Ein Kollege von mir ist überraschend gestorben. Blutvergiftung,
Organversagen … und er kommt nicht wieder zurück. Bei einer Sitzung sagt eine
der Kolleginnen. „Ich möchte Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben und
an unseren Kollegen zu denken.“ Alle stehen auf. Dann ist es still. Einen
Augenblick lang. Ich denke an den Kollegen, den ich kaum kannte. Ich denke an
seinen plötzlichen und überraschenden Tod. Ich denke an seine Familie. An die
Menschen, die zurückbleiben. Die trauern und mit ihrer Trauer fertig werden
müssen.
Dann ist der Augenblick der Stille vorbei. Wir
setzen die Sitzung fort. Das Leben geht weiter und wir müssen diskutieren,
planen und entscheiden. Wir sind wieder mitten im Leben.
Mir hat das gut getan und gut gefallen. Dass wir
alle aufgestanden sind. Dass wir kurz dastanden und schwiegen. Sicher: Der tote
Kollege bleibt tot. Aber wir, die wir weiterleben, wir haben für einen
Augenblick das Leben angehalten. Haben nichts gemacht, nichts gesagt, waren
still. Wir sind aufgestanden.
Es gibt die Redewendung „Zu etwas stehen“. Ich
werde aufgefordert: Steh zu deiner Meinung.
Oder ich habe mich blöd verhalten, und dann muss ich dazu stehen. Das
ist nicht immer ganz einfach. Zu etwas stehen, das heißt: Ich übernehme
Konsequenzen für mein Denken und Handeln. Heißt aber auch: Ich stehe zu mir,
selbst wenn es schwer fällt. Jetzt sind wir für unseren Kollegen aufgestanden.
Und haben einen Augenblick dem Tod die Stirn geboten. Denn einfach dastehen, an
einen Kollegen und Freund denken, das heißt ja auch: Du bist bei uns, in
Gedanken, in Erinnerungen. Und das macht unseren Kollegen lebendig. Lässt ihn
in diesem Augenblick auferstehen. Auferstehen in unser Leben hinein. Sicher,
ich weiß: Der Tod ist endgültig. Niemand kommt zurück. Aber wenn ich mich
erinnere, dann schlage ich dem Tod ein Schnippchen. Denn dann hole ich den
Toten wieder zu mir, zu uns, wieder ins Leben.
Für einen Toten aufstehen, das heißt dann auch:
Für das Leben aufstehen. Dafür einstehen, dass der Tod nicht das letzte Wort
hat. Das haben wir gemacht. Und es hat gut getan
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