Reise = Sehnsucht oder Erfüllung?


»Es scheint, dass das Reisen für mich eigentlich die zuträglichste Lebensart ist.« (August Graf von Platen Hallermund)

... und tschüß!
Der Blog Jakobsweg-Küstenweg wird ein Jahr alt und feiert dies mit einer Einladung zu einer Bloggerparty (http://jakobsweg-kuestenweg.com/2015/05/26/reisegeschichten-blog-party). Bloggerparty? Was ist das denn? Herr Google weiß Antwort. Einen Blogbeitrag schreiben, das geht. Und als ich dann noch die Frage lese: „Welche Reisebekanntschaft oder welcher Reisende (ob populär, fiktiv oder persönlich bekannt) hat dich am meisten geprägt?“ kann ich nicht widerstehen mir hierzu ein paar Gedanken zu machen, zumal Reisen, eines meiner Lieblingsthemen ist …

Als ich dann aber loslegen will und mir die Frage stelle, komme ich erstmal ins Stocken. Sicher, mir fallen ein paar Menschen ein, deren Reiseberichte ich mit Begeisterung gelesen habe (fiktiv oder real), die mich beeindruckten. Aber beeinflussten sie mich auch? 
Sommer '82 auf Korfu
Und mir fallen natürlich auch die Menschen ein, die ich auf meinen ganz eigenen Reisen getroffen habe (zumindest ein paar von Ihnen). Ich bin ja der Meinung, dass jede Begegnung einen Einfluss auf mein Leben hat, mal mehr, mal weniger. In irgendeiner Form halten sie mir einen Spiegel vor, machen mich aufmerksam auf etwas oder weisen mir den Weg. Manchmal ist es auch nur ein aufmunterndes Wort – das meist dann, wenn ich es gerade am Meisten brauche.

»Es gibt Menschen, die begleiten einen ein Stück des Weges, vergehende gemeinsame Tage bleiben dauerhaft in Erinnerung. Es gibt jene, mit denen läuft man ein paar Kilometer, unterhält sich, isst sein Picknick zusammen und trennt sich an der nächsten Weggabelung auf immer. Es gibt Menschen, die gehen den gleichen Weg wie man selbst, mal vor mir, mal hinter mir. Und es gibt die Menschen, die zwar eine andere Route gewählt haben, aber einem immer wieder begegnen. Doch ganz egal, wer welcher Kategorie angehört, eines habe ich hier auf dem Jakobsweg gelernt, jeder muss letztlich seinen eigenen Weg gehen, um herauszufinden, warum er oder sie sich aufmachte, herauszufinden, wer man ist.« (aus ‚Manchmal muss man einfachweiterlaufen‘ von Wiebke Beyer)

Die Begegnungen sind immer wertvoll und machen für mich somit ein Teil jeder Reise aus.

Doch hat einer dieser Reisenden mich geprägt? Imponiert haben mir viele – jeder auf seine Art. Wohl am ehesten die, die wie ich, es geschafft haben, auf ihrer Lebensreise einen guten Weg zu finden.

mein Dad, ca. 1983
Und dann denke ich an meinen Vater. Ein unruhiger Geist. Denn er, wenn ich die alten Geschichten höre und vergilbte Fotos ansehe, schon von seinem Vater geerbt hat. Ich habe meinen Opa leider nie kennengelernt, aber wir waren uns wohl ähnlich in unserer Leidenschaft für das geschriebene Wort und eben das Reisen.
Ich bin die jüngste von fünf Kindern und hatte mit Erreichen der Volljährigkeit wahrscheinlich schon mehr von der Welt gesehen, als die meisten Menschen in einem ganzen Leben. Egal wohin es meinen Vater auch zog, er hat uns Kinder auf viele, viele Reisen mitgenommen. Lang, kurz, weit, nah, schnell, langsam, mal abenteuerlicher, mal weniger. (ausführlicher schreibe ich HIER davon).

Mich hat diese Art zu leben mit Sicherheit beeinflusst, nicht nur wenn es um das Reisen geht.

Marokko, 1982
Stolz gemacht hat mich manch eine meiner eigenen Reisen – beeindruckt, dass ich sie bewältigt habe.
Pauschaler Strandurlaub war nie mein Ding, gleichwohl ich auch das eine oder andere Mal mit der Touristenmasse am Strand gelegen habe. Doch meist bin ich eher individuell gereist. Und einige dieser Reisen hatten es ganz schön in sich …

Die Unruhe
ist mal wieder zu Gast
Das Fernweh
verlängert seinen Besuch
Die Wohnung
ist mal wieder zu klein
Das Auto
mal wieder nicht schnell genug

Der Zigeuner in mir
Sommer 81 - irgendwo
baut seine Zelte ab
Die Welt da draußen
viel zu weit entfernt
Die Menschen um mich
engen mich mal wieder ein
und aus der Sicherheit
mal wieder nichts gelernt … (wb)

Geprägt haben mich zwei meiner eigenen größten Reisen.

Die eine war der lange Weg aus der Alkoholsucht, dem absoluten nichts mehr haben, nichts mehr sein - in ein Leben, das wieder wertvoll ist, lebenswert.

Die zweite war mein Camino. Im Jahr 2011 hatte ich die Möglichkeit, die Strecke von Trier nach Santiago – gut 2300 km – am Stück zu laufen. Alleine. Und weil es eben nur so machbar war, bin ich im Februar losgelaufen, was im Nachhinein ein ganz besonderes Erleben war. Durch verschneite Landschaft langsam nach Süden in den Frühling pilgern. Drei Monate war ich unterwegs. Durch viele Hochs und Tiefs, leichten und schweren Herzens. Mit wertvollen Begegnungen und Erkenntnissen. Vierundzwanzig Stunden am Tag mit sich selbst sein. Die Welt zu Fuß entdecken, Langsamkeit erfahren. Aushalten können, Stärke in mir entdecken, von der ich nicht wirklich wusste, dass ich sie habe.
Heute, vier Jahre nach meiner Pilgerreise, ist in meinem Leben fast nichts mehr, wie es war. Wobei das eine neue Geschichte ist. Aber die Leistung, die ich erbracht habe, macht mich immer noch stolz und hat mir die Kraft gegeben, Dinge zu verändern, die schon lange nicht mehr gut waren. Ich habe den Mut gefunden, noch mal ganz von vorne anzufangen. Ich habe das Gefühl, ich bin auf die Sonnenseite der Straße gewechselt. Auch wenn nicht jeder Tag nur gut ist. Doch wenn ich mal denke, es geht nicht weiter, und ich im Leben in unwegsames Gelände komme, dann rufe ich mir meine Pilgerreise ins Gedächtnis und sage mir: Manchmal muss man einfach weiterlaufen ...

Wildcamping in Portugal (Sommer '80)
Doch zurück zum Reisen … Ich komme an den Punkt, an dem ich mir die Frage stelle: Was bedeutet Reisen an sich für mich?

Abenteuer? Per Definition ist das ein außergewöhnliches Erlebnis oder ein riskantes Unternehmen. Nun auf das Reisen trifft wohl beides zu – zumindest wenn ich die meinen anschaue. Für mich geht Abenteuer mit dem Wort ‚Freiheit‘ Hand in Hand. Das macht es so reizvoll. Sich selbst und das Leben in sich spüren in einer Weise, die nie langweilig wird.

Winter in Frankreich, 1981
Manchmal habe ich den Eindruck, ich war mein ganzes bisheriges Leben

irgendwie immer unterwegs. Auf kurzen und langen Strecken, im In- und Ausland; alleine oder auch nicht, zu Fuß mit dem Auto oder Flugzeug oder irgendwie anders. Mal nur wenige Tage, mal Jahre. Unterwegs sein – ein Teil von mir … Noch heute packe ich den Rucksack, ziehe die Wanderschuhe an und laufe vor der Haustür los. Langsam, bedächtig, Schritt für Schritt.

Ich höre nachts die Lokomotiven pfeifen, sehnsüchtig schreit die Ferne, und ich drehe mich im Bett herum und denke: "Reisen..."

… es scheint mir immer, dass Kurt Tucholsky mir mitten ins Herz geschaut hat, als er diesen Satz schrieb und all meine Sehnsucht hinein packte. … Reisen … Es konnte nie weit genug weg sein, nie schnell genug fort. Mit jedem Flugzeug, dass ich am Himmel vorüberfliegen sah, wuchs die Sehnsucht.

Krebse essen, irgendwo im Süden ('81)
Reisen … nicht immer konnte ich das physische sofort in die Tat umsetzen und so ‚reiste‘ ich dann in anderer Form der Sehnsucht hinterher. Träume vom Reisen in die Zukunft – ich liebe Science Fiction. Reisen in die Vergangenheit – mein Bücherregal steht voll mit historischen Romanen. In ein Buch vertieft, reist eben die Seele und das Herz, weniger der Körper.

Die Flucht in die Sucht war wohl meine beschwerlichste Reise.

Irgendwie ging es immer nur darum, davon zu kommen, raus aus meinem Alltag. Mich nicht mit dem beschäftigen müssen, was vor meiner Nase oder gar in mir stattfindet. Weg sein. Einer Sehnsucht folgen, die mir keine Ruhe lässt. Nicht stillstehen wollen …

Spanien, Winter '81
Und heute? Ist die Sehnsucht weg? Nein, die Unruhe lebt noch in mir. Ist ein Teil von mir, den ich akzeptiert habe. Aber sie und ich haben uns kennengelernt und leben heute im Einklang miteinander. Wenn sie sich meldet und ich kann, höre ich ihren Ruf und ziehe los. Vielleicht nicht mehr ganz so impulsiv, aber ich bin immer noch gleich dabei, wenn es darum geht spontan ein paar Tage weg zu fahren. Und es ist auch kein Fernweh, im Sinne von weit weg, mehr, sondern eher ein ‚Unterwegs sein‘ … das Reisen ist und bleibt die Sehnsucht in mir, von der ich bis heute nicht wirklich weiß wonach oder wohin. Erfüllung findet sie hin und wieder, z.B. wenn ich an einem Strand stehe und auf die unendlich scheinende Weite des Meeres schaue. Oder auf einem Berggipfel, mit grünen Tälern unter mir und dem Gefühl mir sind keinerlei Grenzen gesetzt …
Sonnenuntergang am Atlantik
Max Frisch sagt:: »In der Welt zu Hause zu sein und doch nirgendwo so, dass er es als seine Bleibe für die Ewigkeit ansieht.«

So ist letztlich mein eigener, unruhiger Geist der größte Beeinflusser. Und dann eben doch mein Vater, dessen Blut in meinen Adern fließt. Ich bin dankbar dafür … und freue mich schon auf das nächste ‚Unterwegs sein‘… Reisen


PS: Alle Fotos in diesem Post stammen von Anfang der 80er-Jahren, als wir die Welt - bzw. kleine Teile davon - mit unserem Wohnmobil ‚Cubitus‘ eroberten …

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