<< Nur Du alleine schaffst es, aber alleine schaffst Du es nicht. >>
Die meisten Leser meines Blogs wissen um
meine doch recht turbulente Lebensgeschichte. Diese war viele Jahre lang vor
allem geprägt durch meine Alkoholkrankheit und massiven Essstörungen. Eine
viermonatige Therapie im Jahr 98/99 half mir – nach vielen vorherigen
vergeblichen Versuchen – endlich von der Sucht loszukommen und seit dem führe
ich ein abstinentes, fast gänzlich suchtfreies Leben. Nur fast, da ich das mit
dem Rauchen noch nicht so ganz lassen kann. Noch finde ich nicht die rechte
Motivation aufzuhören und rede mich damit heraus: ein Laster braucht wohl jeder
Mensch, ich bin ja schließlich kein
e Heilige.
Ich bin seit über 15 Jahren trocken,
bzw. symptomfrei. Doch es ist nicht etwa so, dass in diesen Jahren immer nur
alles gut war, nein, das kann ich wirklich nicht behaupten. Es gab viele
Berggipfel mit Aussicht zum genießen, aber auch einige Herausforderungen und
Täler, die ich durchwandern durfte. Doch ich habe all die Höhen und Tiefen –
die ich früher nur im Rausch ausgehalten habe – mit einem klaren Kopf
gemeistert. Und ich bin auch heute noch stolz auf diese Leistung.
Geholfen hat mir nicht nur die Therapie,
sondern auch, dass ich den Rat meiner Therapeutin beherzigte und mir gleich im
Anschluss an die Zeit in der Fachklinik auf dem Höchsten eine Selbsthilfegruppe
gesucht haben. Gleichwohl, ich war
zunächst etwas skeptisch, wusste ich doch nicht, was mich da erwartete. Die
Klinik ist die eine Sache, aber wie war das im reellen Leben, im normalen
Alltagsumfeld? Was für Menschen würde ich dort treffen? Als ich 94/95 in meiner
ersten Therapie in Zwiefalten war, hatte mir meine damalige Therapeutin einen
Besuch der Anonymen Alkoholiker verordnet. Doch ich war zu der Zeit noch der
festen Überzeugung kein Alkoholproblem zu haben. Und da gehörte ich doch echt
nicht hin. Mit dieser Einstellung war das Ergebnis des Besuches vorauszusehen:
Ich fand die Typen sehr komisch und das ganze Meeting ziemlich doof. So
tauchten jetzt vor meinem inneren Auge ein paar ältere Herren auf, die im Kreis
saßen und davon redeten nicht trinken zu dürfen.

Ich hatte eine kleine Wohnung in Stetten
gefunden und noch kein Auto. So suchte ich mir also eine Selbsthilfegruppe in
der Nähe und kam am 06. April 1999 zum Freundeskreis in Leinfelden. Genau
gesagt heißt der Verein Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe e.V (http://www.freundeskreise-sucht-wuerttemberg.de/index.php). Ein bundesweiter Verband von Selbsthilfegruppen. Die Leinfelder
Gruppe bestand damals aus circa 15 bis 20 Leuten, entweder selber Betroffenen
oder Angehörigen, die sich einmal in der Woche trafen. Erstaunt war ich darüber,
hier Männer und Frauen jeder Altersgruppe und aus jeder gesellschaftlichen
Schicht anzutreffen. Manche kamen schon seit Jahren, ja Jahrzehnten. Motivierend,
Menschen zu treffen, die seit Jahren ein abstinentes Leben führten. Es war also
möglich!
Es wurde über vieles gesprochen. Über unsere
Sorgen und Nöte, aber auch Erfolge. Über den Umgang mit Alkohol und mit der
Abstinenz, aber auch über alles andere was zum Leben gehört. Die ganz
alltäglichen Probleme und wie wir damit fertig werden. Erklärungen sind nicht
nötig, denn jeder weiß, wovon man spricht, wenn man seine Geschichte erzählt.
Wenn man von Scham und Leid, Trauer und Rückfällen spricht. Dem beschwerlichen
Weg in ein trockenes Leben. Oft saß ich da und hörte nur zu. Und jemand erzählt
von sich und plötzlich war es, als würde diese Person von meinem Problem reden.
Die Gruppe war und ist ein geschützter Raum. Was hier besprochen wurde, blieb
hier und das gab mir Sicherheit. Und die Gemeinschaft gab mir das Gefühl: Ich
bin nicht alleine! Jeder hat seinen Platz und ist wertvoll.
Schnell hatte auch ich hier meinen Platz
gefunden und der Montagabend in der Gruppe wurde eine feste Einrichtung in
meinem Leben. Immer dankbar dafür, dass es diese Gruppen, diese Menschen gibt.
Neugierig, wie ich bin, und noch lange
nicht fertig in meiner Entwicklung,
ermöglichte die Gemeinschaft mir die Teilnahme an Seminaren zu ganz
verschiedenen Themen, unter anderem ein Frauenseminar oder ein sehr intensiver
Workshop zum Thema Rückfall. Für mich war bald klar, dass ich gerne etwas von
dem, was ich hier bekam, weitergeben wollte. Ich wollte mich an der Arbeit
beteiligen. So machte ich über die Freundeskreise e.V. eine Ausbildung zum
aktiven Mitarbeiter. Hier lernte ich nicht nur viel über mich selbst, sondern
auch, wie man zum Beispiel eine Gruppe begleitet.
Es war, als wäre in der Therapie auf dem
Höchsten in mir ein Saatkorn eingepflanzt worden, das, da es nun gewässert und
gepflegt wurde, weiterwuchs und sich langsam zu einer kleinen Pflanze
entwickelte. Als ob ich aus einem Tiefschlaf erwacht war und all die ‚verlorenen‘
Jahre des Stillstands nachholen wollte. Ich saugte das neue Wissen auf wie ein
Schwamm. Und in der Selbsthilfegruppe hatte ich auch die Möglichkeit viel davon
gleich in die Praxis umzusetzen, weiterzugeben.
Ende 2003 entschlossen ich mich dann noch freiwilliger
Suchtkrankenhelfer zu werden. Die eigene Lebensgeschichte immer präsent, das
Bewusstsein um die Krankheit, machte diese Zeit noch wertvoller.
In den Jahren die ich in Owen wohnte, vergaß
ich nicht, was meine Gruppe für mich getan hatte. Ich kam nicht mehr so
regelmäßig nach Leinfelden, besuchte aber dafür die Gruppe in Nürtingen. Auf
Seminaren traf man sich aber immer wieder.
Selbst als ich dann für ein paar Jahre
nach USA ging, blieb ich dem ‚Verein‘ treu. Auf meinem
Deutschland-Urlaubsprogramm stand immer mindestens ein Besuch in meiner Gruppe.
Klar das dann, als ich im Februar 2013
zurück nach Leinfelden zog, einer meiner ersten Wege mich wieder in den
vertrauten Kreis führten. Aufgehoben, angenommen, als wäre ich nie weg gewesen.
So ist der Montagabend immer belegt und
bis auf wenige Ausnahmen gehe ich in die Gruppe. Natürlich kommt es mal vor,
dass ich nach einem langen Arbeitstag keine Lust mehr habe, müde bin und am
liebsten die Füße hochlegen würde. Aber ich raffe mich stets auf und gehe und
bin jedes Mal froh darüber. Mein treuer Begleiter Clyde kommt auch mit. Er ist
inzwischen so etwas wie unser Gruppenhund geworden. Nachdem er alle begrüßt hat
und wenn die Runde losgeht, legt er sich bei einem von uns vor die Füße und bleibt
ruhig liegen bis die Gruppe vorbei ist.

Die Themen haben in gewisser Weise immer den Hintergrund der Suchtkrankenhilfe,
aber sie sind auf alle Lebenslagen anwendbar. Jetzt habe ich mir überlegt, hin
und wieder einen dieser kleinen Artikel hier in meinem Blog zu veröffentlichen…
Ach ja, heute, über 15 Jahre nach meinem ersten Besuch, fragen mich die Leute
oft, warum ich immer noch in die Selbsthilfegruppe gehe. Ganz davon abgesehen,
dass hier viele Freundschaften entstanden sind, ist sie für mich ein fester
Ankerpunkt. Und ich wünsche mir für mich, nie in die Überheblichkeit zu
verfallen, es geht mir gut genug, ich brauche sie nicht mehr, meine
Selbsthilfegruppe. Zu viele sind schon genau darüber gestolpert.
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