»What every artist must learn is that even the
failed pieces are essential.« (Rob Bell)
Viele haben es ja inzwischen schon mitgekriegt, ich male.
Und das sehr gerne. Für mich ist es eine wundervolle Entspannung und dass
Kreativsein beflügelt gleichzeitig meine Lebensgeister. Doch, wie die meisten
Menschen, war ich jahrzehntelang davon überzeugt: das kann ich nicht! Natürlich
hatte ich dabei Bilder von Monet, Cézanne, van Gogh oder ähnlich berühmter
Künstler vor Augen.
Zugegeben, ich hatte bis dahin nicht mal versucht ein Bild
zu malen. Doch irgendwann begann ich einfach und lernte. Eines der wichtigsten
Dinge, war und ist meinen inneren Hang zum Perfektionismus abzulegen. Das
heißt, ich habe gelernt, dass Perfektionismus ein sehr relativer, sehr
dehnbarer Begriff ist. Und ich lernte die Wörter 'genug' und 'gut genug' neu kennen …
Die Aussage 'gut
genug' scheint heute immer
mehr in Vergessenheit zu geraten. Zwei Wörtchen, die vom Aussterben bedroht scheinen,
wie so manche Tierart. Bedroht von Chefs, die immer mehr erwarten, von
Werbespots, dem Fernsehen und diversen Hochglanzmagazinen, die uns weismachen,
ohne perfekte Figur oder Frisur, ohne perfekte Wohnung, ohne exotische Reisen
oder ohne Alexa, sind wir nichts wert. Doch ich glaube inzwischen, wenn wir
wieder freier atmen und leichter leben wollen, sollten wir diese Wörtchen
dringend wiederbeleben: Es ist genug! Es ist gut genug!
Wie oft versuchen wir, immer alles besser, schneller, toller
machen zu wollen – auch uns selbst. Weil es möglich ist? Naja, es ist auch
möglich, den Atlantik zu durchschwimmen oder ein Buch auswendig zu lernen.
Trotzdem tut das (fast) keiner. Warum? Weil es superanstrengend ist und
letztlich das Leben auch nicht besser macht.
»Das ganze Leben ist
ein Experiment.« (Ralph Waldo Emerson)
Unbewusst schauen wir auf uns selbst mit einem Blick, der sich der unerbittlichen Optimierung unterworfen hat. Und zusätzlich versuchen oben genannte Medien, Politiker, Coaches etc. uns ständig davon zu überzeugen, dass gut genug nie nie nie genug sein kann. Sondern dass alles, wir eingeschlossen, immer leistungsfähiger und immer besser werden muss. Woher sollen wir da noch das Gefühl haben, richtig zu sein? Stimmig? Okay? Oder gar: Zufrieden mit uns selbst?
Heiraten, Kinder kriegen, arbeiten, Haus bauen und eine
ehrbare Person sein. Das war vielleicht im letzten Jahrhundert ein
erstrebenswertes Ziel. Heute klingt das doch eher wie der bedauernswerte
Lebensplan eines Losers.
»jeder Mensch
ist ein malig
das ist genug« (Anke
Maggauer-Kirsche)
Wie wäre es da, statt unsere Anstrengungen stets weiter und
weiter zu vergrößern, einen ganz anderen Weg zu gehen. Wir könnten die
Ansprüche an uns und unser Leben verringern: vom (vermeintlich) Besten hin zu 'Gut genug' oder einfach 'genug'.
Angenommen du könntest es wirklich nicht besser machen, du
könntest es nur so machen, wie du es gerade machst, könnte das was du tust gut
genug sein?
Das Prinzip 'Gut
genug' ist ein Stück
Weisheit. Es macht uns unabhängig vom Außen, von Urteilen. Denn es lehrt, Glück
und Zufriedenheit in uns selbst zu suchen. (ein Prinzip, dass die Erleuchteten
aller Kulturen gemein haben). Es geht eine unheimliche Kraft von der Idee des 'gut genug' aus; es stellt eine neue Art der Beziehung zu unserem Leben
her. Gut genug wofür? Um was zu sein? Um was zu erfüllen? Die Frage ob etwas
gut genug ist, hilft uns, uns an den wirklichen Notwendigkeiten und Bedürfnissen
zu orientieren. Die Antwort des 'gut
genug' ist nur in uns selbst
zu finden. Ein Maßstab, der nur in uns und für uns existiert. Das macht
unabhängig und frei.
Gut genug sein – Balsam für die Seele. Ein Fest. Es ist wie
nach Hause kommen: tief durchatmen, die Tür hinter sich schließen, wissen, ich
habe genug getan; jetzt darf ich ich sein. Dieser Moment, wenn alles in Dir
sagt: es ist okay so wie es ist. Wie die gute Freundin, die mich mag, auch wenn
sie um all meine Fehler weiß. Dieser milde Blick des gut genug bereichert das
Leben. Denn sind wir doch mal ehrlich, extrem selten ist etwas nur gut oder nur
schlecht. Doch wir haben uns angewöhnt, immer nach dem Besten (Besseren) zu
gucken und alles in schwarz und weiß einzuteilen. So ist 'gut genug' auch eine Idee – oder ein Vorschlag - das Leben nicht zwischen hammergeil und derb
scheiße zu vergeuden. Sondern uns selbst und dem manchmal zunächst
gewöhnungsbedürftigen Alltag eine Chance zu geben.
Wirklich kostbar ist 'gut
genug' für unseren
Seelenfrieden. In jedem von uns – oder unserer Seele, wenn man den Ausdruck mag
– hausen dunkle Dämonen (in der Psychologie haben sie sogar einen Namen: 'Introjekte'). Es ist dieses gemeine Über-Ich, dass immer unsere
schwächste Stelle angreift. Der unbarmherzige innere Kritiker, der nie ein
gutes Haar an uns lässt. Der alles vergiftende Perfektionismus. Sobald diese Dämonen Macht gewinnen, finden
wir normalerweise, dass wir wie eine Qualle nach einer durchgezechten Nacht
aussehen; übermalen die Leinwand zum x-ten Mal und die neue Jeans sieht
plötzlich aus wie ein nasser Sack. Kurz: Wir können uns nicht ausstehen. Und
dann ist es verdammt schwierig, diesen Dämon zum Schweigen zu bringen, der
behauptet, wir sind nichts wert. Und solange wir suchen, ob wir nicht
vielleicht doch etwas wert sind, werden wir immer etwas finden, dass uns das
Gegenteil zu beweisen versucht.
Dann vielleicht doch mal ein 'gut genug'?
»Die Inspiration ist
ein solcher Besucher, der nicht immer bei der ersten Einladung erscheint.«
(Tschaikowsky)
'Gut genug' – so wird jetzt sicher der eine
oder andere einwenden – ist doch nur eine faule Ausrede 'gut
genug' bedeutet nicht, dass
wir nicht mehr wachsen sollen; dass wir stehen bleiben. Denn es geht nicht
darum, eben diese Dinge zu verhindern und untätig vor der Glotze zu hängen.
um nichts zu tun, eine
Aufforderung zum Mittelmaß, ein Nein zu einem erfüllten Leben. Ich denke, das
Gegenteil ist richtig. Denn
Es bedeutet, dass wir nicht ständig nur in dem leben, was
nicht unser Leben ist. Dass wir nicht ständig unsere Optionen auf 'Morgen' setzten, wenn endlich alles besser ist.
Es ist kein Aussetzen von Leistung (irgendeiner Art), ich
finde, es ist eher die Grundlage dafür. Unser Selbstwertgefühl ist eine Wertung
und nur, wenn wir uns auch mal 'gut
genug' finden, sind wir
handlungsfähig.
Ich denke, kein Kunstwerk würde existieren, wenn Monet,
Cézanne, van Gogh oder auch John Lennon sich nicht irgendwie gut genug gefühlt
hätten. Gut genug ist in meinen Augen keine Resignation, weil wir es vielleicht
im Moment nicht besser können. Es ist er der Griff, um unser Ich-Ideal – dass
uns ständig sagt wer und was wir sein sollen, dass uns klein hält – davon
abzuhalten den Dämonen die Oberhand zu geben. Wenn wir uns erlauben, gut genug
zu sein, haben wir nicht etwas resigniert. Sondern uns überhaupt erst die
Möglichkeit gegeben, etwas zu schaffen.
Sogar die Evolution sucht nicht einfach nur den Besten aus,
sondern den, der am besten an seine Umwelt angepasst ist - nicht perfekt, aber
gut genug zum Überleben. Es spricht überwältigend viel dafür, dass wir im
Streben nach Mehr und Bessrem nicht überleben werden. Denn auch das Leben ist
nicht immer gut. Aber doch immer überwältigend gut genug.
Wie befreiend ist da:
Genug gearbeitet für heute.
Genug Geld auf dem Konto, um heute glücklich zu sein.
Genug erreicht.
Genug PS im Auto, Speicherplatz auf dem Handy und Freunde
auf Facebook.
Genug Freizeitaktivitäten und Reisen.
Genug maximiert. Du brauchst nicht alles aus Dir und Deinem
Leben herausquetschen wie aus einer Orange.
Genug minimiert. Du brauchst nicht magersüchtig mit Dingen
umgehen.
Genug Informationen gesammelt, um Dich zu entscheiden.
Darum, ein Hoch auf 'gut
genug' für heute.
»Was genug ist, ist
niemals zu wenig.« (Seneca)
Ach ja und was hat das nun alles mit meiner Malerei zu tun?
Nun, als ich wieder anfing zu malen, habe ich mir – so bin ich halt – gleich
mal ein ganz schwieriges Bild zum Nachmalen rausgesucht. Und was soll ich
sagen: es sah nicht im Entferntesten wie das Original aus. Fast w
ollte ich das
Ganze schon wieder aufgeben, aber dann kam doch der Dickkopf durch und ich
versuchte etwas Anderes. Und das immer und immer wieder. Nein, ich kann nicht
sagen, dass mir alle meine Bilder auf Anhieb gefallen. Klar, ich lerne mit
jedem Bild mehr über Techniken und Methoden, Farben, Unter- und Hintergründe –
aber sie sehen trotzdem nicht aus wie von Monet oder Dali. Doch das müssen –
und sollen sie auch gar nicht. Denn es ist sind meine Bilder, meine
Interpretationen der Dinge, die ich sehe.
Was auch spannend ist, dass ich anfangs oft dachte: noch
hier oder da ein, zwei, drei Pinselstriche und dann ist das Bild perfekt – und
es damit nicht selten komplett zunichte machte. Es einfach 'gut genug' finden und sein lassen – eine Kunst in der Kunst. Perfekt war
gestern …
… darum bastel ich jetzt nicht noch drei Tage an diesem
Text. Er ist gut genug …
… und für heute, auch genug von mir.
As always
Thank you for your time
Wiebke
PS: mehr Bilder von mir gibt es auf www.late-art.jimdo.de
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