Was tut man, wenn man nichts tut? ... Teil IV ...

Die naechsten zwei Tage verbringe ich damit, die Erkenntnisse zu verarbeiten, die Stille und die Natur zu geniessen, meine Gedanken zu ordnen und meine Meditationstechnik zu verfeinern und vertiefen. Zu Letzterem bekomme ich noch eine ganz besondere Gelegenheit, die mich allerdings auch vor eine neue Herausforderung stellt.

Am Morgen des achten Tages reicht mir Stephanie (unsere fuer die Organisation zustaendige ‚Managerin’) einen kleinen Zettel. Auf dem steht, dass ich ab dem Nachmittag – und fuer den ganzen naechsten Tag – die Moeglichkeit habe, in einer der Zellen in der Pagoda zu meditieren. Die Pagoda ist ein rundes, zweistoeckiges, grosses Gebaeude, das hinter den Unterkuenften liegt. Bisher hatte ich es nur von aussen betrachtet, fand aber es strahlt eine gewisse fast schon majestaetische Ruhe und Kraft aus. Nun also habe ich die offizielle Erlaubnis sie zu betreten. Und das tue ich dann auch. Natuerlich werden die Schuhe draussen gelassen, um dann auf Socken durch die Glastuer hineinzugehen. Am Eingang steht ein kleiner Tisch mit Instruktionen (z.B. wo Kissen zu finden sind und das man seine Zelle nach Benutzung aufraeumen soll etc.). Die Waende weiss und der Boden in dunkelgruen gefliesst, wirkt es dennoch nicht kalt – im Gegenteil. Man mag ja vom Meditieren halten was man will, aber ich erlebe es hier am eigenen Leib, dass eben das Energien freisetzt, die mit keinem Messgeraet ausser dem menschlichen Sinnen zu messen sind.

Im Erdgeschoss sind die Zellen in zwei Ringen angelegt und schnell habe ich die meine gefunden. Und wenn ich Zellen sage, dann trifft das durchaus zu. Ein Raum – kuchenstueckfoermig – vielleicht 3 m hoch, die Grundflaeche 2.5 m Seitenlaenge und 1.5 – 2 m breit. Kein Fenster und eine Tuer, die sich ziemlich lichtdicht schliessen laesst. Ich besorge mir ein Kissen, oeffne die Tuer, mache Licht an und trete ein. Hm, ich weiss ja nicht. Meine leichte klaustrophobische Veranlagung will an die Oeberflaeche sprudeln, aber ich ringe sie fuer den Moment erfolgreich nieder. So jetzt bin ich mal hier, setze mich und mache das Licht aus. Es ist fast stockdunkel (ausser einem kleinen Streifen Helligkeit, der unter der Tuer durchscheint) und still. So still, das eben diese Stille schon fast in den Ohren droehnt. Ich lehne mich an die Wand, schliesse die Augen und atme ruhig. Etwas, dass ich nur unzulaenglich mit dem Wort „Frieden“ beschreiben kann, nimmt mich in seinen Bann. Doch leider haelt dies nicht sehr lange an. Nach ca. 20 Minuten faellt mir das Atmen schwerer und immer wieder draengen sich Gedanken hoch, dass jemand die Tuer von Aussen abschliesst und ich nicht mehr rauskommen. Ich fange an, auf Schritte zu lauschen – die natuerlich nicht da sind. Ich rede mir gut zu, dass das Einbildung ist, aber nur der Verstand hoert zu. Das hilft dem aufsteigenden Gefuehl der Beklemmung wenig. Immer wieder kommen mir Woerter wie Einzelhaft und Folter in den Sinn und letztlich gebe ich auf. So leise wie moeglich – um die Meditierenden in den anderen Zellen nicht zu stoeren – packe ich die Kissen zusammen, oeffne leise die Tuer und bin sehr froh, als ich endlich draussen im Sonnenschein stehe und wieder richtig atmen kann .... als wir am letzten Tag wieder reden duerfen, hoere ich von anderen, das es ihnen aehnlich ergangen ist. Die aelteren Studenten – also die, die nicht zum ersten Mal hier sind – meinen es wird mit jedem Mal einfacher. Nun gut, so besteht Hoffnung ...

Fuer jetzt nutze ich die Zeit die mir bleibt auch noch mal zur Selbstbeobachtung. Fasziniert faellt mir auf, um wieviel langsamer ich esse, mich bewege, mich umschaue, ja sogar denke. Intensiver. Ich nehme mir fest vor, davon etwas mit in meinen doch oft eher hektischen Alltag zu nehmen und hoffe das es klappt.

Der abendliche Kurs gibt mir auch immer mal wieder eine Denkaufgabe. Ich habe schon vor langer Zeit lernen duerfen, das bei solchen Seminaren, nicht immer alles fuer jeden zutrifft, ankommt, oder gar Zustimmung findet. Das ist auch gut so. Was fuer mich ein wichtiger Satz ist, ist fuer andere vielleicht das, was sie ueberhoeren. Was fuer mich unlogisch oder unreal erscheint, ist fuer eine andere Schuelerin der Satz, der ihr Leben veraendert. Und das ist auch gut so!

Zum Beispiel, stoert es mich persoenlich, wenn behauptet wird, das Vipassana als er einzig richtige Weg beschrieben wird, ein glueckliches Leben fuehren zu koennen. Und wenn ueber andere Sekten, Religionen, Meditationstechniken gesagt wird, dass die doch keine Ahnung haben, es falsch machen oder sie sind gar kontraproduktiv. Ich bin der Meinung es gibt immer mehr als einen Weg. Denn so verschieden die Menschen sind, so verschieden ist auch ihre Herangehensweise daran, die Persoenlichkeit zu verbessern.

Was mir gefaellt die Einstellung zum Thema „Vergaenglichkeit“. Alles vergeht, nichts ist permanent, darum macht es auch keinen Sinn, sich nach etwas zu sehr zu sehnen oder eine Abneigung zu haben. Es bleibt so oder so nicht. Und dies hier auf einem physischen und psychischen Level zu lernen, ist ein Geschenk, das mir – so empfinde ich es – wieder ein Stueck mehr innere Freiheit gibt.

Der zehnte Tag bricht an und als ich aufstehe bin ich schon sehr neugierig darauf, wie es wird. Ab heute duerfen wir ja wieder sprechen. Nicht sofort, aber spaeter am Tag.

Der Himmel ist strahlend blau und es scheint ein schoener Tag zu werden. Ich freue mich darueber. Am Morgen ist es allerdings noch ziemlich kuehl, da es in der Nacht wieder gefroren hatte. So ziehe ich mich warm an, bevor ich mich auf den Weg zum Fruehstueck mache. Ab morgen werde ich dann auch wieder ‚Strassenkleidung’ tragen – hier bin ich jetzt 10 Tage lang in bequemer, legerer Sportkleidung rumgelaufen.

In den morgendlichen Meditationsstunden, lernen wir einen ‚Anhang’ an die praktizierte Meditationstechnik. Bisher fokkussierte sich die Aufmerksamkeit ganz auf den eigenen Koerper, das eigene Empfinden, das Ich. Nun erfahren wir, wie wir die so gesammelte Energie auch nach aussen weitergeben koennen. Es hier zu beschreiben wuerde dem nicht gerecht werden, wie es funktioniert, darum versuche ich es gar nicht erst. Aber jetzt verstehe ich unter anderem warum ich, an dem Tag als es mir so schlecht ging und ich in die Meditationshalle kam, das Gefuehl von positiver Energie hatte, die mich umhuellte und beschuetzte.

Und dann ist es soweit. Offiziell verkuendet der Assistant Teacher, dass nun die Zeit des Schweigens vorbei ist. Dennoch sagt keiner ein Wort, als wir die Halle verlassen. Und auch auf dem Weg zur Unterkunft. Ich merke, es ist auch gar nicht so einfach, wieder Worte zu finden. Mir persoenlich ist ueberhaupt nicht wirklich nach reden zumute. Das finde ich sehr spannend.

Vor dem Gebaeude in der Sonne stehen Stuehle und zwei Baenke und ich setze mich. Eine der schwangeren jungen Frauen sitzt schon dort und sie ist die erste, die das Schweigen bricht: „Bin ich froh, das wir nun wieder laut sprechen duerfen.“ Ich pflichte ihr bei und bin sehr erstaunt wie seltsam meine eigene Stimme in meinen Ohren klingt.

Doch ist der Damm einmal gebrochen, fliesst das Wasser – oder besser in diesem Fall die Worte. Und es tut so gut sich ein wenig auszutauschen, ueber das was wir in den letzten Tagen erlebt haben. Endlich die Namen derjenigen zu erfahren, die mit mir – und doch weit weg - diese intensive Zeit durchmachten. Ich stelle fest, das Vieles – wenn nicht gar das Meiste, was ich mir so im Kopf von den wenigen Blicken auf die Mitstudenten zusammengereimt hatte, nicht stimmt. Die Lebensgeschichten die zum Vorschein kommen sind wie das Leben eben, vielfaeltig. Die schwangere Katy – von der ich annahm, sie haette das hier voll im Griff und sei eine ernste Person – ist aeusserst lebenslustig, mit einem Millitaeranwalt verheiratet und gesteht, sie ist froh dass es vorbei ist. Eine junge Inderin aus Dubai, die schon zum zweiten Mal den Kurs macht, sagt es ist jedesmal anders. Ueberhaupt, geht es ziemlich international zu, eine Russin (Olga, natuerlich), die Franzoesin (Marie-Laure) die in Hawaii lebt, eine Weltenbummlerin aus Arkansas, die erst vor wenigen Monaten durch Mauretanien reiste, usw.

Und was fuer ein Unterschied es macht, wenn man reden darf! Ploetzlich lauter laechelnde Gesichter (waehrend der Schweigetage sehen alle ernst aus und wie ich finde ein wenig gestresst – jetzt die Erloesung sozusagen), schwatzen, lachen. Eine fast andere Welt!
Allerdings stelle ich fest, es ist auch ganz schoen anstrengen und so mache ich nach dem Mittagessen meine uebliche Spazierrunde durch das Gelaende. Alleine und in Ruhe.

Nachmittags gibt es eine Meditierstunde, in der ich mich allerdings in keinster Weise auf mich konzentrieren kann. In meinem Kopf schwirren Stimmen und dazu Gedanken zu all dem, was ich von den anderen gehoert haben. Jetzt verstehe ich erst wirklich, warum das Schweigen in den neun Tagen so wichtig ist! Duerften wir reden, waere das Ergebnis zwar nicht null, aber die Wirkung der Technik waeren nur halb so effektiv. Eine interessante Erkenntnis.

Nun duerfen die Frauen theoretisch auch wieder mit den Maennern reden, wovon ein paar – die zusammen angereist sind – auch Gebrauch machen. Aber nur in dem Gemeinschaftsbereich. Es wird weiterhin getrennt gesessen, gegessen und meditiert. Spaeter gibt es noch ein Meeting, um die Organisation und den Ablauf der verbleibenden Zeit zu besprechen. Auch werden ‚rideshares’ – also Mitfahrgelegenheiten – vermittelt. Ich finde jemanden der mich bis Huntsville mitnimmt, was Helmut ein paar Stunden Autofahrt erspart. Ich habe zwar kein Handy dabei, aber darf das Telefon im Haus benutzen um ihn kurz anzurufen und Bescheid zu geben.

Waehrend des Abendessens wird natuerlich auch viel geredet und es wird mir fast zu laut in dem kleinen Raum. Ich merke dass dann auch in der anschliessenden Meditationsstunde, dass es schwer faellt abzuschalten. Durch das „viele Reden“ den ganzen Tag bin ich ganz wirr im Kopf. Und sehr muede, habe Schaedelbrummen. Aber in wenigen Minuten wird dann hoffentlich auch im Flur vor meinem Zimmer – wo noch ein paar „Maedels“ stehen und schwatzen – Ruhe sein.

Tag elf beginnt um 4 Uhr mit aufstehen. 4.30 dann Pflichtprogramm, erst Chanting, dann der letzte Kurs und noch eine halbe Stunde Meditation, bevor es Fruehstueck gibt. Anschliessend beginnt das grosse Aufraeumen und putzen, zum Einen im eigenen Zimmer und zum Anderen in den gemeinschaftlich genutzten Bereichen. Es klappt hervorragend.

Gegen 9.00 Uhr fahren Hian und ich los. Nun bin ich doch ein klein wenig wehmuetig, dass die Zeit hier vorbei ist. Doch auch froh, nun wieder in die Welt entlassen zu sein. Es kommt mir vor, als haette ich mich fuer Wochen hier auf diesen wenigen Quadratmetern aufgehalten.

Die 2 ½ Stunden dauernde Fahrt bis Huntsville vergeht allerdings wie im Flug. Dort treffen wir Helmut und natuerlich die Hundies, die erstmal voellig ausrasten. Eine Stunde spaeter sind wir dann in der Kathy Lane. Es ist schoen wieder zuhause zu sein!

Doch noch lange klingt die Erfahrung der Stille und das In-mich-hineinsehen in mir nach.

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