Was tut man, wenn man nichts tut? ... Teil I

Diese Frage stellte mir eine Freundin bevor ich mich aufmachte zu einer Reise in die Stille. Wobei eine stille Reise nach Innen – im Nachhinein betrachtet – wohl die passendere Bezeichnung ist.

Wer vor hat selber diese „Reise“ zu machen, sollte diesen Bericht vielleicht nicht lesen um unbeeinflusst und vor allem unvoreingenommen die Welt des Vipassana (‚wiepaschna’ ausgesprochen) fuer sich zu entdecken. Wer schon an einem 10-Tage „Seminar“ teilgenommen hat, liest dies vielleicht und denkt: bei mir war das aber ganz anders. Das liegt in der Natur der Sache, denn so verschieden wir Menschen sind, so verschieden erleben wir auch ein solches Meditationsretreat.

However, dies hier sind meine Erfahrungen, die ich – wie es eben meine Art ist - ungefiltert weitergebe.

Zunaechst einmal die ganz simplen rundherum Tatsachen, fuer diejenigen, die noch nie davon gehoert haben. Vipassana ist keine Sekte oder Religion, lehnt sich aber in vielem an die Lehren Buddahs an, der – so heisst es – auch diese spezielle Meditationstechnik wiederentdeckte. Letzteres ist es, worin man in den 10 Tagen unterwiesen wird, zusammen mit ein wenig Hintergrundwissen.

Vipassana wird von einer sogenannte „non-profit organisation“ gelehrt, Diese Organisation arbeitet rein auf Spendenbasis. Zunaechst einmal kostet einen so ein 10 Tage-Kurs nichts, aber wenn man denkt, dass es eine gute Sache ist, kann man anschliessend eine grosse oder kleine Geldsumme (oder auch seine Arbeitskraft usw.) spenden um anderen Menschen die Moeglichkeit zu geben auch einen solchen Kurs zu belegen. Wer mehr ueber Vipassana an sich wissen moechte, findet dies auf der entsprechenden Webseite (deutsch: http://www.dvara.dhamma.org/dvara_.html?L=1 / englisch: http://www.siri.dhamma.org/ )

Ich selber bin durch eine Freundin darauf gestossen, die im letzten Jahr in Deutschland in dem Retreat war. Es hat mich fasziniert, alleine schon dass man neun von den zehn Tagen nicht spricht oder in irgendeiner Form kommuniziert. Nachdem ich dann feststellte, dass sich nur ca. 3.5 Autostunden von Livingston entfernt ein Meditation Center befindet, stand der Entschluss fest mich der Herausforderung zu stellen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass ich mir zwar sehr im Klaren darueber war, dass es eine solche wird, schliesslich habe ich keinerlei Erfahrung mit Meditation – aber letztlich doch null Ahnung hatte, was wirklich auf mich zukommt.

Das Gelaende des Southwest Vipassana Meditation Center liegt nahe eines kleinen Ortes ca. 40 Meilen suedwestlich von Dallas. Ziemlich weit draussen und es gibt als Nachbarn Weiden mit Longhorns und Koyoten.

Ein Prinzip ist, dass man so wenig wie moeglich mitbringt, um sich so wenig wie moeglich abzulenken. Soll heissen, kein Fotoapparat, kein Handy, selbstverstaendlich gibt es kein TV oder Radio, keine Buecher – das hat mich, wie jeder der mich kennt sich unschwer vorstellen kann - Ueberwindung gekostet – und man soll auch kein Tagebuch schreiben! Ohne Stift und Papier verreisen? Dies nun stellte fuer mich den groessten Pruefstein dar, dachte ich, und brachte es letztlich schlicht nicht ueber mich, mich an diese Regel zu halten. Meine Unterhaltungen mit mir selber fuehre ich nun mal meist schriftlich. Auch habe ich, wenn ich nicht schreibe, das Problem an irgendetwas haengen zu bleiben, aus Angst ich vergesse diesen wichtigen Gedanken. Ich konnte auch nicht wirklich sehen, in welcher Form mich das Schreiben einschraenken sollte, habe allerdings meine Aufzeichnung auf ein absolutes Minimum beschraenkt ...

Ach ja und Maenner und Frauen werden strikt getrennt, nicht nur die „Dorms“  (Schlafhaeuser) sondern auch beim Essen, die Spazierwege usw. Nur in der Meditations-halle sind beide Geschlechter gleichzeitig, allerdings auch hier, Maenner links – Frauen rechts (und jeder hat seinen eigenen Eingang).

So lieferte mich Helmut also am 15.03. im Southwest Vipassana Meditation Center ab. Nachdem ich mich angemeldet hatte, bezog ich mein Zimmer: eine „Zelle“, die schlicht aber aeusserst praktisch eingerichtet ist, mit eigenem WC, Dusche und Waschbecken gleich rechts wenn man reinkommt, ein Regal fuer Klamotten und ein Bett (ich hoerte spaeter, dass die Einzelzimmer „Luxus“ sind und es normalerweise Mehrbettzimmer gibt). Zu meiner Freude gab es ein grosses Fenster, das den Blick nach hinten zum „Wald“ freigab – allerdings nicht zu oeffnen war (wegen der Klimaanlage). Ein paar Stunden im Auto sitzen war anstrengend und so machte ich einen ersten Spaziergang in und um die Gebaeude herum. Ausreichend Platz war vorhanden und ich war sehr gespannt, was da auf mich zukommt.



Zunaechst einmal gab es ein leichtes Abendessen, Lasagne und Salat (ich hielt mich an letzteren) und Tee. Bei diesem ging es noch recht laut zu. Noch durften wir sprechen und die Meisten machten Gebrauch davon. Ein Durcheinander aus Stimmen und Saetzen und ich vermuten, haette man es gemessen, dass der Decibel-Bereich den zulaessigen Hoechstpegel deutlich ueberschritt. Man (das heisst ‚Frau’, denn die Maenner haben wie erwaehnt ihren eigenen Speisesaal) stellte sich vor, unterhielt sich ein wenig darueber, was man hier tat und es war allgemein eine gewisse nervoese Gespanntheit spuerbar. Doch ich hoerte auch, dass es einige gab, die schon zum zweiten oder dritten Mal oder noch mehr an einem solchen Vipassana Retreat teilnahmen. Als ich mir so die Frauen in dem kleinen Raum, der als Speisesaal genutzt wurde (urspruenglich war dies ‚Haupthaus’ eine ganz normale ‚Residenz’ gewesen), ansah, sah ich, dass unter den schaetztungsweise 30, 40 Damen, wirklich so ziemlich jede Altersklassen – von 20 bis 70 – vertreten war.

Nach dem Essen gab es eine so genannte „Orientation“ – also eine Einfuehrung in die Regeln und den Stundenplan, sowie einige organisatorische Dinge. Fuer den Abend wurde dann noch eine erste Meditationsstunde angekuendigt und ab sofort galt es zu schweigen. Natuerlich kann man bei Bedarf das „Management“ ansprechen, wenn zum Beispiel die Dusche nicht funktioniert oder aehnliches. Auch kann man – nach vorheriger Anmeldung – einmal am Tag einen Termin mit der ‚Assistant Teacher’ bekommen um Fragen zur Meditationstechnik zu stellen oder Schwierigkeiten zu besprechen. Aber ansonsten kommuniziert man nicht (und soll auch jeden koerperlichen Kontakt vermeiden). Es ist gar nicht so einfach, die anderen schlicht zu ignorieren, da ja ein jeder zu einer gewissen Hoeflichkeit erzogen worden ist. Zum Beispiel das man sich gruesst oder auch mal ‚Entschuldigung’ sagt, oder einfach nur freundlich laechelt. Nichts davon. Im Prinzip laeuft man am Besten mit gesenktem Kopf umher.

Fasziniert hat mich, dass der Ablauf so reibungslos ging – ohne auch nur ein Wort zu wechseln. Jede von uns war viel aufmerksamer in dem was sie tat, wo sie lief und auch wo die anderen gerade sind, um eben nicht sprechen zu muessen.
Ich selber bin ja sowieso keine Person, die staendig quatschen muss und so schien mir das Schweigen noch die leichteste Aufgabe. Und in den naechsten Tagen sollte ich noch feststellen, wieviel man doch hoert, wenn man nichts hoert – also nicht spricht.

Was tut nun der Mensch wenn er nichts tut? Well, ich glaube der Mensch kann in keinem Moment gar nichts tun, den zumindest atmen tut er. Man kann still sitzen, ruhig sein, sich nicht irgendwie berieseln lassen, aber man tut nie nichts. Atmen und denken, tut man immer ! Und wenn man sitzt, sitzt man – tut man sitzen usw.

Und mit eben diesem Sitzen begannen wir an diesem Abend. In der ‚Meditation Hall’ bekam jede einen Platz zugewiesen. Die meisten sassen auf dem Boden, einige der aelteren Damen und zwei schwangere junge Frauen sassen auf Stuehlen. Ein duennes Kissen von ca. 50 – 60 cm im Quadrat markierte die Nummer 31. Zu meiner rechten war der Mittelgang, der die Maenner von den Frauen trennte. Vor, hinter und neben mir sassen andere Schueler. Ich war ehrlich froh, eine offene Seite zu haben, vor allem angesichts meiner leicht klaustrophobischen Veranlagung.

Bevor die Stunde begann, hatte ich meine Jeans gegen eine bequemere Jogginghose eingetauscht, trotzdem schliefen mir nach kuerzester Zeit die Beine/ Fuesse ein und der Ruecken tat weh. Im Schneidersitz direkt auf dem Boden war nicht die optimale Position.
Im Vorraum, wo man die Schuhe auszog (wie ueberall hier, inklusive Speiseraum und Dorms, blieben die Schuhe im Eingangsbereich stehen), gibt es ein Regal mit Kissen und Decken usw., das sich im Laufe der Tage leerte. Auch bei mir dauerte es ein paar Tage, bis ich die richtige Sitzposition fand.

Ganz ehrlich bekam ich nicht allzuviel mit von dieser ersten Stunde. Zum Einen galt es sich in die Stimme des Lehrers – in diesem Fall S.N. Goenka, vom Band, natuerlich in englisch – hineinzuhoeren, wie erwaehnt eine haltbare Sitzposition zu finden und ueberhaupt war alles sehr ungewohnt. Obgleich ich es interessant fand, mit ca. 60, 70 Menschen in einem Raum zu sein und nur ein gelegentliches Husten oder Raeuspern zu hoeren.

Alles in allem aber ein guter Tag und ich schlief tief und fest in dieser Nacht.

Am naechsten Morgen ging es dann um 4.00 Uhr mit einem Gong los. Ich hatte mir vorsichtshalber den Wecker gestellt, aber es waere nicht noetig gewesen. Der Gong (von einer „Studentin“ geschlagen), war laut genug. Schon in der Einfuehrungsrunde am Abend hatte eine der aelteren Schuelerinen (also eine die den Kurs mindestens schon einmal gemacht hatte) gesagt, dass das ‚Chanting’ (Gesang) am Morgen lohnenswert waere und so begab ich mich gegen 4.30 Uhr in Richtung von der Meditationshalle. Mit ein paar Kissen ausgestattet – und eine Decke, da es ziemlich kuehl war – versuchte ich es mir auf meinem Platz einigermassen bequem zu machen. Die Hall war etwa halbvoll. Gegen 5.30 kamen die beiden ‚Assistant Teacher’ (ein Mann, eine Frau), die vor den Schuelern an der vorderen Wand auf einem erhoehtem Podest ihren Platz haben (den Schuelern zugewandt). Die Gesaenge (auf Hindu gesungen) sind nicht teil der Meditationstechnik sondern gelten eher als Einstimmung fuer die Assistent-Teacher und – so stellte ich fest – auch die Schueler. Es hatte eine fast tranceartige Wirkung.

6.30 ging es dann hinueber in das Haupthaus zum Fruehstueck. Auch dies angekuendigt durch einen Gong. Schweigend standen wir vor der Tuer bis wir hinein konnten. Ein sehr seltsames Gefuehl ...
Fruehstueck bestand heute fuer mich aus warmen Oatmeal (Haferflocken) mit Frucht und Soyamilch. Da dies (oder aehnliches) auch zuhause meine bevorzugte Speise am Morgen ist, war ich vollkommen zufrieden damit. Doch es gab keinen Kaffee, was mich innerlich ein wenig seufzen liess.

Nach einer kurzen Pause, hiess es dann um 8 Uhr wieder meditieren in der Halle. Immer noch hatte ich nicht die optimale Position (ich versuchte es inzwischen mit ‚knien’ – also ein Kissen zwischen die Beine und diese sozusagen falten), aber an den Geraeuschen konnte ich feststellen, dass es vielen Anderen auch so ging. Die Einleitung in die Technik begann damit, dass man sich auf den Bereich um die eigene Nase konzentrieren sollte und nachfuehlen, wie der Atem an den Nasenloechern bzw. der Innenseite der Nase vorbeistrich. Ich hatte den Dreh ziemlich schnell raus, allerdings hatte ich Probleme mit der Konzentration, denn mir war speiuebel. Zum Glueck war die Stunde bald vorbei und wir wurden „entlassen“ um wahlweise in der Halle oder im eigenen Zimmer weiter zu ueben. Ich ‚fluechtete’ in meine Unterkunft, denn mein Magen hatte beschlossen, das Essen im Allgemeinen heute keine gute Idee war und kurze Zeit spaeter uebergab ich mich. Mir war elend zumute, denn zur Uebelkeit kamen nun auch noch heftige Kopfschmerzen. Zunaechst schob ich es auf den gestrigen Besuch unterwegs in einem Fast Food Restaurant (gleichwohl mir dann ja am Abend schon schlecht gewesen waere und als ich wieder zuhause war stellte sich raus, dass Helmut voellig gesund war). Vielleicht, so meine zweite Ueberlegung, war es einfach der beruechtigte 24-Stunden-Magenvirus. Oder durchlaufe ich einen Reinigungsprozess? Doch so schnell? Ich bin gerade erst angekommen und habe noch nicht einmal richtig mit dem Meditieren begonnen ....

Irgendwie schaffte ich es mich durch den Tag zu hangeln, allerdings bekam ich von meiner Umgebung wenig mit. Ich nahm an den ‚Pflichtstunden’ in der Halle teil, aber blieb ansonsten im Bett liegen. Was wohl auch die beste Loesung war, denn immerhin blieb der Pfefferminztee am spaeten Nachmittag drin. So konnte ich dann auch dem abendlichen Theoriekurs folgen. Da die Organisation der Meinung ist, dass es am Besten ist diesen in der Muttersprache zu hoeren, bekam ich einen I-Pod und Kopfhoerer und sass dann nicht mit den Amerikanern in der Halle, sondern in einem Extrazimmer um dem zu lauschen. Ausser mir gab es noch eine Franzoesin (die das Ganze in franzoesisch hoerte), ein Chinese, Japaner, Inder, Thais und Hispanics, die je nach Groesse der Gruppe per I-Pod oder am CD-Spieler den Unterricht verfolgen konnten. Ob meiner angeschlagenen Gesundheit, brachte ich sicher nicht die noetige Aufmerksamkeit mit, die der ‚Discourse’ verdient haette. Aber das was ich mitbekam, war allemal interessant.

Ziemlich kaputt fiel ich um 9.30 Uhr ins Bett und schlief sofort ein ...

.... Fortsetzung folgt .....

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