Novéant-sur-Moselle.
24.2.2011. Am Morgen bin ich wie immer ziemlich früh
wach, und als dann um 5.20 Uhr eine SMS von Helmut kommt, finde ich, dass es
für mich Zeit zum Aufstehen ist. Ich suche meinen Krempel zusammen und gegen
sieben Uhr gehe ich zum Frühstück nach unten. Der Frühstücksraum der französischen
Jugendherberge ist etwas ungemütlicher und die Auswahl nicht so groß wie in
Trier, aber es gibt guten französischen Kaffee, Brötchen und Nutella und
Joghurt. Ich bin ja eher nicht der große Frühstücker, was sich im Laufe der
Pilgerreise allerdings noch sehr verändern wird. Jetzt bin ich erst mal dabei
zu lernen, schon am Morgen Energie-Kalorien zu mir zu nehmen. Mit den Pausen
zwischendurch ist es doch, ob der winterlichen Temperaturen und Witterung, eher
rar.
Da ich die
Stadt schon gestern Nachmittag besichtigt habe, mache ich mich gleich auf den
Weg aus Metz hinaus. Als ich frühmorgens aus dem Fenster geschaut hatte,
schneite es. Inzwischen ist das Ganze in Regen übergegangen. Aber zum Glück
eher ein leichter Nieselregen und so beschließe ich, dass ich meine Regenkleidung
nicht herauszuholen brauche. Obwohl ich prinzipiell Kopfbedeckungen jeglicher
Art verabscheue, habe ich einen Hut im olivgrünen Safarilook mitgenommen. Ein
Tipp aus einem der Pilgerführer. Und nun bestätigt sich die Aussage des Autors.
Als ich diesen nämlich etwas später aufsetze, stelle ich fest, das ist wirklich
besser als die Kapuze, da ich den Weg vor mir noch gut sehen kann und nicht mit
vornübergebeugtem Kopf laufen muss.
Der Weg führt mich
entlang der Mosel beziehungsweise des Moselkanals. Sehr malerisch, selbst im
Februar. Allerdings glaube ich, dass der Autor meines Wanderführers hier im
Sommer unterwegs war, und daher stimmt an einer Stelle die Beschreibung nicht
ganz überein mit dem, was ich vorfinde. Die Anlegestelle der Hausboote übersehe
ich glatt, da um diese Jahreszeit einfach keine Hausboote da sind. Die Folge
ist, dass ich mich verlaufe und einen Umweg von über einem Kilometer mache. Ich
persönlich bin der Meinung, dass es keine Zufälle gibt. Und hier auf der
Wanderung bekomme ich es heute mal wieder bestätigt. Durch den Umweg finde ich
einen trockenen Platz unter ein paar Bäumen, um eine kurze Pause zu machen.
Weiter und weiter, mal
links, mal rechts entlang des Moselkanals. Ich sehe ziemlich viele Jogger, die
alle sehr freundlich grüßen. Wenn man bei solch einem feuchten Wetter selbst
hier draußen ist, wundert man sich nicht über einen Wanderer, denke ich. Es
geht mir gut und noch besser, als es später sogar für eine Weile zu nieseln
aufhört. Der Weg ist immer noch ganz okay. Nass, aber nicht allzu matschig.
Leider soll sich das aber bald ändern.
Ich folge jetzt dem
ausgeschilderten Wanderweg Metz-Nancy und die Gegend wird definitiv einsamer.
Vor Ancy-sur-Moselle muss ich an einem Schrottplatz vorbei. Der
Maschendrahtzaun sieht alt und rostig aus, und als ich plötzlich Hundegebell
höre, wird mir ein wenig mulmig. Ich gehe langsam weiter und schon sehe ich
mehrere Riesenhunde einer undefinierbaren Rasse auf mich zulaufen. Bellend
springen sie am Zaun hoch. Mein Herz schlägt ein paar Takte schneller, denn der
wackelt bedenklich. Ich hoffe einfach mal, er hält. Mittendrin eine schrottig
aussehende Blechhütte. Hinter einem milchigen Fenster sehe ich ein Gesicht, ein
ziemlich komisch aussehender Mann schaut heraus. Aber irgendwie ist das Ganze
so klischeehaft, es ist genauso, wie man sich solch einen Platz vorstellt, dass
ich, anstatt Angst zu haben, fast lachen muss. Erst recht, als ich dann etwa
500 Meter weiter an einem Zelt vorbeikomme, das aussieht wie ein kleines
Zirkuszelt. Und jemand scheint darin zu wohnen, denn ein paar Ziegen stehen
angeleint daneben und Fahrräder lehnen an einem rostigen Auto. Aber ich gebe
zu, dann ist es mir doch ein wenig unheimlich und so gehe ich schnell weiter
und bin froh, als eine Ortschaft in Sicht kommt. Hier finde ich ein
Bushaltestellenhäuschen, wo ich im Trockenen eine Pause machen kann. Zehn
Minuten sitzen, einen Müsliriegel und einen Apfel essen. Viel länger kann ich
die Pause allerdings nicht ausdehnen, da es kalt wird.
Leider muss ich jetzt ein
Stück an der Straße entlang und ich bin froh, dass es aufgehört hat zu regnen.
So bleibt mir zumindest ein Teil des Spritzwassers erspart. Auch kann ich den
Müllsack, den ich morgens als Regenschutz über den Rucksack gezogen habe,
wieder abnehmen. Sieht doch ein wenig zivilisierter aus. Und nicht nur das, so
erkennt man mich auch als Pilger wegen der Muschel, die außen dranhängt, und
hält mich nicht für einen vermeintlichen Vagabunden. Dies hilft mir dann auch
gleich im nächsten Ort, Dornot. In diesem biege ich endlich von der D6 ab und
schnaufe einen Berg zur Ortsmitte hinauf. Laut meinem schlauen Büchlein soll
irgendwo an der Kirche der Weg weitergehen. Bei ebendieser finde ich eine
interessante geschichtliche Inschrift: Die Infanterie der 3. US-Armee
unter General George S. Patton setzte im September 1944 bei Dornot mit Booten
über die Mosel und bildete einen Brückenkopf am Ostufer, der wegen
flankierenden Artilleriefeuers der Feste Driant nicht gehalten werden konnte.
Die amerikanische Flankensicherung hatte versäumt, das leerstehende Fort Driant
bei Ars-sur-Moselle zu besetzen. Deutsche Truppen waren daraufhin in Fort
Driant eingezogen und konnten gegen den Brückenkopf wirken. In der Folge
verzögerte sich Patton's Einnahme von Metz bis zum 13. Dezember, und der
Zeitplan der deutschen Ardennenoffensive konnte eingehalten werden.
Ich sinniere über die
Unsinnigkeit des Kriegführens. Ganz in Gedanken versunken laufe ich dann
beinahe in die falsche Richtung. Doch ein alter Mann in ausgebeulten Hosen und
Stickjacke kommt aus seinem Haus und sagt, er hat die Muschel an meinem
Rucksack gesehen und der Jakobsweg geht dort entlang. Ich staune wieder einmal über die Freundlichkeit, die
mir von wildfremden Menschen entgegengebracht wird. Nett.
Der Weg ist das allerdings
nicht. Ein Gras-Dreck-Weg und es fängt wieder an zu regnen. Matsch und
fließende Bächlein beschreiben wohl am ehesten die Lage. Es ist ziemlich
schwierig zu laufen und obendrein werde ich immer nasser. Doch ich überlege, es
ist sinnlos jetzt anzuhalten, um mein Regenzeug anzuziehen. Ich würde dann
höchstens von innen mehr dampfen.
Nach etwa drei
Kilometern, die mir wie eine Ewigkeit scheinen, wird der Weg dann endlich
besser und Novéant-sur-Moselle kommt in Sicht. Mein heutiges Etappenziel. Ich
seufze erleichtert auf und will nur noch ins Trockene. Auf einem Parkplatz nahe
der Kirche sehe ich ein Taxi stehen und denke mir, der Fahrer kennt bestimmt
die Straßen hier. So klopfe ich an die Scheibe und frage ihn nach der Rue Foch.
Obwohl ich ihn bei seiner Pause gestört habe, er kaut gerade genüsslich auf
einem mit Wurst belegten Baguette, antwortet er mir. Leider kennt er aber die
gesuchte Straße nicht. Er scheint nicht von hier zu sein, doch der modernen
Technik sei Dank, er hat ein Navi. Allerdings scheint er das Gerät noch nicht
allzu lange zu besitzen, denn er tut sich sichtlich schwer mit der Bedienung.
Zusammen finden wir zumindest mal die Richtung. Es regnet immer noch, so
verabschiede ich mich schnell und laufe die angegebene Straße entlang. An der
finde ich dann eine Frau, die an einem Zebrastreifen steht und offensichtlich
eine Art Schülerlotse ist. Eine gute Chance, dass sie einheimisch ist, so frage
ich noch mal nach der Rue Foch. Freundlich zeigt sie auf die vor mir liegende
Hauptstraße. Nun muss ich nur noch die Hausnummer finden. Ich hoffe einfach
mal, dass die Madame von der Chambre
d’hôtes Les Châtaigniers zu Hause ist. Ich habe gestern Abend mit
ihr telefoniert und gesagt, dass ich wohl gegen 16 Uhr ankomme. Allerdings bin
ich nun schneller gelaufen als erwartet und wegen des Regens habe ich viel
weniger Pausen gemacht. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, es ist gerade mal kurz
nach zwei.
Ich klingle trotzdem und
– halleluja – sie ist da und lässt mich ein. Im ersten Raum, eine Art Eingang zum
Weinkeller, stelle ich erst mal den Rucksack ab und ziehe die nasse Jacke und
die triefenden Schuhe aus. Ich bekomme ein Paar Filzpantoffeln verpasst. Dann
steigen wir in den zweiten Stock und sie zeigt mir Bad und WC, alles sehr
hübsch und modern. Und dann mein Zimmer. Herrlich. Ich komme mir vor, als würde
ich einen Palast betreten. Elisabeth, die Hausherrin, hat alles sehr liebevoll
eingerichtet mit viel Sinn fürs Detail. Und es steht sogar ein Fernseher drin.
Das Ganze zum Vorsaisonpreis von unter 30 Euro mit Frühstück.
Ich sehe wohl so aus, als
könne ich einen brauchen, denn sie fragt gleich, ob ich einen Tee möchte. Ich
möchte sehr gerne. Also bringe ich meine Sachen ins Zimmer. Und weil mein
Rucksack feucht ist, lege ich eine Mülltüte drunter, damit es keine Flecken auf
dem Holzboden gibt. Ich denke an das „Broken-Window-Syndrom“: Wenn etwas schon
kaputt ist, schert sich keiner um Wasserflecken, doch an einem Ort wie diesem
überlegt man morgens ernsthaft das Bett zu machen!
Als ich ins Esszimmer, das
in der ersten Etage liegt, komme, steht dort schon eine dampfende Tasse mit Pfefferminztee,
den ich in aller Ruhe genieße. Ich bin froh im Trockenen zu sein. Nebenbei
etwas Smalltalk mit der Gastgeberin Elisabeth. Eine typische Französin, denke
ich. Sie ist schlank, hat ein hübsches Gesicht. Die langen, hellbraunen,
lockigen Haare werden von einem bunten Haarband zusammengehalten. Und obwohl
sie eine ausgewaschene Jeans und einen schlabberigen Pullover trägt, sieht sie
irgendwie elegant aus. Elisabeth erzählt, dass sie hier mit ihren zwei Kindern
und ihrem Mann lebe. Das Haus hätte sie von ihren Eltern geerbt. Es ist schon
ziemlich alt und sehr groß. Alles mussten sie renovieren und hatten dann
beschlossen ein paar Gästezimmer einzurichten. Sie hat in den letzten Jahren
schon ein paar Pilger beherbergt, aus aller Herren Länder. In diesem Moment
finde ich es irgendwie beruhigend, es sozusagen live erzählt zu bekommen, dass
auch andere schon diesen Weg gegangen sind.
Später laufe ich dann
noch mal ins Dorf in den einzigen Laden, der preismäßig das absolute Gegenteil
von meinem Schnäppchenkauf in Metz ist. Mit anderen Worten sauteuer. Da das
Wetter überhaupt nicht dazu einlädt, sich draußen mehr als nötig aufzuhalten,
ja, eher depressiv macht, gehe ich direkt wieder zu meiner Pension. Sich dort
heimelig zu fühlen fällt wirklich nicht schwer. Und während ich mein Abendessen
verspeise, heute Baguette, Brie und Zucchini, schaue ich mir „Der Alte“ auf
Französisch im Fernsehen an. Dann schreibe ich noch ein bisschen Tagebuch.
Irgendwie denke ich so, dass meine wohl etwas naiv-romantische Vorstellung
eines Spaziergangs nach Santiago sich so nicht bewahrheitet. Mich überkommt ein
Gefühl von Alleinsein und Aufgeben. Ich würde mich gerne hier in diesem
hübschen Zimmer vergraben. Angst? Nein, das nicht, aber ich fühle mich einfach
nicht wirklich wohl. Ich frage mich ernsthaft, wie ich es weiter beziehungsweise
bis nach Spanien schaffen soll. Aber es geht wohl nur nach der alten AA-Methode
(Alcoholics Anonymous/ Anonyme Alkoholiker): Take it one day at a time!
(aus dem Buch "Manchmal muss man einfach weiterlaufen" von Wiebke B. Beyer)
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