'Sie haben Post'

Die Welt macht einem Menschen Platz, der weiss wohin er geht. (Ralph W. Emerson)


Liebe Wiebke

Zunaechst einmal moechte ich Dir natuerlich zu Deinem 13. Trockengeburtstag gratulieren. 13 Jahre – inzwischen ein Teenager auf dem Weg erwachsen zu werden. Doch wir wissen, gerade das ist eine schwierige Zeit. Noch nicht volljaehrig, aber alt genug zu glauben, alles zu wissen, nicht wahr? Man gehoert nicht mehr zu den neugierig, unschuldigen Kindern, aber auch noch nicht zur selbstbestimmten, unabhaengigen Erwachsenenwelt. Angefuellt mit Selbstzweifeln und Infragestellen. Nicht nur sich selbst, nein auch die Umgebung, die Familie, das Leben an sich!

Wie jeder „Mutter“ faellt es mir schwer zu glauben, dass es schon so lange her ist und wie gross Du geworden bist. Ich erinnere mich noch ziemlich gut an den Tag, als Du ‚geboren’ wurdest. Es war eine schwere Geburt, die mit vielen Schmerzen verbunden war. Natuerlich ging dem eine Zeit der Vorbereitung voraus. Gleichwohl von Freunde in diesem Fall keine Rede sein kann. Monatelang mit dem Gedanken daran „schwanger“ gewesen; durchgespielt wie waere es, das ‚so leben’ und mit dem Trinken aufzuhoeren – um es dann wieder zu verwerfen, Angst. Quaelend, doch diese Zeit der Vorbereitung ist wichtig, um Kraefte fuer die Wehen zu sammeln.
Dann gab es einen falschen Alarm. Ein paar Wochen vor dem Termin, den das Schicksal fuer Deine Geburt ausgesucht hatte. Ungeduldig darauf, dass es nun endlich vorbei sei, in eine Klinik bringen lassen und versucht etwas voran zu treiben, was sich nicht herbeihetzen laesst. Das musste ja schief gehen!
Doch letztlich hast Du es geschafft, 13.12.98. Ja und dann hat man da das Neugeborene in den Haenden, hilflos mit grossen Augen in die Welt blickend, die sehr feindlich erscheint. Orientierungslos und verletztlich, nicht wirklich daran glaubend, dass man jemals das erste Lebensjahr erreichen wird ...

Und jetzt sind es 13 Jahre. Soviel ist geschehen in der Zwischenzeit, ein ganzes neues Leben!

Also wenn ich so an die Wiebke von vor 15 Jahren denke ... Ich dachte dieser Tage, was waere, wenn ich sie heute sehen wuerde, wie sie an mit vorbei laeuft (so Zeitsprungmaessig). Wuerde ich zu ihr sagen: was denkst Du dir eigentlich dabei so zu leben? Oder wuerde ich sie einfach vorbei gehen lassen? Weil, wenn es sie nicht gaebe, gaebe es Dich so wie Du heute bist auch nicht ...

Da es ein theoretisches Konstrukt ist, kann ich die Frage natuerlich nicht beantworten. Mir scheinst Du oft heute wie eine andere Person auch wenn ich weiss, dass tief in Dir durchaus auch noch Teile der alten Wiebke sind. Nun ganz aus uns heraus koennen wir wohl nie. Wir lernen mit dem Tier in uns zu leben und wenn wir uns mit ihm beschaeftigen, es wahrnehmen, ernst nehmen und viel mit ihm arbeiten, koennen wir es sogar zaehmen. Aber wir wissen, ein bisschen etwas Wildes bleibt in ihm. Ein Instinkt auszubrechen und in alte Verhaltensweisen zu verfallen. Das ist gut so, es erinnert daran, wie wichtig es ist, nicht nachlaessig zu werden. Das gute Leben nicht als selbstverstaendlich hinzunehmen, was in einer Katastrophe enden koennte. Es ist wichtig, das nicht zu beschoenigen, gar verklaeren, sich bewusst zu sein, jeden Tag einmal nach dem Tier zu sehen, ob es ihm gut genug geht zahm zu bleiben ...

„Folge nur der Spur Deiner Sehnsucht, dann werden Dir die Bilder das Geheimnis Deines Lebens erschließen!“ Das sagte Anselm Gruen und ich finde, Du hast das bisher ganz gut gemacht, Deiner Sehnsucht folgen. Und ich weiss, weil Du es mir erzaehlt hast, Du hast auch schon das eine oder andere Geheimnis Deines Lebens enthuellt. Doch da ist noch soo viel zu entdecken ...
 
Nun das Jahr 2011 ist fast vorbei. Was fuer ein Jahr! Ich meine, wieviele Menschen koennen schon von sich behaupten, 2000 km zu Fuss gegangen zu sein? Und – was ich ja noch viel wichtiger finde – wieviele koennen behaupten sich ihre Traeume zu erfuellen? Man fragt sich, ob sie einfach zu traege sind oder ob die Angst vor dem Unbekannten sie zurueckhaelt. Nun, Du und ich wissen von Deiner Angst, die Dich manchmal laemt. Der Mut versteckt sich dann hinter einer Wand aus Gegenargumenten, die unueberwindbar scheint.  Und nur mit einer grosse Kraftanstrengung schaffst Du es dann, sie Zentimeter um Zentimeter zu erklimmend, gegen die eigenen Widerstaende. Und dann, dann laeufst Du einfach los ...
 
Du hattest mir geschrieben, dass es nach Deiner Pilgerreise zunaechst alles sehr aufregend war, viele neue Ideen und Gedanken, gefuellt mit den Erlebnissen und Bildern. Und was passierte? Nichts! Die Welt drehte sich weiter, ja hatte sich in den Monaten Deiner Abwesenheit kein bisschen veraendert. Du konntest nicht sehen, dass die Veraenderung in Dir lag. Enttaeuschung machte sich breit. Wo war er, der grosse Gong?
Der Spruch, den Mami gefunden hatte, passt da ja durchaus „Am Ziel deiner Wünsche wirst du jedenfalls eines vermissen: Dein Wandern zum Ziel!" (Maria von Ebner-Eschenbach) ... und eine gewisse Apathie machte sich breit. Deine Ausrede: ich muss mich ja um alles kuemmern und arbeiten gehen. Hast Dich schoen abgelenkt und bist dann viel zu schnell wieder in einen Alltagstrott verfallen. Oder doch nicht? Ich weiss, manchmal ist es gar nicht so einfach, wenn man angekommen ist. Was kommt jetzt? Was ist in meinem Leben dran, wohin fuehrt der Weg nun? Ich kenne Dich gut genug zu wissen, dass Du die „Gedanken“ Deiner Reise nicht vergessen hast. Sie liegen ein bisschen im Keller und reifen ...
 
Wenn ich so auf Dein Lebensbuch schaue, ist das schon ein ganz schoener Waelzer. Und er enthaelt so ziemlich alles, was eine gute Geschichte braucht: Abenteuer und Liebe, Verlust und Leid, Gewinnen und Verlieren, Freunde und Einsamkeit, Helden und Hilfe, Geben und Nehmen ... und vieles mehr. Aber ich sehe auch, dass es noch sehr viele leere Seiten gibt, viel Platz fuer all die Dinge, die noch vor Dir liegen. Ich finde das sehr spannend.
 
Ja, Du mit Deiner Ungeduld. Ich weiss. Manchmal wuerdest Du schon gerne wissen, was auf der letzten Seite steht nicht wahr? Wie das Buch ausgeht. Doch, sind wir mal ehrlich, wer moechte denn schon gerne alles wissen und ueber soviel Macht verfuegen die Zukunft zu kennen? Ja, wuenschen tun wir es uns machmal, aber wozu? Und ich weiss, dass Du es nie tust, die letzte Seite lesen, bevor Du nicht jede einzelne Seite vorher umgeblaettert hast. Du gehst dann doch den ganzen Weg, allerdings manchmal ein bisschen schnell und dann stolperst Du ueber die eigenen Fuesse ... Dein Lieblingsautor Paulo Coelho meint dazu: ‘There are no short cuts to any place worth going'.
 
Oh, nicht alles ist nur gut gewesen in dem Buch und nicht jede Geschichte darin zum lachen – im Gegenteil. Niemandem auf der ganzen Welt werden immer alle Wünsche erfüllt. In keinem Leben geschieht nur das, was man will. Immer wieder geschieht auch Unerwartetes, ja, Unerwuenschtes. Doch sind es nicht genau diese Dinge an denen wir wachsen?
Und – wie bei jedem – zu oft trifft man im Leben Entscheidungen, hinter denen man nur zum Teil steht. Und auch in den Entscheidungen, die daraus folgen, findet man sich nur zum Teil wieder. Hieraus folgen dann wieder Entscheidungen, in denen man sich gar nicht mehr wiederfindet. Bis man eines Tages erwacht und sich selbst nicht mehr finden kann. Dann, im uebertragenen und – fuer Dich nun auch - woertlichen Sinn, packt man seine Sachen und macht sich auf den Weg. Bis man sich selbst wieder begegnet.
 
Und noch eine Anmerkung zu Deinem Lebensbuch. Ich habe Dich dieser Tage wieder dabei ertappt, wie Du vor den leeren Seiten sitzt und darauf starrst. Und Du fragst Dich was habe ich eigentlich Grossartiges geleistet, hier steht ueberhaupt nichts drin. Vielleicht – nur so als kleiner Tip von einer Freundin – ab und zu waere ein bisschen zurueckblaettern sicher mal ganz lehrreich. Nein, Stillstand ist nicht gut, aber Innehalten waere durchaus manchmal sehr wichtig. Reflektieren, was Du schon erreicht hast, um daraus dann wieder Kraft zu schoepfen um eben die leeren Seiten zu fuellen.
Du wirst erkennen, wer soviel erreicht hat, den kann doch niemand bremsen - ausser Du selbst natuerlich. Mit Deinen Zweifeln. Nachdem jetzt die Zeit des Laufens vorbei ist, heisst es erstmal ein wenig ausruhen auf der Stufe, die Du erklommen hast. Luft holen, wieder zu Atem kommen. Es gilt sich neu zu justieren. Herauszufinden, was jetzt dran ist. Und dann ist es Zeit sich neue Ziele zu setzen. Ich koennte mir vorstellen Du hast schon wieder etwas in der ‚Pipeline’, oder? Eine Idee fuer eine neue Geschichte? Schreibst Du mir davon, wenn es spruchreif ist? Ich wuerde mich freuen.

Ja, ich weiss, das mit den Zielen ist gar nicht so einfach. Wir Schriftsteller kennen das: Schreibblockade. Da sitzt man vor einem leeren Blatt, irgenwann schreibt man ein paar Woerter, liest sie dreimal durch, reisst das Papier aus der Schreibmaschienen und faengt von vorne an. Der Boden ist uebersaet mit zerknuellten Blaettern, auf denen halbfertige Saetze stehen. Mein Tipp: denk an die Fanta Vier ... Lass die Sonne rein! Lass Sie auf die Woerter scheinen die Du nicht finden kannst und ploetzlich werden sie leuchten. Und dann der erste Satz und dann ... dann kommt der Rest der Geschichte wie von ganz alleine aufs Papier. Und dann weisst Du ploetzlich: Alles wird gut!

Fuer heute nun, wuensche ich Dir, dass Du diesen Tag geniessen kannst. Sonne Dich in Deinem eigenen Licht, denn es strahlt hell und schoen. Und dann wähle Deine Gedanken und ernte die Früchte der Freiheit!
 
Ich drueck Dich ganz fest
Wiebke

… 44 und es wird immer besser … edited!!

Vor ein paar Tagen sagte ich im Scherz zu einer Kollegin, nachdem ich fuer eine Stunden mit einem ziemlich uebellaunigen Kunden zu tun hatte „ich glaube ich bin einfach zu alt fuer so einen Stress“. Sie lachte (sie ist 60) und meinte „willkommen im Club“. Ha, ha .... Es entstand eine Diskussion darueber das man doch eben nur so alt ist wie man sich fuehlt und dass doch eine Zahl so gar nichts aussagt. Dennoch, gerade hier in USA - oder ist es einfach diese Zeit?, faellt mir auf, wieviel die Menschen an Zahlen haengen und diese als Entschuldigung benutzen „... ich kann ja nicht mehr so, weil ich bin 50“ ... „der Blutdruck steigt halt, wenn man mal ueber 45 ist“ ... „als Frau jenseits der 40 muss man mit Wechseljahrbeschwerden rechnen“ ... und wenn es in den Bereich ueber 55 geht, ist Diabetis fast schon Pflicht ... und so weiter und so fort. Ich kann da immer nur den Kopf schuetteln und frage mich, ob die Menschen nichts anderes im Leben geleistet haben, als sich ueber Krankheiten zu definieren!

Spaeter dachte ich – aufgrund meines bevorstehenden Geburtstages – nochmal darueber nach. Ja, manchmal tut der eine oder andere Muskel weh, zieht es hier und dort, aber dann weiss ich wenigstens dass ich noch lebe. Und wenn ich nach einem sehr aktivem Tag am naechsten Morgen aufstehe, sind die ersten Schritte etwas steif, doch so werde ich erinnert es langsam anzugehen. Ich habe auch schon mehr als ein graues Haar entdeckt, wobei ich diese nicht rausreisse, da ich eh so wenige und duenne Haare habe. Die Haut ist nicht mehr ganz so straff wie einst, aber ich habe mich in ihr nie wohler gefuehlt. Die Falten um die Augen sind schon ein paar Jahre sichtbar, alles Lachfalten. Und die Hosen von vor 20 Jahren passen definitv nicht mehr, aber die sind ja jetzt eh aus der Mode. Dennoch oder gerade deswegen, habe ich mich selten so "jung" oder besser gesagt "lebendig" gefuehlt wie gerade jetzt.

Als ich dann heute morgen aufwachte und noch eine Weile im Bett vor mich hindoeste (ich goenne mir das aber nicht nur an einem solchen Tag), kamen mir diese Gedanken wieder in den Sinn. Und ich musste an einen Satz denken, den ich mal irgendwo gelesen hatte, dass naemlich Geburtstage Aussichtspunkte auf der Lebenswanderung sind. Was ich passend finde, da ich meinen Pilgerweg sehr oft mit eben diesem Lebensweg verglichen habe. Und wie schoen doch die Sicht von meinem 44er Aussichtspunkt ist.

Ich bin aufgestanden, habe mir einen Kaffee gemacht und die Hunde versorgt. Anschliessend sind wir drei – die relative Kuehle des Morgens nutzend – spazieren gegangen. Da es tagsueber immer noch extrem heiss ist, sollte man alle Arbeiten draussen bis 11 Uhr erledigt haben. Dies im Kopf hatte ich beschlossen Rasen zu maehen. Ums Haus herum giesse ich und so waechst da der Rasen auch ein bisschen. Allerdings nicht so viel, dass es sich lohnte Craftsie (Aufsitzrasenmaeher) rauszuholen und so schob ich den guten alten Yardman vor mir her. Bis ich fertig war – ca. 1 Stunde spaeter - war ich klitschnnass geschwitzt, aber freute mich ueber das Ergebnis; und auch darueber, dass ich dies alles ueberhaupt nicht anstrengend fand. Und weil ich nun schon mal im Schwung war, holte ich die Handschuhe und rupfte hier Unkraut und ackerte da am Gemuesebeet rum. Last but not least galt es dann den umgestuerzten Baum zu beseitigen, den der letze Gewittersturm von Nachbars Grundstueck halb in das unsere geworfen hatte (zum Glueck um nen halben Meter am Zaun vorbei). Helmut ist ja eigentlich der Meister der Kettensaege und mir sind die Dinger immer so ein wenig unheimlich, aber ich sagte mir, dass kriege ich schon auch hin. Dann stellte ich jedeoch fest, dass kein Benzin im Tank war und beschloss ich kurzerhand die Pinie mit der Handsaege zu zerkleinern. Eine Stunde spaeter hatte ich den ca. 15 cm dicken Stamm in drei handliche Teile geteilt und weggeraeumt. Mein T-shirt klebte an mir und ich konnte gar nicht soviel Wasser in mich reinkippen wie ich duerstete. Aber – und darum erzaehle ich das Ganze – ich fuehlte mich gut. Nein, ich fuehlte mich besser! Nicht ob der getanen Arbeit, das war nur ein kleiner Teil. Nein, weil ich agil genug bin so etwas zu erledigen ohne dann tagelang kaputt zu sein. Vieles ist eben - wie die Amerikaner sagen - mind over matter.
Ich hatte waehrend des so vor mich hinarbeitens gedacht, ich war selten in meinem Leben fitter als jetzt – und das ist physisch und psychisch zu sehen. Ich bin kerngesund und fuehle mich wohl so wie ich bin und was ich bin.

Ich kann mit meinen jungen 44 schon auf eine ziemlich bewegte Vergangenheit schauen – auf die ich ehrlich nicht immer stolz bin, die aber ein Teil von mir ist und mich ausmacht. Ich habe ganz dunkle Zeiten gesehen und ganz helle. Ich bin fast gestorben und habe ueberlebt.
Auch habe ich schon mehrere Punkte meiner ‚Bucket list’ abgehakt ... fuer die, die den Film nicht kennen, das ist eine Liste mit Dingen, die man gerne einmal im Leben tun wuerde.

Ich habe es geschafft, meine Suechte zu besiegen und bin seit fast 13 Jahren trocken und kann (fast ganz) normal essen, rauche seit 7 nicht mehr; habe es geschafft mich von ziemlich weit unten rauszuhebeln. Ich bin erfolgreich zusammen mit meinem lieben Mann Helmut nach Texas ausgewandert. Ich bin den Jakobsweg von Deutschland aus nach Santiago gepilgert (Teile davon sind schon hier nachzulesen, naemlich hier:  http://www.kisimbawiebkeenroute.blogspot.com/ ). Ich schreibe an meinem zweiten Buch (das erste liegt allerdings unveroeffentlicht in der Schublade, aber was soll's ;-) Ich habe ein wunderbares Leben und viele Plaene fuer die Jahre die noch kommen. Ich glaube es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich wirklich aus tiefstem Herzen wuensche, dass noch viele Jahre kommen.

Ich spuere eine innere Gelassenheit und Ruhe. Ich bin mit mir Eins. Vor allem die letzten Monate auf meiner Wanderung haben mich dem Leben und mir selber naeher gebracht. Alles ist gut!

... und es wird immer besser ...

Text fuer FK

Nachfolgenden Text habe ich fuer die Freundeskreisgruppe geschrieben und dort am Dienstag vorgelesen:

Ein Mann ging in die Kirche und betete zu einem Heiligen: Bitte bitte bitte bitte, lass mich im Lotto gewinnen. Am naechsten Tag ging er wieder in die Kirche: Bitte bitte bitte bitte lass mich im Lotto gewinnen. Am uebernaechsten Tag das Gleiche und am darauffolgenden Tag wieder: Bitte bitte bitte lass mich im Lotto gewinnen. Eines Tages als der Mann gerade wieder vor dem Heiligen niederkniete, wurde dieser lebendig und sagte seufzend: Bitte bitte bitte bitte kaufe dir ein Los ...

So wie in dieser Anektode ist es auch mit unseren Traeumen ...

Wenn man in Spanien fragt, wo denn der Jakobsweg beginnt, bekommt man als Antwort: El camino comienza en su casa! – Der Weg beginnt in Deinem Haus. Und es ist wahr - mein Haus im weitesten Sinne, bin in diesem Fall ich selber. Denn genau da fing es an. Als eine Idee – vor ungefaehr 20 Jahren. Diese Idee wurde ein Traum. Wie das aber mit Traeumen so ist, man schiebt sie in irgendeinen Winkel des Gehirns, wo man hofft, dass sie vergraben bleiben. Begraben unter der Bequemlichkeit des Alltags. Weggesperrt hinter den Mauern der zufriedenen Sicherheit. Fortgespuelt von den seichten Wassern der Langeweile. Nur nicht aus der vertrauten Ruhe bringen lassen.

Und viele der Traeume tun dies auch, sie gehen und kommen nicht mehr wieder. Und die Zeit nimmt sich immer mehr von uns, wir versinken in der Routine. Und eines Morgens wacht man auf und sieht was man tut und erschrickt vor dem was man kennt weil es immer da ist. Man hat fast verpasst zu leben.

Dann sind sie wieder da, die andere Traeume, die die einen nicht mehr loslassen, aus der Vesenkung wieder auftauchen. Natuerlich kann man ihre Rufe ignorieren, doch als ein Mensch der lernen durfte seine inneren Stimmen ernst zu nehmen, hoere ich inzwischen auf solche Rufe. Ich durfte im Laufe der Jahre auch lernen, dass man Traeume verwirklichen kann, Ziele erreichen. Der Weg vom Traum zum Wunsch, vom Wunsch zum Ziel – und dann zur Verwirklichung, ist oft steinig und fuer jemanden wie mich mit wenig Geduld auch sehr lang. Aber wie sagte Walt Disney: Wenn Du es traeumen kannst, kannst Du es erreichen.

Jetzt erfuelle ich mir eben einen solchen langgehegten Traum. Ich begebe mich auf eine Pilgerreise, genau genommen auf einen der Jakobswege. Nicht erst seit es modern geworden ist, hege ich diesen Traum. Nein, ich habe ihn trotzdem behalten. Der Reiz ist nicht verloren. So fiel an einem sonnigen Sonntagnachmittag die Entscheidung: jetzt ist es Zeit. Ploetzlich fuehle ich mich frei, weil die Zukunft zur Gegenwart wird. Einen Augenblick der andauert.

So lange habe ich darauf gewartet, doch ganz ehrlich, nun da ich kurz davor stehe loszulaufen, stelle ich meine Courage in Frage. Es genuegt nicht nur, ein Los zu kaufen – man sollte auch nachschauen ob es gewonnen hat.

Ich weiss, wo ich – zumindest in ungefaehr – langwandern werde. Ich habe eine Idee davon, wie lange ich wahrscheinlich brauche. Wo ich uebernachte. Und durch das Lesen von ein paar Ausschnitten aus Erfahrungsberichten anderer Pilgerer, weiss ich, es ist machbar.

Aber was wird mit mir als Person geschehen? Auesserlich und Innerlich. Eine Herausforderung ist sicher die Tatsache, dass ich alleine gehen werde. Nicht das ich ein Problem mit dem Alleine Sein an sich habe, aber dennoch ist es natuerlich etwas anderes zuhause alleine zu sein oder unterwegs in unbekanntem Terrain.

Dann kommen wieder die Zweifel auf: Kann ich es schaffen? Bin ich genug vorbereitet? Bin ich fit genug? Ich habe Momente, da verlaesst mich mein Mut. Doch dass ist gut so!

Ich glaube, für alle Dinge gibt es ein richtiges Mass, auch für den Mut. Wer sich viel zutraut, der wird leicht über-mütig. Und wer sich mehr zutraut, als er eigentlich kann, der wird hoch-mütig. Auf der anderen Seite: Wer sich ganz wenig zutraut, der ist mut-los.

Ich glaube, das richtige Mass an Mut, die richtige Einstellung zu mir und meinen Fähigkeiten liegt irgendwo zwischen Mutlosigkeit und Hochmut, zwischen Uebermut und Demut. Aber es ist gar nicht so einfach, dieses Mass zu treffen.

Mir bleibt an der Stelle nur das Vertrauen. Das Vertrauen in mich selber und dass Vertrauen in meinen Schutzengel, der mich nun schon 43 Jahre begleitet und beschuetzt. Und der Segen und die Gedanken von all den Menschen um mich.

Ich will was sehen, was ich noch nie gesehen habe. Ich will erleben, was ich noch nicht erlebt habe. Ich will finden, was ich noch nicht einmal suche.
Es stimmt : El camino comienza en su casa. Der Weg beginnt in meinem Haus, in mir, wenn ich die Courage habe, meine Traeume zuzulassen und den Mut habe sie zu leben.