Leben im Konjunktiv ...



… weil es einfach gut ist und weil es mich daran erinnert, jetzt zu leben und Entscheidungen zu treffen. Es gibt so viele Menschen, denen es immer schwerer fällt auszuwählen: Partner, Beruf oder eine bestimmte Lebensform. Sich entscheiden kostet nämlich Kraft, vor allem wenn die Auswahl groß ist und wenn man an die weitreichenden Folgen denkt. Klar, dass es da immer mehr Menschen gibt, die unentschieden bleiben. Wie könnte man nun all die „Unentschiedenen“ ermutigen? Vielleicht so: Egal, wie du dich entscheidest: So viel Gutes liegt vor dir, aber auch Schweres. Es gibt nicht den goldenen Weg, der dir alles erspart. Und wenn du nur verpassten Chancen nachweinst, dann lebst weder im verpassten Traum noch im Hier und Jetzt. Deshalb: Wähle deinen Weg, stehe zu ihm und gehe ihn leidenschaftlich. Das ist allemal besser als ein Leben im Konjunktiv ...


 Julia Engelmann:

Eines Tages, baby, werden wir alt sein. Oh baby, werden wir alt sein.
– und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können.
Ich, ich bin der Meister der Streiche, wenn´s um Selbstbetrug geht.
Bin ein Kleinkind vom Feinsten, wenn ich vor Aufgaben steh.
Bin ein entschleunigtes Teilchen….
lass mich begeistern für Leichtsinn – wenn ein andrer ihn lebt.



Und ich denke zu viel nach.
Ich warte zu viel ab.
Ich nehm mir zu viel vor –
und ich mach davon zu wenig.
Ich halt mich zu oft zurück –
ich zweifel alles an,
ich wäre gerne klug,
allein das ist ziemlich dämlich.

Ich würde gern so vieles sagen
aber bleibe meistens still,
weil, wenn ich das alles sagen würde,
wär das viel zu viel.

Ich würd gern so vieles tun,
meine Liste ist so lang,
aber ich werd eh nie alles schaffen –
also fang ich gar nich´an.
Stattdessen häng´ich planlos vorm Smartphone,
wart´bloß auf den nächsten Freitag.
N´ach, das mach´ ich später,
ist die Baseline meines Alltags.

Ich bin so furchtbar faul
wie ein Kieselstein am Meeresgrund.
Ich bin so furchtbar faul,
mein Patronus ist ein Schweinehund.

Mein Leben ist ein Wartezimmer,
niemand ruft mich auf.
Mein Dopamin, das spar ich immer –
falls ich´s nochmal brauch.
Und eines Tages werd ich alt sein, oh baby, werd´ ich alt sein
und an all die Geschichten denken, die ich hätte erzählen können.

Und Du? Du murmelst jedes Jahr neu an Silvester
die wiedergleichen Vorsätze treu in dein Sektglas
und Ende Dezember stellst Du fest, das du Recht hast,
wenn Du sagst, dass Du sie dieses Jahr schon wieder vercheckt hast.

Dabei sollte für Dich 2013 das erste Jahr vom Rest deines Lebens werden.
Du wolltest abnehmen,
früher aufstehen,
öfter rausgehen,
mal deine Träume angehen,
mal die Tagesschau sehen,
für mehr Smalltalk, Allgemeinwissen.
Aber so wie jedes Jahr,
obwohl Du nicht damit gerechnet hast,
kam Dir wieder mal dieser Alltag dazwischen.
Unser Leben ist ein Wartezimmer,
niemand ruft uns auf.
Unser Dopamin das sparen wir immer,
falls wir´s nochmal brauchen.

Wir sind jung, und ham´ viel Zeit.
Warum soll´n wir was riskieren,
wir woll´n doch keine Fehler machen.
wollen auch nichts verliern.

Und es bleibt so viel zu tun,
unsere Listen bleiben lang
und so geht Tag für Tag
ganz still ins unbekannte Land.

und eines Tages, baby, werden wir alt sein, oh baby,
und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können.
Und die Geschichten, die wir dann stattdessen erzählen werden –
traurige Konjunktive sein wie

<<Ein mal bin ich fast einen Marathon gelaufen
und hätte fast die Buddenbrooks gelesen
und einmal wär´ ich beinah bis die Wolken wieder lila war´n noch wach gewesen
und einmal, fast hätten wir uns mal demaskiert und gesehen wir sind die gleichen
und dann hätten wir uns fast gesagt, wie viel wir uns bedeuten.>>
werden wir sagen.

Und das wir bloß faul und feige waren,
das werden wir verschweigen,
und uns heimlich wünschen,
noch ein bisschen hier zu bleiben.

Wenn wir dann alt sind –  und unsere Tage knapp,
und das wird sowieso passiern´,
dann erst werden wir kapiern´,
wir hatten nie was zu verliern´ –
denn das Leben, das wir führen wollen,
das können wir selbst wählen,
also lass´ uns doch Geschichten schreiben,
die wir später gern erzähln´.
Lass uns nachts lange wach bleiben,
auf´s höchste Hausdach der Stadt steigen,
lachend und vom Takt frei die allertollsten Lieder singen.
Lass uns Feste wie Konfetti schmeißen,
sehen, wie sie zu Boden reisen
und die gefallenen Feste feiern,
bis die Wolken wieder lila sind.
Lass ma´ an uns selber glauben,
ist mir egal ob das verrückt ist,
und wer genau kuckt sieht,
dass Mut auch bloß ein Anagramm von Glück ist.

Und – wer immer wir auch warn´-
lass mal werden wer wir sein wollen.
Wir ham´ schon viel zu lang gewartet,
lass mal Dopamin vergeuden.

Der Sinn des Lebens ist leben,
das hat schon Casper gesagt,
let´s make the most of the night,
das hat schon Kesha gesagt,
lass uns möglichst viele Fehler machen,
und möglichst viel aus ihnen lernen.
Lass uns jetzt schon Gutes sähen,
dass wir später Gutes ernten.
Lass uns alles tun,
weil wir können – und nicht müssen.
Weil jetzt sind wir jung und lebendig,
und das soll ruhig jeder wissen,
und – unsere Zeit die geht vorbei,
das wird sowieso passiern´,
und bis dahin sind wir frei
und es gibt nichts zu verliern´.

Lass uns uns mal demaskiern´
und dann sehen wir sind die gleichen
und dann können wir uns ruhig sagen,
dass wir uns viel bedeuten,
denn das Leben das wir führen wollen,
das könn´ wir selber wählen.

Also – los, schreiben wir Geschichten,
die wir später gern erzähl´n.

Und eines Tages, baby, werden wir alt sein. Oh baby, werden wir alt sein.
– und an all die Geschichten denken, die für immer unsere sind.”

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