Wer auf den alten Pilgerwegen nach Santiago wandert, braucht
weder Karte noch Kompass. Vor allem in Spanien ist es sehr einfach, die Route
zu finden. Überall weisen gelbe Pfeile den Weg. Auf Felsen, Hauswänden, an
Baumstämmen, auf Straßen, an Strommasten und den Stangen der Verkehrsschilder.
An unübersichtlichen Abzweigungen weisen ganze Trauben von Pfeilen die
Richtung. Geht man 10 min ohne einen Pfeil zu sehen, dann fragt man sich schon:
Habe ich mich verlaufen? -
Aber verlaufen ist fast unmöglich. - Bald kommt der
nächste Pfeil ins Blickfeld und erleichtert danke ich dem, der ihn da hin
gemalt hat. Ab und zu sieht man einen Einheimischen mit Farbtopf und Pinsel.
Der erklärt einem dann: "Ich muss hier Pfeile malen. Gestern sind ein paar
Pilger links abgebogen. Dabei muss man doch geradeaus gehen."
Manchmal sieht man auch ein gelbes X. Darunter steht
"no", nein. Hier geht es also nicht weiter. So wird vor beliebten
Irrwegen gewarnt.
Ja, auf die Pfeile ist Verlass. Sie vermitteln sogar so
etwas wie Geborgenheit. Es ist einfach ein gutes Gefühl, dass jemand für mich
sorgt. Seit Jahren bemühen sich viele Menschen darum, dass die Pilger den Weg
finden. Es ist nicht immer der schönste Weg. Oft geht er an stark befahrenen
Straßen entlang. Aber es ist der Weg, der sicher nach Santiago führt und zur
nächsten Herberge.
Die Einheimischen, die sich hier auskennen, brauchen die
Pfeile nicht. Vielleicht kennen sie sogar noch interessantere und schattigere
Wege, die zum Ziel führen. Aber wir Fremden, wir sind auf die Pfeile
angewiesen.
Als ich auf meinem Camino den gelben Pfeilen nachgegangen
bin, habe ich mich an meine Kindheit erinnert. Da war ich noch eine Fremde im
Leben. Und meine Eltern haben mir ihre gelben Pfeile gemalt. Sie überließen
z.B. meine Essgewohnheiten nicht nur meinem eigenen Geschmack. Sie gaben meiner
Zeit einen sinnvollen Rhythmus und mir klare Verhaltensregeln.
Und über manchem
Weg, den ich gerne gegangen wäre, stand ein Nein (ich gebe zu, ich habe dieses
auch oft genug ignoriert – nicht immer zu meinem Vorteil). Nun, meine Eltern
gaben mir eine Ordnung, die ihren Zielen, ihrem Wissen und ihrer Erfahrung
entsprach.
Später habe ich mir andere Ziele gesetzt und neue Wege
ausprobiert. Ich habe schönere gefunden. Aber auch ungangbare. - Inzwischen
kenne ich meine kleine Lebenslandschaft. Wenn ich einmal weiterziehe und mich
nicht mehr auskenne, frage ich mich durch. Auch mein innerer Kompass hilft mir
weiter. Und ab und zu taucht doch tatsächlich wieder so ein alter gelber Pfeil
auf. Den mir meine Eltern einmal gemalt haben.
Und manchmal bin ich selbst mit Farbe und Pinsel unterwegs
und ich freue mich, wenn ich für andere, die noch am Anfang ihrer Lebensreise
stehen (oder an einer Kreuzung, die unübersichtlich ist), gelbe Pfeile malen
darf…
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