(Das Leben ist eine Reise, kein Zielpunkt)
Es gibt sie, diese Tage, die sich besonders gut dafür
eignen einen Blick zurück zu werfen. Einmal hinschauen, wo komme ich her? Wie
war das? Nein, ich meine nicht Silvester (auch wenn das natürlich klassisch
ist). Für mich ist so ein Tag immer mein ‚Trockengeburtstag‘, d.h. der Tag seit
dem ich keinen Alkohol mehr trinke.
Wenn sie auf ihr Leben zurückblicken, denken viele
Menschen oft, es hätte besser sein sollen - aber sie denken selten, es hätte
schlimmer kommen können! Ich gehöre nicht zu diesen Menschen. Mein Trockengeburtstag
ist für mich ein Tag an dem mir das sehr bewusst wird. Denn es hätte sehr viel
schlimmer kommen können! Wenn ich einen Blick zurückwerfe, auf den Weg der
hinter mir liegt, habe ich in manch‘ vermeintlichem Unglück sehr viel Glück
gehabt. Ja, der Weg ist mal bunt, mal grau, mal gerade aus, mal kurvig, mal
bergig, mal flach. Leben eben. Ich schaue auf das was war. Eine ziemliche Berg-
und Talfahrt durch die Zeit allemal.
Die schlechten Zeiten, die sich tief eingegraben
haben in meine Seele. Die Zeiten, als ich die falschen Dinge – und Menschen –
in mein Leben gelassen habe. Dunkelgraue Welt, die ohne Hoffnung schien.
Mein Schutzengel hatte ziemlich viel zu tun, mich
durch all diese Unwegsamkeit zu bringen – ohne dass ich allzu großen Schaden davongetragen
hätte. Und es gab Zeiten, da wäre ich ohne ihn wohl verrück geworden. Wie weit
kann man denn schon mit gebrochenen Flügeln fliegen?
Ich verlor den Halt und knallte mit voller Wucht
auf dem Boden der Tatsachen auf. Ich war so müde und am Ende, dass der Tod die
einzige Option schien. Ich dachte ich könnte einfach so gehen, aus meinem
Leben, aber die Tür blieb verschlossen. Ich war noch nicht dran.
Vieles ging in die Brüche. Manches davon konnte
irgendwann wieder geklebt, repariert werden. Anderes nicht. Verletzungen, die
zugefügten und ausgeteilten, heilten meist im Laufe der Zeit. Die anderen habe
ich akzeptiert und lernen dürfen damit zu leben – oder sie loszulassen. Und Manches,
dass ich bereut habe, erscheinen heute als ein Segen, an dem ich wachsen
durfte. Vieles startete verheißungsvoll, ich habe mich hineingestürzt, meist
viel zu schnell, ohne nachdenken. So dass mir letztlich nicht nur das Geld wie
Sand durch die Finger rannte. Freunde, die keine blieben, Menschen, die mich enttäuschten.
Ich hatte da wohl kein gutes Händchen. Doch wer sich selbst nicht wirklich
kennt und wahrnimmt, der kann auch andere nicht einschätzen. Nun, letztlich hat
mich jeder von Ihnen etwas gelehrt – dafür bin ich dankbar.
Manchen Rat, der gut gemeint war, habe ich
geflissentlich überhört. Lieber meinen Dickkopf durchgesetzt (oder in
Unvernunft gehandelt) und dann die Rechnung bekommen. Ich habe mich aber selten
darum gedrückt, dann auch die Verantwortung dafür zu übernehmen.
Warum ändern wir eigentlich so oft nichts, wenn
etwas in unserem Leben in Schieflage geraten ist? Wohl aus Angst vor den
Konsequenzen oder vor der Veränderung. Manchmal ist es vielleicht auch einfach nur
Bequemlichkeit. Aber es ist auch ganz oft eine andere Sache: Wir lenken uns
selbst so erfolgreich vom Schmerz der Schieflage ab, dass wir denken, es wäre
gar nicht so schlimm. Ab und zu in klaren Momenten kommt es dann hoch und wir
erkennen, dass wir etwas ändern müssen. Aber sehr schnell sind unsere
Verdrängungs- und Schutzmechanismen wieder da und wir überdecken den Schmerz.
Doch was ist die Lösung?
Ich denke: Ehrlich mit sich selbst sein. Nicht nur
einmal, sondern jeden Tag. Erkennen, was mich schmerzt, was eben diesen Schmerz
verursacht und inwieweit ich mir selbst damit schade. So ehrlich mit sich sein,
dass es einem die Eingeweide zusammenzieht. Denn genau diesen Schmerz braucht
es, um ins Handeln zu kommen. Und sich dies jeden Tag ins Gedächtnis rufen.
Wieder und wieder. Bis man endlich genug Energie aufbringen kannst, etwas zu
ändern. Und dann nicht aufhören, sich mit der Wirklichkeit zu konfrontieren,
dass es diesen Schmerz gibt. Denn oft hören wir auf, sobald wir erste Schritte
gemacht haben. Noch bevor wir das Problem langfristig gelöst haben. Wegen der
Anstrengung. Oder weil der Schmerz ja schon ein bisschen kleiner geworden ist. Dabei
ist dieser Schmerz etwas Gutes – wenn wir ihn nutzen um etwas zu ändern.
Bei mir war dieser Schmerz irgendwann so groß, dass
sie wirklich kam, die Wende. Nach langem
Kriechen, lernte ich wieder aufrecht
zu gehen. Ich lernte, dass ich ohne Betäubung leben kann. Ich lernte, dass ich
wertvoll bin. Natürlich war es nicht einfach und ich habe mehrere Anläufe
gebraucht. Erst die Langzeittherapie machte den Weg in ein abstinentes Leben frei.
20 Jahre sind seither vergangen und ich bin sicher
ein kleines bisschen weiser geworden. Ich weiß, dass ich aufkommende
Herausforderungen begegnen kann. Indem ich nachdenke und versuche zu verstehen.
Indem ich ausprobiere und flexibel bleibe. Und am wichtigsten von allem: Indem ich
nicht aufgebe.
Ich bemühe mich, nicht gegen meine eigene Natur zu
kämpfen, erkennen, dass ich bin, wie ich bin. Auch wenn meine Erwartungen an
mich selbst oft hinderlich sind. Doch ich verstehe immer besser,
wer ich wirklich bin. Was meine Stärken und
Schwächen sind. Und mit jedem Punkt, den ich verstanden habe, kämpfe ich
weniger gegen mich selbst. Selbsterkenntnis und Selbstakzeptanz machen es einfacher
mit den kleinen und großen Herausforderungen umzugehen.
Ich wünschte, das hätte mir jemand gesagt, als ich
20 oder 30 war. Aber da hätte ich wahrscheinlich nicht zugehört. Manche Dinge
musste ich auf die harte Tour lernen.
Und heute? Heute beginnt der Rest meines Lebens - nicht
irgendwann. Dieser Tag ist immer auch ein guter Tag nach vorne zu schauen. Was
habe ich noch für Träume, was habe ich noch für Ziele. Ich weiß, dass trotz
Wegweiser sicher noch ein paar Umwege vor mir liegen. Das Unerwartetes
geschieht und mancher Geröllhaufen überwunden werden muss.
Doch ich möchte weiterhin die Freiheit wagen. Ich
möchte das Glück erfassen statt es nur zu suchen. Ich möchte über die Trägheit
siegen, mich nicht verbiegen lassen. Ein Hoch auf das Echte, das Unverfälschte,
das Lebendige, das Wahre. Ich wünsche mir, dass ich mich immer traue, so zu
sein, wie ich bin – und andere lassen kann, wie sie sind.
Jeden Tag, denn wir wissen nicht, was morgen kommt.
Heute Morgen bekam ich da wieder eine kleine Lektion. Gerade noch bin ich in
bester Stimmung auf dem Weg ins Büro, als ich vor mir Blaulicht sehe – ein
Unfall. Langsam fahre ich näher heran und vorbei. Polizei, Feuerwehr,
Krankenwagen, es sieht richtig schlimm aus.
In solchen Momenten komme ich ins Nachdenken. Über
die Endlichkeit meines Lebens. Darüber, dass schlimme Dinge passieren können. Am
Ende solcher Gedanken lande ich aber immer wieder am gleichen Punkt: Im Grunde
kannst du nur eines machen, heute leben. Das Leben voll auskosten. Danke sagen
für das, was du hast. Deine Träume heute verwirklichen. Nichts verschieben. Morgen
kann dir der sprichwörtliche Ziegelstein auf den Kopf fallen. Oder du bist zur
falschen Zeit am falschen Ort…
Heute, ein Tag, der mich einlädt, das Beste daraus
zu machen, aus diesem zweiten Leben, dass ich bekommen habe. Auch wenn es oft
harte Arbeit war, bis hierher. Nur trocken sein, macht die Welt nicht rosarot.
Herausforderungen gibt es immer noch, doch sie sind das Salz in der
Lebenssuppe.
Dankbar schaue ich noch einmal kurz zurück um dann
den Blick wieder der Sonne zuzuwenden.
It's
Amazing, With the blink of an eye you finally see the light
It's
Amazing, When the moment arrives that you know you'll be alright
It's
Amazing, And I'm sayin' a prayer for the desperate hearts tonight (Ozzy
Osborne)
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