Von Regentagen und Seidenunterwäsche …



„Don’t leave life for a rainy day!“ (frei übersetzt: Verschiebe das Leben nicht auf einen Regentag. … oder: Lasse das Leben nicht für einen Regentag übrig.)

Diese Liedtextzeile hörte ich kürzlich irgendwo und sie ist irgendwie hängen geblieben. Kennt ihr das auch? Man hat das Lied sicher schon 20-mal gehört, aber jetzt erst versteht man was die da singen? 
Naja, so war es nicht. Ja, ich habe das Lied schon vorher gehört und gemeint, ich verstehe was die singen. Eben oben erwähnten Satz. Stimmte aber nicht. Weil mich der Satz absolut neugierig gemacht hat, habe ich den Songtext googeln und stellte fest, die singen etwas ganz anderes … hmm …

Aber, woher kam dann plötzlich dieser hübsche Satz? Ich denke ja, es ist so, dass Sätze sich dann an uns dranhängen, wenn die Worte oder besser die Aussage gerade ‚unser‘ Thema ist oder mit irgendwas zu tun hat, mit dem wir uns beschäftigen. Oder sie werden uns geschickt, damit wir uns an etwas erinnern, dass irgendwo im Alltagsgewühl unterzugehen droht.

Jedenfalls lief mir dieser Satz nun den ganzen Tag wie ein kleiner Hund hinterher und irgendwann habe ich aufgehört zu versuchen ihn abzuschütteln. Also gut, setzten wir uns hin und reden darüber. Was willst Du mir sagen? Ich soll meine nächste Radtour gleich machen und nicht vor mir herschieben – z. B. weil ich keine Lust habe oder etwas dazwischen kommt – weil, wenn ich mir dann endlich Zeit nehme, das Fahrrad läuft und alles ‚perfekt‘ scheint  – dann regnet es?

Als ich den kleinen Satz nun grübelnd anschaue, wird mir schnell klar, da steckt ein bisschen mehr dahinter. Ich überlege, ich bin doch echt nicht der Typ, der Dinge auf die lange Bank schiebt, auf ein „irgendwann“. Oder vielleicht doch?

Das erinnert mich an eine Geschichte, die ich mal gehört habe:

»Mein bester Freund öffnete die Kommodenschublade seiner Ehefrau und holte ein in Seidenpapier verpacktes Päckchen heraus. Es ist nicht irgendein Päckchen, sondern ein Päckchen mit Unterwäsche darin. Er warf das Papier weg und betrachtete die Seide und die Spitze. "Dies kaufte ich, als wir zum ersten Mal in New York waren. Das ist jetzt 8 oder 9 Jahre her. Sie trug es nie. Sie wollte es für eine besondere Gelegenheit aufbewahren. Und jetzt, glaube ich, ist der richtige Moment gekommen!"
Er näherte sich dem Bett und legte die Unterwäsche zu den anderen Sachen, die von dem Bestattungsinstitut mitgenommen wurden. Seine Frau war gestorben. Als er sich zu mir umdrehte, sagte er: "Bewahre nichts für einen besonderen Anlass auf! Jeder Tag den du lebst, ist ein besonderer Anlass.“«

Mich hat diese Geschichte damals sehr berührt. Gerade auch, weil kurz vorher ein guter Freund (in meinem Alter) gestorben war. Der Begriff Endlichkeit bekommt da eine viel intensivere Bedeutung.
Es veränderte etwas. Ich änderte etwas.
Ich lese mehr und putze weniger. Ich setze mich auf eine Bank und genieße einfach so die Landschaft. Ich freue mich, mit dem Auto herumzufahren, ohne auf den Staub darauf zu achten. Ich verbringe mehr Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden und weniger Zeit bei der Arbeit. Ich habe begriffen, dass das Leben eine Sammlung von Erfahrungen ist, die es zu schätzen gilt.
Und ich habe mir angewöhnt, nichts mehr für irgendwann aufzuheben. Ich benutze das „gute Geschirr“ jeden Tag. Wenn mir danach ist, trage ich mein nagelneues Outfit, um in den Supermarkt zu gehen. Auch meine Lieblingsdüfte trage ich dann auf, wenn ich Lust dazu habe. Ich bemühe mich, Sätze bzw. Wörter, wie z.B. "Eines Tages ..." oder "Irgendwann ..." oder „Wenn ich genug xy habe …“ aus meinem Vokabular zu verbannen. Wenn es sich lohnt, will ich die Dinge hier und jetzt sehen, hören und machen.

Ich bin mir nicht ganz sicher, was die Frau in dieser Geschichte gemacht hätte, wenn sie gewusst hätte, dass sie morgen nicht mehr sein wird (ein Morgen, das wir oft zu leicht nehmen). Ich glaube, dass sie noch ihre Familie und enge Freunde angerufen hätte. Vielleicht hätte sie auch ein paar alte Freunde angerufen, um sich zu versöhnen oder sich für alte Streitigkeiten zu entschuldigen. Der Gedanke, dass sie vielleicht noch ausgegangen wäre (im roten Kleid mit Seidenunterwäsche drunter) gefällt mir ...

Bei mir sind es diese kleinen unerledigten Dinge, die mich stören würden, wenn ich wüsste, dass meine Tage gezählt sind. Grämen würde ich mich auch, gewisse Freunde nicht mehr gesehen zu haben, mit denen ich mich "irgendwann" in Verbindung hätte setzen wollen. Genervt, nicht die Emails geschrieben zu haben, die ich "irgendwann" schreiben wollte. Schuldgefühle vielleicht, Nahestehenden nicht oft genug gesagt zu haben, wie sehr ich sie mag.

Ja, nach der Geschichte und dem Tod des Freundes hatte ich etwas verändert. Doch ich weiß, es gelingt mir nicht immer. Ich bemühe mich heute, nichts mehr zu verpassen, verschieben und bewahren, was Freude und Lächeln in mein / unser Leben bringen könnte. Ich sage mir, dass jeder Tag etwas Besonderes ist ... jeder Tag, jede Stunde sowie jede Minute ist etwas Besonderes.


Ich denke, letztlich ist der Tenor des kleinen (großen) Satzes der, dass ich mich einfach daran erinnern soll, mein Leben nicht vor mir herzuschieben. Und das nicht nur im Kleinen, dem alltäglichen Leben. Da kriege ich es schon ganz gut hin, den Moment zu nutzen … Doch er gilt auch für die großen Dingen, die da noch so auf meiner ‚Bucketlist‘ stehen. Denn da fällt mir schon des Öfteren mal eine Ausrede ein, warum dies oder jenes so gerade nicht möglich ist …

Ich werde ihn also noch ein bisschen pflegen und füttern, diesen Satz, der sich da so freundlich an mich drangehängt hat „Don’t leave life for a rainy day.“

In diesem Sinne: Carpe Diem! (©wiebkebeyer)



As always
Thank you for your time
Wiebke

PS: der Song ist übrigens „Renegades“ von Ambassadors … und vom Thema her vielleicht doch nicht so viel daneben …

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