Wie damals im Mittelalter, ist das Pilgern zum Grab des
Apostels Jakobus zu einer großen Bewegung geworden. Ja, es ist modern und vielleicht sogar ein
bisschen ‚in‘ dies einmal im Leben zu tun. Gerade im hektischen, stressigen,
unbefriedigendem Alltag, sehnen sich viele Menschen danach für eine gewisse
Zeit aus eben diesem auszusteigen. Die Herausforderung an Geist und Körper, die
versprochene Stille und Einkehr, für Viele bietet es sich da an, den Camino,
den Weg ins spanische Santiago de Compostela zu gehen.
Neben der Natur, machen die Menschen auf dem Weg ihn so
besonders. Und die Unterschiede könnten nicht größer sein:
Es gibt welche, die gehen nur die letzten 100 km ab Sarria.
Andere wieder den Camino Frances oder Camino del Norte von den Pyrenäen bis
Santiago – oder weiter nach Finisterre. Ein paar brechen auch von zu Hause auf,
wie die Pilger des Mittelalters.
Wie auch immer, jede Pilgerin, jeder Pilger muss ihren bzw.
seinen eigenen Weg gehen. Mit ihrem Rucksack, ihren Schmerzen, ihrer
Motivation. Im eigenen Tempo und mit den Entscheidungen, die Tag für Tag zu
treffen sind. Die einen haben viel Zeit, andere weniger und wollen doch auch in
Santiago ankommen.
Es gibt welche, die werden in der spanischen Sonne krank,
andere laufen bei Hitze zu ihrer Hochform auf. Die einen sind durchtrainiert,
andere kommen bei der kleinsten Steigung außer Puste. Die einen interessieren
sich für Kirchen und Denkmäler, dem anderen geht es um die Bewegung in freier
Natur.
Und auch wenn alle den gleichen Weg gehen, den gleichen
Zeichen folgen, so muss doch jeder seinen eigenen Weg finden.
Harmonie sollte man meinen, doch fast wie im richtigen
Leben, gibt es auch hier die weniger harmonischen Gespräche. Die, die zum
Beispiel damit beginnen: Wie kann man nur ... . Wie kann man nur schon morgens
um halb fünf Uhr losgehen. Da sieht man doch noch gar nichts und verpasst die
Hälfte der Strecke. - Wie kann man nur 40 km am Tag rennen. Da geht es doch nur
um sportliche Leistung, wie viel ich geschafft habe. Das Spirituelle bleibt
völlig auf der Strecke. - Wie kann man nur Teilabschnitte mit dem Bus fahren?
Man muss sich ja schon entscheiden, ob man pilgern oder fahren will. Oder: Wie
kann man sich nur so abquälen? Wenn es mir nicht gut geht, dann fahre ich mit
dem Bus. Ich bin doch auch im Urlaub!
Auch wenn ich es versuche, ganz frei von solchen Gedanken
bin ich nicht. Und ich frage mich, was treibt mich dazu, meine eigene Art zu
pilgern, anderen zum Maßstab zu setzen? Antwort: Klar, meine begrenzte Sicht.
Denn, warum soll das, was für mich gut ist, nicht auch für andere gut sein?
Doch dann wird mir klar: Ich weiß ja nicht, was der anderen Schwierigkeiten
macht und was ihr Kraft gibt, was Freude. Ich weiß nicht, was das Ziel ihrer
Pilgerreise ist. Ich stecke nicht in ihrer Haut.
Da finde ich, zum Pilgern passt die indianische Weisheit,
die sagt: "Urteile über keinen Menschen, bevor du nicht einen Mond in
seinen Mokassins gegangen bist."
Nein, ich will nicht die Schuhe tauschen (meine sind gut
eingelaufen). Aber ich kann viel lernen und erfahren vom anderen, wenn ich mal
nachfrage: Warum machst du das so und nicht anders? Unversehens steckt man
tatsächlich in den Mokassins oder besser Wanderschuhen des Gegenübers und lernt
die Welt aus einer anderen Perspektive kennen.
Das kann beim Pilgern geschehen – und wünschenswerterweise
im ganz normalen Leben!
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