Die Wiederentdeckung der Langsamkeit



»Altersproblem: Die Zeit nimmt ab und die Langsamkeit zu.« (Henriette Wilhelmine Hanke)

Mein Hund Clyde kommt in die Jahre. Seine Haare werden grauer, er schläft mehr, tobt nicht mehr so viel herum und seine Macken sind etwas ausgeprägter. Und er läuft langsamer. Seit er eine Kreuzbandriss-OP hatte sowieso. Somit, wenn wir spazieren gehen, heißt das dann auch für mich: einen Gang runter schalten.

Anfangs hat mich das so richtig genervt, bin ich doch von Natur aus eher ein Schnellgeher. Und dann diese "erzwungene" Langsamkeit – geht gar nicht! Oder doch? Nun, erstmal habe ich keine Wahl, ich muss mich der Geschwindigkeit meines Hundes anpassen und merke wie schwer es mir zunächst fällt. 

Doch, inzwischen finde ich so langsam Gefallen am Langsamen. Denn diese Langsamkeit bietet die Chance, das, was wir tun, auch zu erleben, was um mich ist, wahrnehmen. Während ich dann so vor mich hintrödele sehe ich mehr, ich rieche, ich spüre die Wärme oder Kälte. Ich habe Zeit zum Nachdenken – oder auch nicht. Ich bin einfach mitten im Moment. Und denke: Wieder einmal erteilt mir mein Lehrmeister Clyde eine Lebenslektion.

Der Bedarf nach Ruhe wächst in hektischen Zeiten und die Möglichkeit dafür ist in unserer Gesellschaft seltener (und wertvoller) geworden. Einfach Zeit haben, zum Denken und Reflektieren, zur Muße, um neue Ideen entwickeln zu können oder auch mal nichts zu tun – statt im ewig gleichen Hamsterrad zu strampeln. Und ich denke, dabei geht es um weit mehr als nur ein bisschen Wellness für die gestresste Seele; es geht darum, Zeit für das Wesentliche zu finden – sowohl im Arbeitsleben wie auch außerhalb.

Ich setze mich nicht zum ersten Mal mit dem Thema Ruhe und Langsamkeit auseinander. Aber bin nun wieder daran erinnert worden. Auch als ich kürzlich eine Liste der angefallenen Überstunden sah – meine eigenen (die sich sehr in Grenzen halten), aber vor allem die mancher Arbeitskollegen. Nicht umsonst beschäftigen sich Arbeitgeber mit dem Thema, weil man immer wieder liest, hört und im eigenen Büro mitkriegt, dass die Fehltage durch psychische Erkrankungen massiv steigen (gerade hatte ein 40-jähriger Kollege einen Herzinfarkt und ein anderer – auch gerade mal Anfang 50 – fällt wegen Burn Out mehrere Monate aus).

»Es bedarf einer menschenmöglichen Geschwindigkeit, und die gibt es nicht mehr«, analysiert der ehemalige Vizekanzler, Franz Müntefering

Tja, wäre es nur immer einfach so einfach, das eigene Leben abzubremsen! Das ähnelt doch manchmal eher einer Dampflok, die schon viel Fahrt aufgenommen hat. Gut, wenn man das Internet befragt oder die Reihe der entsprechenden Ratgeber in der Buchhandlung sieht, werden uns überall zeitsparende Tipps und "schnelle Entspannungstricks" offeriert, doch leider sind diese keine Therapie, sondern ein Symptom der allgemeinen Hetze. Alleine die Vorstellung, sich "mal eben schnell zu entspannen", ist absolut wiedersinnig. Es fehlt die Zeit für echte Ruhepausen. Und in Seminaren zum Thema Zeitmanagement lernt man vor allem, Arbeitszeit effizienter zu nutzen – nicht aber, sich Zeit zu lassen. Das hat den paradoxen Effekt, dass man noch mehr Dinge in noch kürzerer Zeit erledigt und auf lange Sicht noch gestresster ist.

Vielleicht beginnt das echte Umdenken mit der Erkenntnis, dass man nicht persönlich versagt, wenn einem gefühlt die Zeit knapp wird. Im Gegenteil. Denn das Leiden an der Zeitnot ist längst ein gesellschaftliches Problem, das uns alle verbindet – Angestellte wie Selbstständige, Politiker wie Manager, Unbekannte wie Prominente. Das Gefühl des Gehetztseins ist ein Charakteristikum unserer modernen "Beschleunigungsgesellschaft", die durch ständig steigende Erwartungen und den Drang zum Immer-mehr und Immer-schneller gekennzeichnet ist.
So verlagert sich oft der äußere Zeitdruck nach innen. Es entsteht das Gefühl der Notwendigkeit, den Terminkalender randvoll zu packen, weil man ja sonst wertvolle Zeit vertrödelt. So träumen wir dann einerseits von unbeschwerten Auszeiten, halten es andererseits aber nur schwer aus, wenn einmal nichts zieht und drängt, wenn nichts mehr bimmelt, klingelt und uns ablenkt.

Im Sommer habe ich mir eine Auszeit von ein paar Wochen gegönnt. Wirklich einmal nichts tun müssen, nur dürfen, spontan entscheiden was ich anfange und was ich lasse, der Zeit Zeit lassen und mir auch. Schlafen gehen, wenn ich müde bin, aufstehen, wenn ich wach werde (ohne Wecker). Dem Tag die Chance geben, sich selbst zu entwickeln – mir auch.
Ich lernte in diesen Wochen, dass einer der ersten Schritte auf dem Weg zu mehr Muße darin besteht, sich der äußeren und inneren Hindernisse bewusst zu werden (also z.B. dem Gehetztsein von außen keinen Raum zu geben oder meiner inneren Unruhe auf die Finger zu schauen). Daraus resultierte die Erkenntnis, dass meine innere Ruhe nichts mit der Zahl der mir gegebenen Stunden zu tun hat, sondern mit einer inneren Haltung: Gelingt es mir, einmal ganz bei mir selbst anzukommen und zufrieden zu sein?

Mir fiel auch auf, dass ich am ersten dann diese Momente der Ruhe empfinde, wenn ich selbst über mein Tun (oder Nichtstun) bestimme und wenn ich mich ganz einer Sache widmen kann. Der eine erlebt dies vielleicht beim Wandern, die andere beim Gärtnern, der Dritte im Rockkonzert oder, warum nicht, beim kreativen Arbeiten oder im Spiel mit Kindern. Kinder sind ohnehin geborene Müßiggänger, weil sie nicht – wie wir Erwachsenen – alles nach Effizienz und Nützlichkeit beurteilen, sondern viele Dinge einfach um ihrer selbst willen tun. In der Hinsicht kann man viel von ihnen lernen.
Mit anderen Worten: Ruhe stellt sich nicht von selbst ein, sondern bedarf der sorgsamen Pflege. Ein guter Start dafür wäre die simple Frage: Wann ist eigentlich genug?

»Genuss ist das Vergnügen an der Langsamkeit«. (Prof. a.D. Dr. Matthias Scharlach)

Diese neu entdeckte Langsamkeit kam mir zugute, als ich kürzlich ein Seminar zum Thema Cranio Sacral Healing besuchte. Eine sehr sanfte Therapieform, die darauf ausgerichtet ist, den inneren Heilungsprozessen wieder Raum zu geben, sie zu aktivieren. Die "Sitzungen" finden in einem sehr entspannten Zustand statt – für den Klienten und für den Praktizierenden. Denn wenn ich dabei nicht in meiner Ruhe bin, kann ich das auch nicht vermitteln. Ein sehr spannendes Erlebnis und ich bin gespannt wohin mich diese Reise noch führt.

So genieße ich an vielen Stellen in meinem Leben diese "Langsamkeit", die Mußestunden, die Ruhephase. Ich habe auch nicht das Gefühl, ich müsste jetzt an anderer Stelle meine Schnelligkeit steigern um die ‚Zeit einzuholen‘ … und ich will auch nicht die Langsamkeit so pflegen, dass ich letztlich in Trägheit ende. Es ist wohl – wie so oft die Mitte, den Rhythmus finden zwischen dem Schnell und Langsam.

In diesem Sinne, wünsche ich eine wundervolle Woche – egal ob schnell oder langsam, Hauptsache in Deiner eigenen Geschwindigkeit.

As always,
thank you for your time.
Wiebke

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