Die kreativste Stunde ...



Ich bin seit vier Uhr wach. Für die meisten Menschen ist das wohl eine Uhrzeit in der ihre bewusste Welt noch nicht wirklich existiert. Die Träume bestimmen den Geist oder auch einfach eine tiefe Ruhe und Schlaf. Minimale Bewegung, höchstens mal von einer Seite auf die andere drehen. Weit entfernt vom Tag und dem was er bringen mag. Weit weg von den Herausforderungen, den Aufgaben oder Pflichten und weit entfernt davon, sich irgendwelche Gedanken zu machen.

Nicht so bei mir. Ich bin und bleibe ein notorischer Frühaufsteher. Okay, es gibt Tage, da schaffe ich es durchaus auch, bis um sieben im Bett zu liegen, aber dann ist wirklich Schluss. Ich erlebe es oft, wenn ich erzähle, dass ich ein Frühaufsteher bin, dass mein Gegenüber verständnislos den Kopf schüttelt und es nicht versteht. Immer nach dem Motto: Morgenstund‘ hat Gold im Mund doch damit siehst Du auch nicht besser aus (Zeile aus einem Song der Gruppe Truck Stop). Sogar mein Hund beschwert sich mit einem tiefen Seufzer, wenn ich morgens früh aufstehe und mich vor den Computer setze anstatt noch ein bisschen im Bett zu liegen.

Aber ich bin nun mal ein Morgenschaffer. Soll heißen, meine kreativste Stunde ist der frühe Morgen. Ich liebe diese Zeit. Wenn alles noch ruhig ist, alle anderen noch schlafen und die Welt sich gerade erst bequemt aufzuwachen. Wenn es draußen langsam hell wird und ersten Vögel zwitschern. Die Kühle der Nacht liegt noch in der Luft, aber man kann schon das herannahen der Tages spüren.
Ich liebe es den Tag erwachen zu sehen. Ein Neuanfang immer wieder. Neue Chancen, neues Glück, neue Herausforderungen.
Ich finde es liegt eine große Kraft in einem beginnenden Tag. Es ist eine Zeit ohne Zeit. Zwischen dunkel und hell, zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Erholung und Spannung, zwischen hier und da, zwischen dürfen und wollen, zwischen dem was ich sein könnte und sein muss. Und doch – und gerade deswegen - strahlt sie für mich Leben aus und die Stimmung des Neuen ist es, die mich motiviert, anspornt. Eben kreativ macht. Es ist nicht so, dass ich aufwache aus dem Bett springe und eine Idee habe. Nein, meist geht dem schon eine Zeit des Wachliegens voraus. In denen sich in der Dunkelheit Gedanken in die nächtliche Verschlafenheit schleichen, Wörter sich durch meine Gehirnwindungen quälen, Sätze sich formen. Es scheint dann irgendwann als würden sie sich selbstständig machen. Fast entgleiten sie meinem Bewusstsein wieder und ich kann sie kaum greifen. Aber irgendwann werden sie etwas lauter und penetrant. Wie eine Fliege die einem um den Kopf schwirrt. Egal wie oft man nach ihr schlägt, sie lässt sich einfach nicht verjagen. Eine Weile kann ich sie dann vielleicht ignorieren, aber irgendwann sind sie so laut und nervend, dass ich aufstehen muss. Liegen bleiben ist keine Option mehr.
Sie müssen raus. Manchmal ist es so dringend, dass ich es kaum abwarten kann, bis der Computer hochgefahren ist und mir schon einmal ein paar handschriftliche Notizen mache. Und sitze ich endlich vor dem Bildschirm kann ich gar nicht so schnell schreiben, wie die Wörter auf mich einstürmen.

Das gängige Klischee eines Schriftstellers ist wohl eher, dass er die ganze Nacht in einem halbdunklen Zimmer vor seiner Tastatur sitzt und darauf rumhämmert. Am besten neben sich ein Glas Bourbon und ein voller Aschenbecher mit Zigarettenkippen. Ich gebe es zu, auch ich dachte früher immer, dass alle Künstler Nachteulen sind. Oft schon habe ich gelesen, dass Schriftstellern behaupten, sie hätten die besten Ideen für Ihre Bücher nachts gehabt. Dies verleitete mich natürlich zu der Annahme, dass ich wohl irgendwie kein so ein echter Künstler bin.
Doch je weiter der Tag voran schreitet, je flauer wird der Wind der kreativen Ideen in meinem Kopf. Wörter werden dann schwerfällig und ich muss sie mit aller Gewalt zusammen suchen um einen vernünftigen Satz zu formen. Abends oder nachts kann ich überhaupt nicht schreiben. Da ist mein Kopf leer gefegt, als hätte ich alle Gedanken des Tages gedacht und abgelegt.

Inzwischen glaube ich einfach, dass jeder so seine ganz eigene kreative Stunde hat. Und wenn man zu den Menschen zählt, die diese nutzen – was vielleicht nicht jeder tut – dann kann man diese nicht ignorieren.
Ein Maler muss das Bild malen, das ihm vor Augen steht. Würde er (oder sie) es nicht tun, dann bleibt es irgendwo hängen und quält das Unterbewusstsein. Ist wie etwas, das man nicht erledigt hat und hemmt im Weiterkommen. Genauso ist es bei mir mit den Wörtern. Wenn sie erstmal anfangen, sich zu verselbstständigen, wenn sie sich bemerkbar machen, dann müssen sie raus und auf Papier gebracht werden – oder in eine Datei.
Dies ist dann auch eines der wenigen Geräusche die zu hören sind, das Klappern der Tastatur. Das Ticken der Uhr an der Wand, schlägt fast im gleichen Rhythmus und erzählt davon, dass auch diese frühe Stunde nicht ewig währt.
Draußen fährt hin und wieder ein Auto vorbei und ich frage mich kurz – wo will der jetzt am Morgen schon hin. Wollte der aufstehen oder musste er?
Gesellschaft leisten mir zu dieser frühen Stunden meist nur die Vögel, die mit ihrem Lied den neuen Tag begrüßen. Ich brauche auch keine anderen Geräusche – wie etwa das Radio - um mich herum. Meine Gedanken sind laut genug.

Es gab Zeiten, da dachte ich, es sei die Unruhe in mir, die mich aus dem Bett treibt. Aber ich habe inzwischen gelernt, das ist einfach mein ganz persönlicher Rhythmus.
Die kreativste Stunde ausnutzen heißt für mich auch Platz zu machen. Im meinem Kopf aufzuräumen, rauszulassen was raus will. Nicht immer bin ich selbst von dem überzeugt, was dann da so schreibe. Nicht selten genug, landen diese Texte dann als Fragmente in meinem ‚Notizenordner‘ um irgendwann vielleicht mal ihre Bestimmung zu finden. Aber eines weiß ich sicher, wenn ich sie nicht nutze diese kreativste Stunde, und die Wörter und Gedanken bleiben einfach in meinem Kopf drin, dann habe ich das Gefühl sie blockieren alles andere. Wenn ich die Sätze einsperre, dann sind sie beleidigt. Erst blockieren sie zum einen alles Neue was kommen könnte und irgendwann gehen sie dann.

Man mag nun an die Energie des Universums glauben oder nicht. Aber ich bin davon überzeugt, eine kreative Stunde ist ein Geschenk und ich fühle mich privilegiert dies zu erhalten, nutzen können und wollen.

Inzwischen ist es Tag geworden, in all seiner Helligkeit, Hektik und seinem Lärm. Ich rieche frischen Kaffee, höre jemanden die Treppe herunterlaufen, draußen klappen Autotüren und die Uhr scheint drängelnd zu sagen, dass es Zeit ist nun aus der Welt der gedachten Worte in die Realität zurückzukehren. Die Sonne scheint durchs Fenster und lockt mich raus zu kommen. Und auch Clyde hat beschlossen er will jetzt Gassi gehen.

Ich verabschiede mich von der kreativsten Stunde und bleibe dankbar!

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