'Bücher
sind Medizin ohne Nebenwirkung.' - diesen Satz hätte ich bis vor
kurzem ohne Bedenken unterschrieben. Doch nachdem ich mich gestern
einen ganzen Tag mit nichts anderem als Büchern beschäftigt habe,
bin ich mir nicht mehr sicher.
Schon
die ganze Woche habe ich mich auf den Samstag gefreut. Nein, nicht
weil dann die Arbeitswoche rum ist - ich bin keine Vertreter der
Thank-god-it's-Friday-Mentaliät. Sondern, weil ein langgehegter
Wunsch in Erfüllung geht: ein Besuch auf der Buchmesse in Frankfurt.
Als bekennende Leseratte und Bücherwurm, Jäger und Sammler und
natürlich Schreiberling, ein must be. Zumindest einmal im Leben ...
Zum
Glück bin ich Frühaufsteher, denn es geht zeitig los. Und noch
früher als sonst muss ich los.Der Buchladen Seiffert in Leinfelden
und die örtliche VHS organisieren jedes Jahr diese Fahrt. Ein Bus
wird angemietet und man lässt sich gemütlich nach Frankfurt hin und
zurück fahren. Abfahrt 7.30 Uhr.
Gegen
6.30 Uhr liefere ich Clyde bei meinen Eltern ab, die noch friedlich
in ihren Betten liegen und schlummern. Wohl nicht mehr lange, wenn
Clyde sie mit feuchter Nase geweckt hat.
Ich
fahre weiter nach Echterdingen zum Busbahnhof wo es los geht. Im
Gepäck habe ich ein paar Visitenkarten und Ausdrucke meines Exposé
für mein Buch. Immer nach dem Motto: man weiß ja nie wem man
begegnet.
Ich
dachte, dass ich um 7.10 Uhr eine der ersten bin, schließlich ist es
Sonntag und saukalt. Weit gefehlt. Als ich ankomme stehen dort schon
10 Leute um Frau Weber, die Leiterin unserer kleinen Exkursion,
herum. Zwei Kleinbusse stehen auch schon da, ein weißer 20-Sitzer
und ein blauer 8-Sitzer. Sie erklärt uns, dass der Bus mit dem wir
eigentlich hätten fahren sollen in die Werkstatt musste und wir
darum auf diese zwei ausweichen.
Sie
hakt meinen Namen auf der Liste ab, händigt mir eine kleine Tüte
aus und ich darf einsteigen. In dem Beutelchen befindet sich ein
Flyer für die Messe mit Lageplan, die Eintrittskarte und ein Apfel
als Wegzehrung. Wie nett. Ein paar Plätze sind schon besetzt. Was
auffällt ist, 90 % sind Frauen. Ich wähle einen Zweiersitz in der
Hoffnung diesen dann für mich alleine zu haben.
Kurze
Zeit später sehe ich durchs Fenster wie ein älterer Herr
angespurtet kommt. Typ: ich bin schon frühmorgens toll gelaunt und
quatsche alle voll. Naja, einer dieser Sorte ist immer dabei. Ob man
nun daran glaubt oder nicht, aber heute kann ich kann das Gesetzt der
Resonanz live und hautnah erleben. Mein einziger Gedanke in diesem
Moment ist: hoffentlich setzt der sich nicht neben mich. Und was
passiert? Natürlich sucht er sich genau den freien Platz neben mir
aus. Seufz. Er quatscht mich auch gleich voll. Ich bin heute morgen
zwar gut gelaunt, aber wie immer nicht sehr kommunikativ und habe
auch keine Lust höflich zu sein. So nicke nur kurz bei seinen
Ausführungen über Wetter und Frauenüberschuss und mache Mmmhm ohne
ihn anzusehen. Das lässt ihn dann zum Glück relativ schnell
verstummen. Und als der Bus losfährt lehne ich mich zurück und döse
ein bisschen vor mich hin.
Der
Bus kommt ohne Stau durch bis Frankfurt. Kurz bevor wir unser Ziel
erreichen, hören wir noch eine CD mit ein paar Infos zur Messe. Ich
schaue mir den Plan an und überlege, wo es für mich am
interessantesten ist.
Als
wir da sind, sehen wir schon die Menschenmassen in die Hallen
strömen. Eigentlich ist das ja nicht mein Ding, so viele Leute auf
einem Haufen. Aber in diesem Fall lässt es sich kaum vermeiden. Also
ströme ich mit.
Auf
dem Gelände mache mich gleich auf zu Halle 3. Hier stellen die
großen und kleinen Verlage aus, die Belletristik, Sachbücher,
Tourismus etc. anbieten. Die sind für mich interessant. Doch als ich
die Halle betrete, werde ich erst mal fast erschlagen. Nicht nur von
der Menschenmenge, sondern auch von der Vielzahl der Bücher. Ich
weiß gar nicht wohin ich zuerst sehen soll.
Ich
beschließe mich eine Weile treiben zu lassen. Die Atmosphäre
aufnehmen; den Geruch nach frisch gedruckten Büchern und Papier, den
Widerspruch zwischen aufgeregten Menschen und der Ruhe die Bücher
nun einmal ausstrahlen, die Gespanntheit auf 'was erwartet mich' und
dem bunten Allerlei der Messestände.
Ich
beobachte die Menschen. Da gibt es die Pseudo-Intelektuellen, die
andächtig bei jeder noch so kleinen Lesung stehen bleiben und
zustimmend mit dem Kopf nicken, wenn ein Autor einen Satz von sich
gibt. Dann natürlich wie überall, die Messe-Junkies. Diese
schleppen schon nach kürzester Zeit große Tüten und Taschen voller
Prospekte mit sich herum. Sie drängeln und an jedem Stand halten sie
und fragen nach allem was es gratis gibt. Und dann sind da ganze
Familien - meist hauptsächlich in der Koch- und Jugendbuch Ecke zu
finden.
Last
but not least gibt es auch solche wie mich. Neu-Autoren auf der Suche
nach Informationen, wie sie ihr Manuskript an einen Verlag bringen
können.
Nachdem ich für gut eine dreiviertel Stunde wahllos zwischen skurillen Büchern und Ratgebern, Krimis und Liebensromanen, Comics und Kochbüchern herumgelaufen bin,
werfe ich nochmal einen Blick auf den Lageplan und überlege nun doch etwas gezielter vorzugehen. So steuere ich nun bestimmte Verlagsstände an. Doch ich stelle schnell fest, bei den größeren Verlagen, wo natürlich auch das meiste Gedränge herrscht, habe ich wenig Chancen mit jemandem Kontakt aufzunehmen. Das Standpersonal verweist immer sofort auf die Webseiten mit Informationen zur Manuskripteinsendung und nein, vom Verlag sei heute gerade keiner da.
Bei
kleineren Verlagen ist man eher bereit mit mir zu sprechen. So knüpfe
ich ein paar Kontakte. Aber da ich ja nicht die Einzige bin, bleibt
es bei oberflächlichen Informationen. Vielleicht verkaufen ich mich
da einfach auch noch nicht richtig. Aber ich bin stolz auf mich, dass
ich mich überhaupt traue. Bis vor kurzem noch nicht denkbar.
In
diesem Jahr sind die so genannten Selfpublisher Verlage recht
zahlreich vertreten. Auch hier spreche ich mit einigen paar Leuten.
Die Unterschiede in der Art der Veröffentlichung hier sind riesig.
Von 'der Autor macht alles selber' und es wird nur eine
Publikations-Plattform zu Verfügung gestellt, bis hin zu
Komplettpaketen. Erstere sind relativ günstig, letztere verlangen
bis zu 8.000 Euro. Da muss ich schon ganz schön schlucken.
Ich
schrecke auch immer noch ein wenig vor dieser Option zurück. Mir
klingen da Sätze im Ohr, wie: 'Jeder der ein bisschen Geld
investiert kann seinen Schrott veröffentlichen'. Und es gibt viel
Schrott. Doch ich stelle auch fest, das es in diesem Bereich ein paar
richtig gute Bücher gibt. Und für Neu-Autoren oft der einzige Weg,
das Buch auf den Markt zu bringen.
Für
eine Weile unterhalte ich mich mit einem Lektor. Wohl das
produktivste Gespräch, das ich heute führe. Zum Einen hört er zu
und gibt ein paar gute Tipps. Wohl das Wichtigste, er scheint mich
ernst zu nehmen.
Ich
sammle ein paar wenige Prospekte und eine Menge Visitenkarten.
Langsam arbeite ich mich durch die Halle. Zwischendrin stärke ich
mich mit einen Kaffee und einer Kleinigkeit zum Essen, um dann
weiterzuziehen.
Als
es gegen 15 Uhr ist, bin ich total erschöpft, ausgepowert. Wüsste
ich es nicht besser, würde ich sagen, ich bekomme eine Erkältung.
Mein Kopf ist heiß und schwummerig, ich friere, auch wenn es nicht
kalt ist, ich fühle mich einfach schwach und würde gerne eine
Nickerchen machen. Aber das ist hier nicht ganz der richtige Platz
dafür. So suche ich mir eine ruhige Ecke und sitze dort eine Weile.
Beobachte die vorbei strömenden Menschenmassen. Ich habe den
Eindruck, nicht nur ich bin so langsam etwas angeschlagen.
Irgendwann
raffe ich mich aber doch wieder auf, denn ich möchte den Tag ja
nutzen und noch ein bisschen was sehen. Wenn ich schon mal hier bin.
Den Rest des Nachmittags stromere ich durch die verschiedenen Hallen.
Blättere in ein paar Büchern, höre in das eine oder andere
Audiobook, schlendere an Lesungen und anderen Veranstaltungen vorbei
ohne lange stehen zu bleiben, bewundere in der
Antiquariatsausstellung alte Bücher und Schriften. Ich muss
schmunzeln, als ich zur Halle der Internationalen Verlage komme. Hier
gibt es hauptsächlich amerikanische und englische Vertreter der
Buchbranche - und eine Taschenkontrolle am Eingang. Wie auf dem
Flughafen.
Als
die Uhr langsam in Richtung 17.00 Uhr geht, ist die Luft aber
endgültig raus. Ich bin völlig geplättet. So suche ich mir in
einem der vielen Cafés einen Platz und gönne mir noch einen großen
Milchkaffee. Während ich den langsam schlürfe, blättere ich noch
ein wenig lustlos durch meine Prospekte und wünschte der Bus würde
nicht erst in einer Stunde abfahren.
Doch
irgendwann ist es soweit. Die Teilnehmer unserer Fahrt sammeln sich
am Eingang, abhaken auf der Liste ob auch alle da sind, und dann zu
den zwei Bussen.
Ich
zettle eine kleine Revolution an, denn ich kann es mir nicht
verkneifen: ich steige in den kleineren blauen Bus ein, der andere
als am Morgen und setzte ich hin. Menschen sind schon seltsam und oft
recht unflexibel. Jeder will wieder auf dem gleichen Platz sitzen wie
morgens und ich bringe dies jetzt gleich mal durcheinander. Ich gebe
zu, dass ich mich innerlich freue, wie ein kleines Kind, das anderen
einen Streich gespielt hat.
Kurz
nach Frankfurt verpasst der vor uns fahrende weiße Bus die Ausfahrt
und unsere Busfahrerin meint sichtlich erleichtert: 'Nun können wir
endlich schneller fahren, wenn wir dem nicht hinterher zotteln
müssen. Wir treffen die anderen ja in Echterdingen wieder.' Sprachs
und trat aufs Gas. Und während sie ziemlich flott fährt, redet und
lacht sie die ganze Zeit. Aber da ich ganz hinten sitze, stört es
mich nicht wirklich. Ich döse vor mich hin.
Und
bis kurz nach Sinsheim ist auch alles ok. Dann allerdings flucht sie
und meint, also entweder sei der Bus jetzt schwerer oder irgendetwas
stimme mit dem Fahrzeug nicht, aber sie müsse nachtanken. Also ich
glaube nicht, dass es an mir als zusätzlichem Gewicht liegt, sondern
eher an ihrer Fahrweise. Aber was weiß ich schon ...
Jedenfalls
fährt sie die Tankstelle Wunnenstein an, kippt ein paar Liter Diesel
ins Auto und geht bezahlen. Nach einer Minute kommt sie wieder,
fluchend, holt ihr Handy und meint, das könnte noch kurz dauern. Es
wird schnell klar, ihre Tankkarte funktioniert nicht und sie kann
nicht zahlen.
Zum
Glück ist aber der andere Bus noch hinter uns und so ruft sie den
Fahrer an und der kommt uns auslösen.
Doch
schon taucht das nächste Problem auf, denn als die Fahrer einen
Blick auf den weißen Bus werfen, stellen sie fest, dass vorne beide
Reifen fast keine Luft mehr haben. Na zum Glück musste er hier von
der Autobahn abfahren. Ich denke mir, dass hätte der Fahrer doch
eigentlich merken müssen, oder? Aber gut, wiederum wer bin ich
schon.
Natürlich
funktioniert das Luftdruckgerät an der Raststätte nicht. Nach einer
kurzen Beratung wird beschlossen, dass unser Bus weiter fährt, der
andere wird bei der nächsten Ausfahrt in zwei Kilometer rausfahren,
dort gibt es anscheinend einen Autohof oder ähnliches.
Gesagt
getan. Ich lächle in mich hinein. Irgendwie hatte ich wohl einen
siebten Sinn, als ich vorhin in den blauen Bus stieg. Andererseits,
so denke ich, hätte ich sonst noch eine Geschichte zu erzählen.
Irgendwie
ist wohl aber jetzt der Wurm drin. Gerade als wir losfahren wollen,
stellt die Busfahrerin fest, dass irgendein Licht nicht funktioniert.
Also steigt sie wieder aus, läuft um den Wagen. Zwei kräftige
Tritte und das Rücklicht leuchtet wieder. Und schon rasen wir los.
Ob es an der Geschwindigkeit liegt ist unklar, aber sie verpasst die
Ausfahrt nach Echterdingen. Zum Glück gibt es eine zweite, aber dann
findet sie den Weg zum Busbahnhof nicht. Sieben Mitfahrer reden auf
sie ein, wo es lang geht. Ich halte mich zurück.
Letztlich
ist es aber geschafft. Um 21.20 Uhr sind wir da. Erleichtert
verabschiede ich mich, laufe zu meinem Auto und bin froh, als ich es
da vorfinde, wo ich es morgens (nicht ganz legal) geparkt habe. Noch
schnell Clyde bei meinen Eltern abholen und nach Hause. Völlig
erschöpft. Ich bin froh wieder alleine in meine vier Wänden zu
sein.
Und
während ich mir noch eine Tasse heißen Pfefferminztee gönne, lasse
ich den Tag Revue passieren: Es war auf jeden Fall spannend und toll
so viele Bücher auf einem Haufen zu sehen. Und Menschen, die dem
Buch an sich ihren Respekt zollen. Wobei sich zum Stöbern ein
Buchladen besser eignet, finde ich. Die Messeatmosphäre ist einfach
toll, eine Hommage an allem gedruckten, aber um wirklich Kontakte zu
knüpfen zu überfüllt. Wie immer, habe ich hier ein paar
interessante Ein- und Aussichten gesammelt. Und meine Leidenschaft
für das geschriebene Wort ist noch ein wenig gewachsen.
Ich
bin immer noch der Meinung, das Bücher eine gute Medizin sind. Aber
sie haben durchaus Risiken und Nebenwirkungen, bis hin zu
Suchtcharakter. Die Frage ist wohl letztlich, wie bei jeder Medizin,
bin ich bereit für den Heilungsprozess ein paar Auswirkungen auf
andere Bereiche meines Lebens in Kauf zu nehmen?
Und
ich nehme mir vor, das nächste Mal, das ich auf die Buchmesse gehe,
ist erst wieder, wenn ich mein eigenes Buch vorstelle.
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