Drei Monate lang war ich auf dem Jakobsweg unterwegs. Diesem uralten Pilgerweg zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela.
Im
Mittelalter, als dieser Weg entstand, hatten Reliquien eine ungeheure
Anziehungskraft auf die Menschen. Noch mehr die Reliquien eines Apostels. Und
Jakobus war dazu noch ein Apostel, der Jesus besonders nahe stand. Viele Pilger
gingen den Weg, weil sie in einer großen Not ein Gelübde gemacht hatten. Andere
pilgerten mit einer großen Bitte nach Santiago und wieder andere waren auf
Bußwallfahrt.
Warum
gehst du den Weg? ist wohl die meistgefragte Frage unter Pilgern, wenn sie sich
in der Herberge, beim Essen oder unterwegs treffen. Die Antworten sind so unterschiedlich
wie die Menschen und deren Leben.
‚Ich
gehe ihn aus Dankbarkeit. Das letzte Jahr ist für mich so gut gelaufen,‘ sagte
ein Polizist, den ich getroffen habe.
Yuna,
eine eher stille und in sich gekehrte Koreanerin, erzählte mir: ‚Mein Vater ist
schwer krank. Ich möchte für ihn beten.‘
Ein
junges Paar will die Tragfähigkeit ihrer Beziehung auf dem Weg prüfen.
Marta,
eine lebhafte Frau Mitte vierzig, sagt: ‚Ich bin aus der Kirche ausgetreten.
Aber mich lässt die Frage nach Gott nicht los.‘
Der
junge Holländer Martyn weiß noch nicht so recht, was er mit seinem Leben
anfangen will. Er sagt: ‚Vielleicht gibt mir der Jakobsweg Klarheit?‘
Ich
wusste es lange Zeit nicht. Ich wusste nur, dass mich etwas auf diesen Weg gezogen
hat. Aber warum? Ich bin mit vielen Fragen losgelaufen …
Joelle,
eine Französin, die ich in Vézelay getroffen habe, meinte: ‚Vielleicht gehe
ich, weil ich eigentlich immer so leben will.‘ - Wir haben uns sofort
verstanden.
Nicht,
dass ich mein ganzes Leben lang mit dem Rucksack auf dem Rücken in Kälte, Regen
oder der Hitze unterwegs sein, oder jede Nacht im Stockbett mit durchhängender
Matratze bei Schnarchkonzerten schlafen will.
Aber
ich würde gern viel mehr unter dem freien Himmel leben. Ich würde gern öfter im
Schritttempo leben. Und mir Zeit lassen zum Wahrnehmen, was rechts und links
von mir geschieht - und natürlich in mir drin.
Ich
würde gerne immer diese Solidarität erfahren. Wie sie unter Pilgern möglich und
nötig ist. Dass jemand für mich mit kocht, wenn ich total erschöpft in der
Herberge ankomme. Dass eine von Durchfall geschwächte Pilgerin ihre schweren
Gepäckstücke auf die Rucksäcke anderer Pilger verteilt. Dass man einander die
Blasen versorgt und das Wasser teilt, wenn es auf dem Weg knapp wird.
Es
ist schön, wenn sich fremde Menschen ohne Scheu voreinander ansprechen können,
wenn Titel und Beruf nichts zählen und sich alle duzen, weil sie sich durch den
gemeinsamen Weg verbunden fühlen.
Ich
würde das gerne öfter erleben, dass Menschen aus verschiedenen Ländern sich
trotz verschiedener Sprachen verstehen, weil man einander ohne Angst und
Vorurteile begegnet.
Ja,
eigentlich möchte ich immer so leben.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen