Langweilig ...


Meine Kollegin war ein paar Tage krank (Grippe). Heute kam sie wieder ins Büro und meinte es ginge ihr schon viel besser und dass sie am Liebsten schon vor zwei Tagen wiedergekommen wäre, da es ihr zuhause irgendwie zu langweilig wurde. … Genau das Gleiche hatte kürzlich ein Kollege gesagt, als er mit schniefender Nase kränkelte und trotzdem zur Arbeit kam. Zitat:» … da (zuhause) weiß ich ja gar nicht was ich den ganzen Tag tun soll!«

Hm, irgendwie gab mir das doch etwas zu denken. Ich meine, es ist nicht so, dass ich meinen Job verabscheue, nein, der ist ganz okay. Aber, ganz ehrlich, wenn ich für ein paar Tage wegbleiben kann, bleibe ich weg. Ganz davon abgesehen, dass man mit einer Grippe keine große Lust hat, irgendwas zu tun. Aber wenn die schlimmsten Symptome vorbei sind und man sich so langsam wieder besser fühlt, aktiver, nicht mehr auf dem Sofa liegen mag und dumme Fernsehshows ansehen, dann wird es spannender.
Mir geht es dann oft so, dass ich anfange, z.B. die Dinge im Haushalt zu tun, die sonst gerne mal im Alltagstrubel liegen bleiben. Ich ärgere mich dann aber manchmal gleichzeitig, dass ich diese ʹgeschenkte freie Zeitʹ nicht besser nutze. Aber wofür?

Nun, gefühlt wird es mir nie langweilig, da ich – wenn ich denn will – immer eine Beschäftigung in meiner Frei-Zeit finde (z.B. mal wieder in Ruhe ein Buch lesen, malen, mit dem Hund spazieren gehen). Und ich nehme mir auch immer mal wieder Zeit nichts zu tun, mich einfach der Langen-Weile hingeben.

Kürzlich las ich irgendwo den Satz: »Warum es uns schadet, dass wir uns nicht mehr langweilen können.« Es ging in dem Text darum, dass wir heutzutage immer schnell dabei sind, uns abzulenken. Jede noch so kleine Wartezeit wird mit WhatsApp, Facebook oder Handy-Spielen überbrückt. Dadurch ist Langeweile für viele Menschen ein Fremdwort (ja, ein Unwort) geworden. Ist wohl ein menschliches Urgefühl: Neben Hunger, Durst und Schmerzen ist uns nur wenig so zuwider wie das schiere Nichts, die Langeweile. …Dabei würde uns ein bisschen mehr davon guttun. Ich meine, im Alltag sind wir ständig gezwungen zu warten: an der Haltestelle, an der Supermarktkasse, im Wartezimmer beim Arzt, im Stau. Mal ein paar Sekunden, mal länger. Für Viele ist da schnell die Versuchung groß, jetzt das Smartphone herauszuholen und ein paar WhatsApp-Nachrichten zu beantworten, eine Runde Candy Crush Saga zu spielen oder Facebook aufzurufen. Das alles verkürzt die Zeit und hält uns beschäftigt. Sonst könnte uns ja langweilig werden.

Aber ist es gut, dass viele Menschen das Warten nicht mehr aushalten und schon nach wenigen Minuten zum Handy greifen? ʹVertane Zeitʹ, könnte man denken. Doch ist Langeweile wirklich überflüssig? Oder sollten wir unserem Gehirn nicht ab und an ein wenig Erholung gönnen – auch tagsüber? Hat es vielleicht sogar negative Auswirkungen, wenn wir es nicht tun?

»Ich denke, wir haben verlernt, in uns hineinzuhören.«, sagt der Psychologe und Humanbiologe Marc Wittmann. Er forscht am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg zu allen möglichen Fragen rund um die Zeitwahrnehmung.
Warten lässt viele unruhig werden. Wittmann kann erklären, warum Menschen schnell zum Smartphone greifen: »In der Zeit, in der wir warten und nicht abgelenkt sind, werden wir uns plötzlich unserer selbst bewusst.« Das heißt also, wir bemerken uns ʹplötzlichʹ selbst und damit auch unsere Körperlichkeit. Erst dann achten wir auf die Zeit. Wenn wir diese aber wahrnehmen, vergeht sie scheinbar ganz langsam, sie dehnt sich. Die Folge: Wir langweilen uns. »Das Erleben von sich selbst und das Erleben der Zeit hängen ganz stark miteinander zusammen – und das kann negative Emotionen auslösen.« so Wittmann.

So frage ich mich, was ist denn Langeweile? Als »eine unangenehme Windstille der Seele« hat Friedrich Nietzsche die Langeweile bezeichnet – »welche der glücklichen Fahrt und den lustigen Winden vorangeht.« Wittmann erklärt: »Etwas überspitzt könnte man sagen, dass man es mit sich selbst nicht aushält.«

Eigentlich ist das ja paradox. Denn es ist doch so, dass viele Menschen darüber klagen, dass ihr Alltag zu hektisch sei und sie viel zu wenig Zeit (für sich) hätten. Ein sehr beliebtes Thema! So könnte doch ein Moment des Wartens ein Moment der Ruhe und eine Pause sein. Man könnte während so einer Wartezeit einfach ganz entspannt mit sich sein, den Gedanken nachhängen und überlegen, was der Tag heute schon so gebracht hat, was ich getan habe …
Aber der Gedanke, einfach vor sich hinzustarren und gar nichts zu tun, lässt viele Menschen unruhig werden. Und außerdem erwarten uns auf dem Smartphone positive Signale in Form von E-Mails, Messages oder Likes. Diese belohnen und bestärken uns, wir sind »ein wenig süchtig« danach, sagt Wittmann. Aber ich bin überzeugt, dadurch bremsen wir unsere Gedanken aus, geben ihnen keinen Raum sich zu entfalten.
Denn auch das kennt wohl jeder: Man starrt beim Zugfahren aus dem Fenster, macht sich bewusst keine Gedanken – und hat plötzlich einen guten Einfall. Oder plötzlich die Lösung für ein Problem im Kopf, über das man schon lange nachgegrübelt hat. Ideen entwickeln sich in ʹleeren Zeitenʹ.
Denn auch wenn der Geist entspannt ist, die Gedanken wandern und das Bewusstsein in die Dämmerung trudelt, wird es keineswegs dunkel im Gehirn: Stattdessen übernimmt dann das Default-Netzwerk die Regie, das nur unwesentlich weniger Energie verbraucht als ein konzentriertes Gehirn.

Wittmann bestätigt das: »Man muss durch die Langeweile hindurch, um auf Ideen zu kommen. In 'leeren Zeiten' entwickelt sich oft etwas im Hinterstübchen, das erst dann ans Tageslicht kommen kann.« - Das ist natürlich nicht immer so sein. Aber wenn es erst gar keinen Raum gibt fürs Abschweifen der Gedanken, weil man sich gleich ablenkt, kann sich nichts entwickeln.

Hier ein kurzer Exkurs, denn es gibt eine Seite der Langeweile, die mich persönlich eher unproduktiv macht. Das passiert z.B. wenn ich dazu ʹgezwungenʹ bin etwa weil ich im Büro einfach wirklich wenig zu tun habe und diese Zeit kaum anders nutzten kann (und ʹin mich gehenʹ ist ob der Lokalität eher schwierig). Da passiert es mir, dass irgendwann gar nix mehr geht. Auch nicht das Genießen der Pause oder aber mich aufzuraffen, irgendwas anderes zu tun (zum Beispiel einen Blogbeitrag schreiben). Mir scheint dann, mein ganzes System fährt einfach runter … Aus meinem Psychologiestudium weiß ich, dass Langeweile im Übermaß durchaus mit Störungen der Psyche einhergehen kann. Zugleich ist sie aber auch eine Triebfeder des menschlichen Geistes, die uns zu neuen Erlebnissen und Gedanken drängt. Vollständig sollten wir das ʹLuxusleidenʹ wohl nicht aus unserem Leben bannen: Denn im dämmrigen Niemandsland der schweifenden Gedanken, so zeigen Versuche von Hirnforschern und Kognitionspsychologen, könnte gerade der Schlüssel zu Kreativität und Erfolg liegen.

Grundsätzlich äußert sich Langeweile dadurch, dass die Gedanken abschweifen. Zugleich kann aber mangelnde Konzentration Langeweile überhaupt erst hervorrufen. Der eine erträgt Monotonie gut gelaunt oder findet selbst in einer Wasserpfütze spannende Details, der andere wird schon hibbelig, wenn er ein paar Minuten auf den Bus warten muss und keine Zeitung zur Hand hat. Psychologen messen diese Anfälligkeit auf der ʹBoredom Proneness Scaleʹ anhand eines Fragenkatalogs. Dabei zeigt sich zum Beispiel, dass Männer aus unbekannten Gründen anfälliger sind als Frauen, dass extrovertierte Menschen eher unter Langeweile leiden als andere, amerikanische Jugendliche eher als deutsche.
Eine besondere Neigung zur Langeweile mag im Einzelfall ein Unglück sein, doch das quälende Gefühl ist keinesfalls nur eine Fehlfunktion der menschlichen Psyche: Neugierde und Abenteuerlust waren höchstwahrscheinlich treibende Kräfte in der Evolution der Menschen – die Langeweile gehört also zum Leben dazu wie der Hunger zu einer guten Mahlzeit.

Die größte Herausforderung an die ʹleeren Zeitenʹ ist, dass es heutzutage fast unendlich viele Möglichkeiten zur Ablenkung gibt. Vor allem durch das Smartphone. Damit steht uns »plötzlich die ganze Welt zur Verfügung. Und umgekehrt stehen wir für andere Menschen ebenfalls ständig zur Verfügung«, sagt Wittmann.
Das ist aber noch nicht alles. Nach einem anstrengenden Arbeitstag schalten wir den Fernseher an, lassen das Radio laufen, lesen Zeitung oder ein Buch und gehen ins Fitnessstudio. »Das sind alles Dinge, die ich und jeder andere gerne machen, und das alles ist nicht schlecht«, erklärt der Experte. »Nur füllen wir eben jede leere Zeit mit Tätigkeiten. Häufig ist das auch eine Flucht vor sich selbst, eben eine Flucht vor der Langeweile.«

Gleichwohl, das Phänomen, dass Menschen ʹtote Zeitʹ füllen wollen, ist nicht neu. Es gibt Hinweise darauf, dass Menschen seit je zumindest zeitweilig von dem grauen Nebel heimgesucht wurden. So bezeichnete im Mittelalter die Todsünde Acedia nicht nur Faulheit, sondern auch Lebensüberdruss, eine Trägheit des Herzens und mangelnde Freude an der Schöpfung. Im 17. Jahrhundert befindet Blaise Pascal , dass »nichts dem Menschen so unerträglich sei, wie in einer völligen Ruhe zu sein, ohne Leidenschaft, ohne Tätigkeit, ohne Zerstreuung, ohne die Möglichkeit, sich einzusetzen«. Noch drastischer formuliert es Immanuel Kant, für den die ʹLeere an Empfindungenʹ ein Grauen erzeugt, »gleichsam das Vorgefühl eines langsamen Todes«. Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard bezeichnet die Langeweile gar als die ʹWurzel allen Übelsʹ.
Klar, der technische Fortschritt verstärkte das Problem auch früher schon. Denn immer dann, wenn durch eine Erfindung Zeit gespart wurde, füllten die Leute die Zeit eben mit anderen Tätigkeiten. So zum Beispiel nach der Erfindung der Waschmaschine. Der Psychologe Wittmann sagt: »Waschen war früher anstrengend und dauerte Stunden. Heute brauchen wir dafür nur einen Knopfdruck. Wir haben sogar Trockner und bügelfreie Hemden.« Nun, für mehr Ruhe im Alltag sorgte das auch nicht.

Der Mensch ist wohl das einzige Wesen, das im Gegensatz zur ʹsituativenʹ (also z.B. die Schlange an der Supermarktkasse) auch zuweilen unter ʹexistenzieller Langeweileʹ leidet. »Man weiß mit sich und der Welt nichts anzufangen und wüsste es doch gerne«, so beschreibt es Martin Doehlemann, der die beiden Begriffe geprägt hat. Existenzielle Langeweile sei »eine Art von Gefühlsparadoxie: ein leeres Sehnen, ein zielloses Streben«.

So denke ich, uns bleibt nur übrig, uns selbst zu ermahnen, in Wartezeiten tatsächlich einmal nichts zu tun. Wittmann rät: »Wir müssen uns ja nicht unbedingt langweilen, wir können auch spazieren gehen (a.d.R. mein Favorit ;-). Wenn wir aber ständig Input haben, weil wir ständig Informationen aufsaugen, ist kein echter Output möglich. Erst wenn wir den Input abschneiden und die Gedanken einfach wälzen lassen, kann eine Idee entstehen.«
Das passiere häufig genau dann, wenn wir gar nicht bewusst denken, etwa beim Joggen.
Oder wir üben uns in Entspannungsmethoden wie Meditation oder Yoga: All das ist darauf ausgerichtet, zur Ruhe zu kommen und sich selbst wieder besser zu spüren. Dass sich viele Menschen mit diesen Techniken beschäftigen, ist laut Wittmann auch eine Reaktion – darauf, dass wir verlernt haben, gelassen und konzentriert für 30 Minuten einfach ruhig dazusitzen, nichts zu tun, sich nur auf das Atmen zu konzentrieren und auf das Hier und Jetzt.

Wir sollten Lange-Weile also aushalten und als Chance sehen, statt sofort Facebook-Nachrichten zu checken oder durch die WhatsApp-Statusmeldungen der Freunde zu scrollen.
Ich bin da zuversichtlich, dass wir wieder lernen können, in Momenten des Wartens zu denken: »Super, geschenkte Zeit, die ich jetzt nur für mich nutzen kann.«

In diesem Sinne, wünsche ich ein lang-weiliges Wochenende.

As always
Thank your for your time
Wiebke

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