Was tut man wenn man nichts tut? ... Teil II

Als ich am naechsten Morgen aufwachte, ging es mir schon wesentlich besser. Der Magen hatte sich beruhigt und die Kopfschmerzen waren weg. Jetzt kann ich mich endlich auf das konzentrieren, warum ich hier bin – so dachte ich.
das 'Dhama-Rad'

Der Tag selber war schon fast Routine. Da man keine wirkliche Ablenkung hat, stellt sich diese sehr schnell ein. Der Stundenplan wird strikt eingehalten und Disziplin ist ein Teil der Methodik und wie ich spaeter feststelle auch sinnvoll – zumindest bis zu einem gewissen Grad. Sie strukturiert den Tag, in den man ansonsten nur so hineinleben wuerde.

Am dritten Tag fand ich dann auch endlich eine gute Sitzposition, naemlich mit Meditationsbank. Das ist ein kleiner sehr niedriger Hocker, unter den man die Beine sozusagen drunterfaltet. Dann noch ein Kissen unter die Knie und ich konnte fast schmerzfrei sitzen. So hatte ich dann auch eine richtig gute Meditationsstunde und war mir sicher, jetzt habe ich den Dreh raus. Aber mir wurde bald klar, dass es nicht unbedingt an der Sitzposition liegt, ob eine Session gut oder schlecht ist.

Wenn man jemanden fragt, wieviel Zeit er / sie mit sich selber verbringt, was waere wohl die Antwort? Bis vor wenigen Tagen haette ich steif und fest behauptet 24 Stunden pro Tag! Jetzt stelle ich fest, dass dies alles andere als wahr ist. Die allermeiste Zeit stehen wir mindestens einen Meter neben uns, alleine durch die konstante Ablenkung. Natuerlich sollte man sich bei der Arbeit auf eben jene konzentrieren, ebenso beim Autofahren und dergleichen. Auch ist es sehr hoeflich im Gespraech mit anderen Menschen, diesem einen guten Teil seiner Aufmerksamkeit zu schenken. Doch all dies fuehrt dazu, dass man nicht wirklich bei sich ist ....

Hier nun, ist keine dieser Ablenkungen vorhanden. Kein Radio oder Fernsehen, man braucht weder arbeiten noch redet man (die Mitstudenten sollten ja moeglichst ignoriert werden) und man wird mit allem Noetigen (z.B. Essen) versorgt ohne sich grossartig darum kuemmern zu muessen. Einzig die Natur bietet eine kleine Abwechslung. Aber die Gedanken hoeren auch dort nicht auf. Sprich, man spricht fast ununterbrochen mit sich selbst.

Ich ueberlege mir, dass wenn ich schreibe, dies im Prinzip auch als reden gilt, oder? Ich unterhalte mich mit mir selber. Ob dies dann auch als Ablenkung gilt? Ich persoenlich finde nicht, denn es ist ja wichtig, zu schauen, was mit mir passiert, waehrend ich hier bin und meditiere. Und schreibenderweise gelingt mir dies nun mal meist am Besten.

die Unterkunft der Frauen

(die Fotos habe ich selbstverstaendlich
nicht selbst gemacht - no cameras allowed -
sondern der Webseite des DhammaSiri
Centers entliehen)
Am Tag drei ist die Technik ein wenig verfeinert worden. Ich verstehe langsam auch besser worum es geht. Naemlich darum, dass wir aufmerksam auf unser Unterbewusstsein werden. Ich erhebe hier nicht den Anspruch, dass ich alles so wiedergebe, wie es auch gemeint ist. Ich beschreibe es so, wie es bei mir ankommt. In einfachen Worten: wie oft geschieht es, dass es mich irgendwo juckt und ganz automatisch kratze ich mich – ohne bewusst darueber nachzudenken. Hier nun, wenn ich fuer eine Stunde stillsitze und die „Empfindungen“ in meinem Koerper beobachte, veraendert sich etwas. Ich spuere z.B. dass es mich am Bein juckt. Ich beobachte dann genau diese Stelle mit einer sehr gleichmuetigen Einstellung: ah, da juckt es jetzt, na und? .. und das Jucken geht von ganz alleine weg. Dies bewusst zu realisieren hat zwei Auswirkungen. Die eine ist, dass einem klar wird, dass nichts von Dauer ist. Dies in der Theorie zu wissen ist ja gut und schoe, aber es physisch am eigenen Leib zu erleben, vertieft die Erkenntnis um ein Vielfaches!

Die zweite Auswirkung ist, dass ich durch das bewusste nicht kratzen (ich benutze das „Jucken“ an sich als Beispiel, denn es kann auch ein Kitzeln oder auch Schmerz sein), loese ich sozusagen die unbewusste Handlung auf. Lasse mich also nicht unkontrolliert handeln. Wenn nun genau dieser Mechanismus – naemlich Handlungen aus dem Unterbewusstsein in das Bewusstsein zu bringen – durchbrochen wird, kann ich dies auch auf viel komplexere Bereiche ausweiten. Beispiel: wenn jemand etwas Unschoenes zu mir sagt, reagiert mein Unterbewusstsein automatisch mit ‚Abwehr’ und Gegenreaktion. Negative Gefuehle, die bewirken, dass es mir schlecht geht. Lasse ich meinem Unterbewusstsein aber nicht diese Freiheiten, sondern durchbreche den Automatismus, so kann ich, wenn jemand etwas Unschoenes zu mir sagt, viel bewusster reagieren und z.B. sagen: oh, der hat einen schlechten Tag, aber das geht vorbei. Ich muss deswegen nicht auch schlecht drauf sein ...

So in ungefaehr verstehe ich die Theorie der Technik. Und wenn dies funktioniert, ich mir das verinnerlichen kann ... ein ganz neues Lebensgefuehl wuerde entstehen ... Allerdings, das Ganze in die Praxis umzusetzen ist natuerlich nicht ganz so einfach und erfordert ziemlich viel Uebung.

Aber darum war ich ja hier. Doch schnell merkte ich, dass dies viel Bereitschaft voraussetzt. Und mein Gehirn / Geist zeigte sich nicht immer kooperativ dabei. Es ist Tag vier und die morgendliche Sitzung war fast schon grausam schwer. Ich schaffe es nicht mich zu konzentrieren, fokkussieren. Mir tut alles weh von der ungewohnten Sitzerei und meine Gedanken fahren Achterbahn. Ich habe einen Moment in dem ich mich ernsthaft frage, wie ich auf die bloede Idee kommen konnte, mich fuer dieses Retreat anzumelden. 10 Tage meditieren? Ich haette ja nicht mit einem zwei Tage Probekurs anfangen koennen, oder etwas aehnlichem? Nein immer gleich in die Vollen .... Waehrend der Lehrer redet (vom Band) ist es ganz gut. Da hoere ich die Stimme und befolge auch die Anweisungen. Aber dann wenn es ruhig ist, kommt es mir vor, als versage ich komplett. Es scheint mir, allen anderen faellt es leicht, die sitzen still da und meditieren (so sieht es aus) und ich hampel hier um und kriege es nicht hin. Doch ich versuche mich damit zu troesten, dass ja schliesslich noch kein Meister vom Himmel gefallen ist.

Ich bin mir schon sehr bewusst darueber, dass ein Teil der Ursache meines nicht ganz so guten Befindens natuerlich nicht wirklich nur die ungewohnte Sitzerei ist und auch nicht das Meditieren als Technik an sich. Es ist – um nochmal darauf zurueck zu kommen – die Tatsache, dass ich nun ploetzlich 24 Stunden mit mir alleine bin. Keine Ablenkung in irgendeiner Form. Und durch die Uebungen, in Bereiche des Unterbewusstseins vorzudringen, kommen ja nicht nur Automatismen zum Vorschein, sondern auch dort vergrabene Gefuehle! Das ist so, als wenn man in der Wueste ein Loch graebt und dann bildet sich ploetzlich tief unten im Sand eine kleine Pfuetze. Und wenn man noch ein wenig weitergraebt, wird es ein wenig mehr Wasser und man sieht wie die Oberflaeche erst welllig wird und dann wie es in der Mitte zu sprudeln beginnt. Und von diesem Sprudeln in der Mitte gehen die Kreise bis an den auessersten Rand der nun groesser werdenden Pfuetze ...

Es ist immer noch der vierte Tag und die Nachmittagssitzung hatte es wirklich in sich. Erst eine Stunde normales meditieren (wie wir es die letzten Tage praktiziert haben). Dann gab es eine kurze Pause und dann kam eine ca. 90-minuetige Sitzung in der wir die eigentliche Vipassana-Technik lernten. Jetzt werden nicht mehr nur die Empfindungen im Nasenbereich beobachtet, sondern am ganzen Koerper. Es kostete mich schon einige Muehe mich fuer so lange Zeit zu konzentrieren, aber ich schaffte es, auch in den naechsten Sitzungen; wenn schon nicht immer intensiv zu meditieren, so dennoch still zu sitzen.

Und dann kam Tag sechs. Angefangen hatte er mit einem positivem Erlebnis am Vormittag. Direkt vor der Unterkunft der Frauen befindet sich ein Teich. Da Wasser ja sowieso mein Element ist und hier an dem Pond zu meiner Freude auch Schildkroeten wohnten, hatte ich schnell meinen Lieblingsplatz gefunden, ein Baumstamm mit Blick auf eben das Gewaesser mit all der wilden Natur da rum. Und da – nach einem Regentag – nun das Wetter wunderbar mild war, die Sonne schien, hatte ich es mir dort bequem gemacht. Alle anderen waren in ihren Zimmern oder in der Meditationshalle und ich war alleine.

Ich sitze also da am Pond und gruebel vor mich hin, als es rechts von mir im Gebuesch raschelte. Ich vermutete erst ein paar Voegel, die es hier ziemlich zahlreich gibtb. Aber irgendwie war es mehr. Also Squirrles (texanische Eichhoernchen), auch davon waren hier genug unterwegs. Doch auch dafuer schienen mir die Geraeusche zu laut und als ich in die Richtung blickte, schaute ich direkt in die Augen einer Wildkatze (in Texas heissen diese Bobcat). Im allerersten Moment setzten Herz und Atmung aus. Natuerlich war sie nicht so gross wie etwa ein Puma, aber doch um einiges groesser und kraeftiger als eine gewoehnliche Hauskatze. Das Fell grau-braun meliert, mit kurzem Schwanz und einem kraeftigen Koerperbau. Mit gelb-schwarzen Augen sah mich kurz an (ich war inzwischen aufgestanden um sie besser zu sehen und – ganz ehrlich – notfalls schneller fliehen zu koennen), drehte sich dann um und spazierte an mir vorbei, am Haus entlang, um sich dann ca. 10 m weiter hinzusetzen und aufmerksam in den Wald hinter dem Gebaeude zu schauen.
Irgendwann hatte sie wohl etwas entdeckt und sprang davon. Wow! Ich habe selten etwas so elegantes gesehen, oder gar ein Lebewesen das eine solche Ruhe ausstrahlt! Und sie schien ueberhaupt keine Angst zu haben. Faszinierend.

Weniger faszinierend dagegen war meine Verfassung. Koerperlich plagten mich Kopfschmerzen und eine ungute Verdauung, aber damit haette ich ja noch leben koennen. Unangenehmer war der seelische Zustand. Und im Laufe des Mittags wurde es immer schlimmer. Meine Gedanken fingen an sich um die Ueberlegung zu kreisen, noch heute mit der Lehrerin zu sprechen und ihr zu sagen „ich gehe“ und dann Helmut anrufen, dass er mich spaetestens morgen abholen soll. Natuerlich fiel mir – als „Wie kann ich mein Leben verbessern“-Hoerbuch-Veteran sofort der Spruch ein: A Winner never quits and a Quitter never wins! Aber: man dh. frau dh. ich kann sich doch auch mal geirrt haben und diesen Irrtum dann zugeben, oder? Ich meine, warum soll ich mich noch vier Tage quaelen? Okay, Helmi wird es wohl eher nicht gefallen, weiss ich doch, dass er ein Projekt am Laufen hat waehrend ich weg bin. Aber ich kann mich doch nicht immer danach richten, was anderen passt oder nicht ... mein Gedankenschlitten war ausser Kontrolle und auf einen schwarzen, eisigglatten Emotionsgletscher geraten und bewegte sich langsam, aber unhaltbar in Talrichtung ... Tiefe Krise. Mir kam dann kurz der Gedanke, oder besser die Befuerchtung, wenn ich all das anleiere – also mit der Lehrerin reden, Helmi anrufen, usw. – ich mich hinteher auch elend fuehle, weil ich versagt habe. Eine Zwickmuehle!
Je mehr Minuten verstrichen, je konfunser wurde ich. Und es war niemand da, dem ich es mitteilen konnte. Ich musste – zumindest in dem Moment – damit fertig werden. Eine Entscheidung treffen. Wieder die ernsthafte Ueberlegung morgen abzureisen. Auch ein Spaziergang nach dem Mittagessen und ein Powernap (20 min schlafen) halfen nicht. Es ging mir nicht besser. Kopfschmerzen, der Magen krampfte sich zusammen.

Dachte dann, okay, ich gehe in die Nachmittagssitzung und anschliessend treffe ich eine Entscheidung. Doch soweit kam ich dann gar nicht, denn auf dem Weg von der Unterkunft zur Meditationshalle fiel die Krise ueber mich her, als haette mir jemand einen Eimer Wasser ueber den Kopf geschuettet. Ich kann das nicht, ich will weg! So wartete ich auf dem Weg dorthin auf unsere zustaendige Ansprechpartnerin (eine sehr junge Frau, ich schaetze japanischer Abstammung, die fuer Organisation etc. zustaendig war). Ich sagte ihr (mit noch) fester Stimme: Ich will morgen abreisen! Allerdings muss ich schlecht ausgesehen haben, denn sie fragte gleich ob alles okay ist? Das war zuviel! Nein, nichts ist in Ordnung! ... meine Stimme nur noch ein heiseres Fluestern zwischen den aufsteigenden Traenen. Ich bin normalerweise nicht so nah am Wasser gebaut, aber jetzt ... All die tollen Saetze, die ich mir zurecht gelegt hatte – weg! Klasse. Ich versuchte ihr dann zu erklaeren, dass dies alles hier einfach nichts fuer mich sei, das ich fehl am Platz bin. Sie sagte sehr ruhig, dass es ihr beim ersten Kurs ebenso ergangen sei. Immer noch mit erstickender Stimme stammelte ich, dass mir das jetzt nicht wirklich nuetze. Ihr naechster Satz allerdings traff mich: It is not at all what you expected, right? (es ist nicht was Du erwartet hast). Nein, wirklich nicht! Sie fragte mich dann, ob ich mit der Lehrerin sprechen moechte und ich sagte, mit traenenverschleiertem Blick auf die Uhr, dass jetzt ja erstmal Meditationsstunde sei. Ob ich dort teilnehmen koennte? Ja, ich versuche es. So bin ich in die Halle. Und eine positive Energiewelle empfing mich. Ich setzte mich auf meinen Platz und beruhigte mich. Es dauerte eine Weile, aber ich hatte ploetzlich wieder das Bild der Wildkatze – elegant, ruhig, furchtlos – vor Augen und das half. Als sich der Tornado in meinem Kopf dann ausgetobt hatte, konnte ich auch wieder einen klaren Gedanken fassen (wobei das Stillsitzen und die allgemeine Versunkenheit der Meditierenden ihren Teil beitrugen). Ich ueberlegte mir, dass wenn ich mit der Lehrerin spreche, sie mir bestimmt sagt „versuche es doch noch einen Tag lang“ und „ das was jetzt passiert, ist der Reinigungsprozess, all die alten Dinge sprudeln an die Oberflaeche“ ... usw. Trotzig wie ich bin, antwortete ich mir: Das weiss ich ja selbst! Doch neben dem Trotz hatte auch eine ganz vernuenftige Stimme Platz und die sagte: dies waere kein guter Zustand nach Hause zu fahren, ich sollte erstmal wieder meine sieben Sinne sammeln. Ich glaube ich beginne die Geschichte mit der Reinigung zu verstehen. Und dazu dient das Schweigen, meditieren (allein mit eigenen Gedanken) und die ‚Solitude’, aber auch das Durchwaten eines Krisensumpfes, barfuss und ungeschuetzt. Vielleicht sollte ich doch die vollen 10 Tage bleiben und komme nicht „kaputt“ nach Hause? Doch erstmal heute. Fuer heute ist es gut und morgen, morgen ist ein neuer Tag und ich entscheide dann. Ja, so mache ich das ...

Ich lernte an diesem Tag das wohl wichtigste Wort bis ins tiefste Innere zu begreifen: „Annicca“ (sprich: anitscha) – frei uebersetzt bedeutet es: nichts ist permanent, alles geht vorbei! Auch die Ungewissheit, wie es mir morgen gehen wird ....

.... Fortsetzung folgt ....

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