Von der genutzten Lebenszeit oder Der freie Tag




Ich habe einen freien Tag. Mitten in der Arbeitswoche. Für mich ist das immer irgendwie ein bisschen wie geschenkte Zeit. Die bekomme ich einfach so…
So nehme ich mir dann auch vor, den Tag zu genießen. Keine wirklichen Verpflichtungen, keine Termine, keiner der etwas von mir will, ausschlafen.

Doch natürlich wache ich zu meiner üblichen Aufstehzeit auf: 5 Uhr. Schön, denke ich, ich brauche jetzt noch nicht aus dem Bett und drehe mich nochmal um. Das ist ja schließlich der Luxus eines freien Tages: liegen bleiben können. Aber spätestens um 6 Uhr bin ich hellwach. Und da ich kein so ein Ewig-im-Bett-Rumlieger bin, stehe ich eben auf. Auch gut, umso mehr habe ich dann von diesem Tag.

Erstmal in aller Ruhe einen Kaffee trinken. Clyde denkt noch nicht im Traum daran sich zu rühren (er ist von Natur aus ein Langschläfer) und ich brauche somit auch nicht sofort mit ihm Gassi gehen. Ich richte sein Frühstück – das er meistens sowieso nicht isst (eben Morgenmuffel) – und gönne mir noch ein Tasse Kaffee.

Dabei überlege ich, was ich mit diesem »geschenkten« Tag anfangen soll. Ich könnte einen Ausflug machen, shoppen gehen, gemütlich auf dem Sofa sitzen und lesen, Tee trinken, malen, schreiben … oder einfach mal nichts tun.

Doch dann fällt mir ein, dass ich unbedingt noch staubsaugen sollte und Wäsche waschen, den Müll runterbringen und die Steuererklärung vorbereiten, einen Blogbeitrag schreiben und und und …. Ganz meinem Sternzeichen Jungfrau entsprechend, liste ich die Dinge, die ich an ToDos zu erledigen habe mal auf. Und während des Schreibens fallen mir gefühlte hundert Aufgaben mehr ein. Naja, denke ich, schon weniger gut gelaunt, ist ja auch schön, diese Dinge dann mal ohne Hektik und so zwischendrin machen zu müssen, sondern in aller Ruhe.

Ich sitze da und betrachte die Liste. Also wenn ich das heute alles erledigen will, dann ist der Tag rum. Zwischendrin sollte ich ja auch noch mit dem Hund Gassi gehen und bei meinen Eltern nach dem Rechten schauen. Ich fange an, mich etwas gestresst zu fühlen. So war das mit dem freien Tag eigentlich nicht gedacht.

Fast will ich resignieren und sitze eine ganz Weile tatenlos vor dem Zettel. Schon ist die erste Stunde dieses kostbaren Tages vorbei und ich habe noch keine Minute davon genutzt. Der Gedanke drängt sich auf, warum ich immer denke, dass ich Zeit ausnutzen müsste. Es resultiert wohl aus dem Gefühl, immer zu wenig davon zu haben. Aber weiß ich nicht – zumindest vom Verstand her – dass ich jeden Tag 24 Stunden habe und es nur darauf ankommt, was ich daraus mache? Aber gerade das ist es ja in diesem Moment. Was mache ich daraus? Und ist nicht »nichts tun« auch genutzte Zeit?

  
Aber so einfach nichts tun? Wieder der kleine Teufel auf meiner Schulter, der flüstert: Dann hätte ich doch diesen freien Tag gar nicht ausgenutzt!

Meinen Terminkalender habe ich im Kopf und weiß, die nächsten Tage hetze ich wieder durch den Alltag. Und dabei bleibt so vieles auf der Strecke, zum Beispiel Zeit mit Freundinnen, Familie, mit mir selbst.
Ich wünsche mir Zeit, die nicht verplant ist. Die dahinfließen kann. Die wieder Kreativität und Raum gibt.
Muße zum Denken oder zum Nicht-Denken. Lebenszeit

Mir kommt der Gedanke, dass Zeit doch einfach nur die Form ist, durch die das Leben fließt. Je enger diese Form ist, desto weniger Leben fließt hindurch. Je weiter sie ist, desto mehr Leben bietet sich mir an. Ich meine, alles braucht seine ganz eigene Zeit: das Frühstück eine andere als der Sport, eine Umarmung eine andere als eine Plauderei, das Verstehen des Leidens eine andere als das Begreifen des Glücks.
Nehme ich mir nicht die Zeit, die ich für mein Leben brauche, dann geraten die Dinge nicht so, wie ich sie mir wünsche. Dann gerate ich in Spannung. Dann bin ich weder bei mir noch bei dem was ich tue. Dann passe ich nicht in die Zeit hinein, in der ich gerade bin. 

Aber ich habe doch – wenn ich ganz ehrlich bin – genug Zeit zum Leben. Ich habe genug Zeit für das Wichtigste. Die Frage ist nur, ob ich das jeweils Wichtige suche und tue …

Und was habe ich letztlich getan? Nun, die ToDo-Liste habe ich zerrissen und es mit Scarlett O’Hara gehalten: »After all, tomorrow is another day.« Oder ganz simpel: »Verschieben wir’s auf morgen.«

Und dann habe ich meinen Clyde genommen und wir zwei haben einen wundervollen kleinen Ausflug gemacht. Sind spazieren gegangen, haben in einem netten Café gesessen, ein großes Stück Kuchen verdrückt und dabei die Leute um uns beobachtet … alles ohne einen Blick auf die Uhr oder das Handy (das hatte ich vorsorglich gar nicht dabei) zu werfen.
Wieder zuhause habe ich mir etwas Leckeres zu Essen gekocht und später den Abend mit Tee und Lektüre auf dem Sofa verbummelt.

Geschenkte Lebenszeit.

In diesem Sinne …

As always
Thank you for your time
Herzlichst
Wiebke

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