissen, dass sie mir eine solche ‚Ermunterungs-Karte‘ schicken würden. Doch niemand hat einen Vornamen, der mit einem ‚W‘ beginnt.
Während ich also nach oben in den dritten Stock steige, rätsle ich weiter. Mal auf das Datum schauen: 09.08.13. Wow, die Karte war aber lange unterwegs! Ein Blick auf den Poststempel verrät mir dann allerdings, dass sie doch nicht so lange unterwegs war und als ich oben vor der Wohnungstür angekommen bin, trifft mich die Erkenntnis fast wie ein Schlag. Ich bin ganz aus dem Häuschen: Natürlich, ich selbst habe mir diese Karte geschrieben! Letztes Jahr, als ich im August bei der Inspirationswoche mit Steffen Kirchner im Allgäu war. Wir hatten schon fünf Tage intensiv an den verschiedensten Themen, wie Werte, Stärken und Ziele gearbeitet. Am letzten Tag bekamen wir dann jeder eine Postkarte – bzw. wir durften uns eine raussuchen – die wir an uns selbst schicken sollten. Ganz erfüllt von den vielen Impulsen entstand dann die meine.
Ich hatte es total vergessen!

Und nun starre ich fasziniert auf den Text und bin erstaunt, wie zutreffend er ist. Ja, das Manuskript ist fertig. Schon eine ganze Weile. Und würde mich nicht hin und wieder jemand danach fragen, würde ich kaum mehr daran denken, denn ich stehe knietief in meinem neuen Buchprojekt.
Und ja, Absagen habe ich auch schon ein paar bekommen. Immer Standard Blabla. Nun, das wusste ich ja, dass große Verlage dies oft tun. Aber ich gebe deswegen natürlich noch lange nicht auf und glaube immer noch fest daran, dass ich ‚entdeckt‘ werde. Ich habe das Buch losgelassen und es soll seinen eigenen Weg finden.
Jetzt, als ich die Karte in der Hand halte, überlege ich ernsthaft, ob ich doch nochmal das Exposé überarbeiten sollte und ein paar weitere Verlage anschreiben …
Und wie sieht es mit meinen anderen Zielen aus? Nun, ich habe – wie ich es immer tue – Anfang des Jahres welche für 2014 definiert und aufgeschrieben. Und auch teilweise schon angefangen, diesen entgegen zu streben. Aber vielleicht sollte ich auch noch einmal meine Ziele vom letzten Jahr rausholen und schauen, welche ich erreicht habe ...

Auf jeden Fall bringt mich die Karte dazu, mich mal wieder auf das zu fokussieren, was mir wirklich wichtig ist. Wofür begeistere ich mich? Es bringt mich dazu darüber nachzudenken, wo und wann verliere ich mich momentan im Alltagstrott, wo sind meine Prioritäten? Ich weiß, oft ist das Leben wie ein laues Lüftchen im August und ich merke gar nicht dass ich mich bequem in eine Blumenwiese lege und keinen Grund sehe mich zu bewegen. Ich erliege der Versuchung zu glauben, dass der Sommer ewig währt.

Die Karte macht mir auch wieder Mut, motiviert mich. Habe ich doch vor ein paar Monaten fest daran geglaubt, dass ich weiter komme. Das ich meine Ziele vor Augen habe und diese auch erreiche.
Und es ist noch mehr. Es steckt eine Hoffnung darin, dass in mir noch mehr steckt, als das, was ich normal so lebe. Da steckt noch ein anderes besseres Ich in mir. Das ist so, als ob man sein besseres Zukunfts-Ich vor sich hätte. Man arbeitet noch an einem neuen Entwurf von sich selbst. Und irgendwann kommt er ans Licht. Als wäre man bisher immer nur die Larve gewesen, aber dann wird man zeigen was für ein schöner Schmetterling man ist. Es ist gut, dass ich noch die Sehnsucht in mir spüre, mich zu ändern. Und mich nicht selbstzufrieden und bequem zurücklehne ins Gewohnte.

Und dann schreibt mir ein Freund gestern: Würde ich mein Leben noch einmal von vorne beginnen, würde ich vieles anders machen.

Ich habe eine Weile darüber nachgedacht und bin dann doch dabei geblieben, was ich schon lange denke: ich würde nichts anders machen. Denn ich bin sicher, ihr und ich, die meisten jedenfalls von uns, sind nicht all die Jahre als Larve durch ihr Leben gekrochen und das Schmetterlingsleben kommt noch. Ich bin schon ein fertiger Schmetterling, vielleicht nicht so toll wie ich gern wäre. Und manchmal versage ich beim Fliegen. Aber, wenn ich immer der Vergangenheit nachheule und darüber nachdenke, was ich hätte anders machen können, und andererseits diesem anderen Zukunftsbild von mir nachträume, kann ich mich nicht achten und lieben wie ich bin. Und mich lieben das gibt mir Kraft, das Fliegen zu üben. Fliegen wie ein Schmetterling, der ich nicht erst sein werde. Der ich bin! Jetzt.

Diese Erinnerungs-Postkarte, ein knappes halbes Jahr später, hat mir gut getan!

Und darum an dieser Stelle ein riesengroßes ‚Danke‘ an Susanne Groth und SteffenKirchner, die zum Einen das für mich so wertvolle Seminar im letzten August gestalteten haben und sich zum Anderen die Mühe machten, unsere Postkarten aufzuheben und dann zum Jahreswechsel abzusenden.

Vielleicht ist das überhaupt eine gute Idee, sich ab und zu mal eine Karte oder einen Brief in die Zukunft zu schreiben. Okay, das mit dem selbst versenden funktioniert nicht wirklich. Aber ich kann einen Freund, eine Freundin oder jemand in der Familie darum bitten, dies für mich zu tun. So kann ich mir hin und wieder ein bisschen Wind unter die Schmetterlingsflügel blasen ….

As always
Thank you for time
Wiebke

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