V(Erklärung) ...



You are never given a dream without also being given the power to make it true. You may have to work for it, however. (Richard Bach)

Heute ist es auf den Tag genau 5 Jahre her, dass ich in Santiago in Spanien angekommen bin (okay eigentlich war das gestern, aber da war Clydes Geburtstag wichtiger). Jedenfalls scheint es eine Ewigkeit her und doch irgendwie als war es erst gestern. Der Weg ist in mir lebendig – in ganz verschiedener Form. Als Erinnerung an das Erlebte und als Vorfreude auf das nächste Mal. Als die Erfahrungen, die ich machen durfte und als die Herausforderung die vor mir liegen. Als Bild und Text, als Gespräch und Versprechen.

Es ist viel passiert in dieser Zeit. Um mich herum und mit mir. Und Vieles ist noch offen und unabgeschlossen, was auf dem Weg begann – und sei es nur als Gedanke oder Gefühl.

Mir wird bewusst, es gab nur wenige Tage in dieser Zeit, an denen ich nicht an meine Pilgerreise dachte. War es entweder weil ich eine Post für meine FB-Seite geschrieben habe, oder weil ich gerade dabei bin, die englische Version des Buches fertigzustellen oder weil ich mal wieder ein Gefühl nach „Weg oder weg“ hatte. War es weil ich ein wenig in den ‚Jakobsweg-Gruppen‘ gestöbert habe oder weil mein Bildschirmschoner einsetzte, der mit der Fotodatei ‚Jakobsweg“ verknüpft ist. Manchmal fragt mich auch jemand nach meiner Wanderung (erstaunlich, dass nicht nur ich mich nach so langer Zeit erinnere) und ein paarmal habe ich Filme gesehen, die entweder direkt oder indirekt mit Pilger oder dem Jakobsweg oder einfach Unterwegssein zu tun hatten.
Nein, ich bin kein Mensch der in der Vergangenheit lebt,  aber eine lebendige Erinnerung zu schätzen weiß. Ich merke, ich lasse mich gerne verführen, von der Sehnsucht, die diese Dinge mit sich bringen.

Doch dann wiederum, wenn ich so meine Aufschriebe lese (und natürlich auch die von anderen Pilgern verfassten Berichte  und Blogs) und dort von Blasen und Fußweh, Erkältung und harten schmutzigen Betten, schlechtem Essen und unangenehmen Zeitgenossen die Rede ist, frage ich mich ernsthaft: sehe ich meine Pilgerreise im Nachhinein in einem zu guten Licht?  Verkläre ich es, durch die rosa Brille betrachtet?

Irgendwie sind all die Momente verblasst, als ich aufgeben wollte (die erste Krise hatte ich schon am zweiten Tag und ich war noch nicht mal über die deutsche Grenze). Die Schmerzen in Beinen und Schultern, aber auch die seelischen Unebenheiten die eine Pilgerreise mit sich bringt.

Ich glaube manchmal, dass die Erinnerung von uns Menschen oft ähnlich funktioniert wie eine Diashow: Es bleiben vor allem die schönen Bilder und alle negativen Erfahrungen verschwinden in der Vergessenheit. Ganz besonders dann, wenn die Gegenwart vielleicht nicht so rosig ist, steigen in unserer Erinnerung die wunderbaren Blüten der Vergangenheit hoch.

Habe ich also all die weniger schönen Dinge verdrängt? Vergessen? - Nein, das nicht. Aber dadurch, dass ich immer wieder weiter gelaufen bin – bis ans Ziel; dass ich gewachsen bin an den Herausforderungen; dass ich ein Teil der Gemeinschaft sein durfte und darf, die Begeisterung für das Pilgern auf- und mitbringen ... dass lässt sie vergessen, die kleinen und großen Krisen. Oder zumindest erscheinen sie in einem milderen Licht...

Das macht mich misstrauisch. Offenbar kann und sollte ich meinen Erinnerungen nicht ohne weiteres über den Weg trauen. Anscheinend muss man jeden Früher-war-alles-besser-Gedanken sehr kritisch unter die Lupe nehmen. Oder noch besser: Gar nicht so sehr an der ach so schönen Vergangenheit hängen, sondern viel mehr in der Gegenwart leben.

Am allerbesten wäre allerdings, daran zu denken, dass das, was ich heute erlebe, die glorreiche Vergangenheit von morgen ist. Denn es ist doch viel klüger, wenn ich das Schöne jetzt schon sehe und dankbar dafür bin, als morgen traurig darüber zu sein, dass ich es nicht mehr habe.

Ich bemerke, dass ich viele Dinge anders angehe, anders sehe. Immer wieder gibt es Situationen im Leben, die denen auf dem Jakobsweg ähneln und ich kann die „Lösung“ fast direkt übertragen. Ich bin gewachsen. Es ist eben nicht nur einfach von einem Ort zum anderen gehen. Nicht nur Kilometer runterreißen und wer ist als erstes da. Es ist ein Meditieren im Laufen. Ein Erleben mit allen Sinnen. Pilgern wo schon tausende andere pilgerten, seit Jahrhunderten. Teil von etwas sein, dass viel grösser ist ... Ich jedenfalls habe noch von keinem Pilger gelesen oder gehört, den der Weg nicht berührte in der einen oder anderen Weise. .... (okay, es mag Welche geben, die wandern einfach nur und vergessen dann ...). Doch das ist es wohl auch, was den Pilger von dem Wanderer unterscheidet.

Für mich steht fest, ich bin noch lange nicht fertig mit ihm, dem Weg. Ich werde wieder pilgern. Werde die damit verbundenen Anstrengungen gerne in Kauf nehmen und wieder ein Stück wachsen.  Ich weiß auch schon wo ich pilgern möchte und wie ...  nur dass Wann, das steht noch in den Sternen.  Doch da vertraue ich einfach dem Pilger in mir. Denn so wie meine erste Pilgerreise genau zum richtigen Zeitpunkt stattfand, werde ich wissen, wann es wieder soweit ist ... Und bis dahin, bleibt mir ja jeden Tag mein kleines Stück Jakobsweg.

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