Loslassen. Nichts macht reifer ...

Es ist schon eigenartig, dass wir selbst beim LOSLASSEN noch meinen, wir müssten etwas leisten.


... Diesen Satz las ich kürzlich irgendwo und er machte mich nachdenklich. Der Umkehrschluss wäre doch, dass loslassen keine Arbeit ist ...

Ich denke darüber nach, zum einen natürlich, weil ich gerade dabei bin, viele Dinge hinter mir zu lassen – los zu lassen. Doch auch weil auch ich – bisher – meist das Loslassen als eine ‚Arbeit’ die ich leiste, empfunden habe.


In Gedanken erstellte ich mir eine Liste der Dinge, die man los lassen kann, soll, darf:


Ängste und / oder Belastungen

Ich glaube, es ist wichtig, gerade angstbeladene Ereignisse und Erfahrungen los zu lassen, zumindest schrittweise. Damit das Leben sich nicht an ihnen festkrampft. Angstvolles hergeben, sogar vielleicht vergessen können kann eine Gnade sein.



Zweifel

Für viele Menschen ist der Zweifel ein gefährlicher Feind. Man darf ihm keinen Raum geben, weil man dann seine Hoffnung oder gar seinen Glauben verlieren könnte. Jeder Zweifel muss darum verdrängt werden – bis man schließlich eine ganze Seite von sich selbst abspalten muss. Zweifeln kann viel mehr anstrengen als das Glauben oder Nichtglauben an eine Sache. Um wirklich zweifeln zu können, muss ich alte Ansichten loslassen. Aber Zweifeln und Im-Glauben-weiterkommen gehören eben zusammen. Zweifel sind eine Voraussetzung für Veränderung und Wachstum. Wer wachsen will, muss zweifeln. Und wer nicht zweifeln will, wird auch nicht wachsen.



Ansichten

Loslassen bedeutet Abschiednehmen können. Sich von seinen eigenen Ansichten von Zeit zu Zeit schmerzfrei verabschieden zu können. Dies führt zu einer inneren Freiheit - und eine Vielzahl von inneren Freiheiten summiert sich letztlich zu einer tiefen Weisheit.



Krankheit

Ein Segen, wenn man diese loslässt. Doch halt, das gilt nicht für jeden. Es gibt viele Menschen, die können ihre Krankheit nicht loslassen, denn der so genannte ‚sekundäre Gewinn’ (der z.B. durch vermehrte Aufmerksamkeit usw. äußert) ist so hoch, dass ein Loslassen unmöglich scheint und die Vorteile des gesund seins nicht gesehen werden. Doch lasse ich die Krankheit (und es ist gleich um welche Form – seelisch oder körperlich – es sich handelt) los, bestimmt sie nicht mehr über mich und mein Leben. Erst dann kann Heilung geschehen.



Vergangenheit

Wer kennt nicht den Spruch: Lassen wir Altes hinter uns und gehen wir Neuem entgegen! Oder auch: Wer Zukunft gewinnen will, der muss Vergangenes loslassen. Auch wenn das loslassen weh tut. Das ist eine Lebenserfahrung, die jeder von uns schon gemacht hat.

Es hat sich zu viel in unserer Welt verändert, dass alles bei uns beim alten bleiben könnte. Neues und Veränderungen machen aber Angst. Wer weiß, ob das Neue gut wird? Diese Angst steckt in vielen von uns. Und sie ist verständlich. Gegen Angst hilft Vertrauen.

Doch will ich mich durchaus an meine Vergangenheit erinnern. Erinnern darum, weil es mir hilft aus den Erfahrungen zu lernen und meine Zukunft zu gestalten. – Aber erinnern ist nicht sich daran kleben bleiben. Hier gilt mit Sicherheit: was wir loslassen, kann uns nicht mehr festhalten.


Doch oft gilt es auch loszulassen von zunächst sehr positiv auf uns wirkende Dinge, wie z.B.


liebgewonnen Gegenständen

das alte nicht mehr so ganz funktionierende Radio, die Kinderbücher, der ach so bequeme Pullover, der Kerzenständer von einer alten Freundin ... die Liste ist lang. Doch auch hier kann sich loslassen positiv auswirken. Und trotzdem: es fällt ihr keineswegs leicht, sich von all den Dingen zu trennen. Zu viele Erinnerungen sind mit ihnen verbunden. Mancher denkt daran zurück, wie oft er schon Vertrautes und Liebgewonnenes hatte zurücklassen müssen. Das war bitter - aber es war auch zu verkraften.

Ich stelle mir den Menschen wie einen Computer vor, der eine große, aber dennoch begrenzte Speicherkapazität hat. Irgendwann ist der Speicher voll. Und dann? Ich sitze dann vor meinem Rechner und überlege krampfhaft, welche Dateien ich löschen kann, welche ich doch vielleicht noch auf CD brenne (die ich nie wieder aus der Schublade hole) und welche ‚lebenswichtig’ sind und bleiben. Doch irgendwas muss ich löschen, damit ich weiterarbeiten kann. Ebenso ist es beim Menschen ...



eine Liebe (die zuende oder ‚erfolglos’ ist)

der wohl für uns Menschen mit den meisten Schmerzen verbundene Vorgang; Nirgends mehr als hier kommt das Gefühl auf einen Teil seiner selbst aufzugeben, los zu lassen. Sich selber vielleicht sogar zu betrügen, zu hintergehen.

Liebe loslassen tut weh, aber gerade hier ist es eine Chance für einen Neubeginn sein! Der Ist-Zustand und auch wir können uns nicht verändern, wenn wir festhalten! Wir müssen loslassen zum ändern – uns und das Leben und die Liebe, die wir geben. Was wir festhalten, kann sich nicht bewegen. Und was sich nicht mehr bewegen kann, stirbt ab. Und nichts ist schlimmer, als wenn in uns die Liebe stirbt ..


Freunde

Abschied tut weh. Meistens. Selten hat man sich im Griff, wenn es ans Loslassen geht. Keiner kann sich vor Abschieden schützen. Wenn Menschen aus ihrem Leben erzählen, ist Loslassen und Neubeginnen wie ein roter Faden, der sich durch eine Biographie hindurchschlängelt. So viele auch unfreiwillige Abschiede. Und trotzdem, ob ich wollte oder nicht, ich habe loslassen müssen, sonst hätte ich nicht weiterleben können.



Ziele

Auch das ist ein nicht ganz einfacher Prozess. Oft arbeiten wir doch jahrelang dafür ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Und plötzlich erkennen wir, dass es nicht erreichbar ist – oder vielleicht sogar das falsche Ziel ist. Und dann? Auch hier ist es wichtig loszulassen. Sich von den alten Idealen verabschieden um Neue zu finden. Es ist nicht schlimm, wenn etwas, dass vor einiger Zeit noch gut war, nun nicht mehr stimmig ist, nicht mehr in mein Leben passt.

Loslassen und nicht festhalten an dem, was man sich wünscht und auch aufbrechen und unbeirrbar für Ideale zu kämpfen: in dieser Spannung besteht das Leben.



Mein Fazit: ich kann nicht zustimmen, dass loslassen keine Leistung ist. Im Gegenteil. Ich finde ich muss sehr wohl etwas leisten. Ein Stück Trauerarbeit z.B., denn ich gebe ja einen Teil – wenn auch vielleicht nur ein kleiner – von mir her, gebe ihn auf.

Doch um loslassen zu können, braucht es Vertrauen, Vertrauen in das Leben. Halten wir uns und andere nicht fest! Festhalten ist immer ein Zeichen mangelnden Vertrauens ins Leben. Vielfach ist es Angst vor Neuem, Unbekanntem. Hier kommt wieder das Vertrauen ins Spiel. Vertrauen wir uns dem Neuen an! Haben wir den Mut, ja zu sagen zum Neuen!



Ich will jetzt – nein, ich darf - das Alte loszulassen und zum Neuen weitergehen ... und reifer werden!

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