Mein Rucksack ist nach dem gestrigen „Einkaufswahnsinn“
etwas schwer und ich nehme mir mal wieder vor, das nächste Mal nicht hungrig in
den Laden zu gehen. Aber für heute trage ich ihn tapfer. Dennoch bin ich am
Anfang ein bisschen langsam unterwegs. Erst als ich anfange mir ein Lied mit
erfundener Melodie zu dichten, finde ich „The rhythm of the walk“ ...
I’m a pilgrim on the way to Santiago
I started with a troubled mind
I worried ‘bout my body, soul and cargo
But I’m still walking on
Ref.: Got to get the rhythm of the walk (3x)
tock, tock, tock, walk, walk, walk
If I’m lucky the sun is shining
and it’s fun to walk
everybody seems to be smiling
and I can hear the angels talk
Ref.: Got to get the rhythm of the Lord …
Some days raindrops are falling
But I’m still going on
‘cause I can hear Santiago calling
and I can’t resist the song
Ref.: … walk …
The road isn’t always easy
through forest, city streets and fields
paved, stones, sometimes even greasy
up and down the hills
Ref.: … walk …
at times by myself and hide
but I’m never alone out there
‘cause I got my Guardian Angel by my side
Ref.: … Lord …
I’ve been walking for many days now
my heart is joyful and free
the sun is shining on me somehow
and the lord is watching over me
Ref.: … Lord …
And as my prayers grow stronger
I can feel Compostela is near
Soon I won’t have to walk any longer
and to me the message is clear
… and now I lost all my fear!
Ref.: … Lord …
Der Weg führt mich durch eine schöne Landschaft. Weinbau
bestimmt große Teile des Bildes. Mir fällt vor allem auf, wie viel Frühling, ja
fast schon Frühsommer, hier herrscht. Die Weinstöcke haben ein üppiges
Blattwerk und ich sehe sogar einen Kirschbaum, der schon murmelgroße grüne
Früchte trägt. Und auch wenn ich immer wieder andere Pilger sehe, so laufe ich
doch ganz für mich meinen Weg.
Vor dem nächstgrößeren Ort mache ich unter einem Baum auf
einem Mäuerchen Mittagspause. Käse und Brot, die Tomate, die Emile mir
geschenkt hat, einen Riegel Schokolade und einen halben Liter spanische
Limonade. Das stärkt mich und erleichterte den Rucksack. Allerdings will all
die Flüssigkeit dann auch wieder heraus und natürlich gerade, als ich durch das
Städtchen laufe. Ziemlich ungünstiger Zeitpunkt. Mir bleibt nichts übrig als
weiterzulaufen. Die Rettung kommt in Form des Schildes eines Souvenirshops, auf
dem steht, dass Pilger dort das WC umsonst benutzen dürfen. So steuere ich
diesen an. Beim Näherkommen sehe ich, dass ebendieser Shop zu einer Wein-Kelter
gehört, und ich frage mich, ob ich das Schild richtig interpretiert habe.
Inzwischen muss ich aber ziemlich dringend und es gibt weit und breit auch
keine andere Möglichkeit, so frage ich eine Spanierin, die gerade dabei ist den
Boden zu wischen. Sie sagt, ja, ich müsse hier durch die Lagerhalle (mit großen
Gärkesseln), dann durch die zweite (in dieser stehen Kisten voll mit
Weinflaschen) und dann da ganz hinten die Treppe hoch und rechts. Okay. Ich
gebe zu, ich fühle mich nicht wirklich wohl hier so mitten durch die Produktion
zu laufen, ganz davon abgesehen, dass ich den Geruch nicht mag. Aber dafür ist
die Toilette sehr sauber und ich bin dankbar. Der eine oder andere Pilger wäre
vielleicht noch für eine Weinprobe geblieben, aber das ist nun gar nichts für
mich, so bedanke ich mich und ziehe meines Weges.
Nach dem Ort Villafranca del Bierzo verpasse ich irgendwie
die Abzweigung, um den Weg durch den Wald zu nehmen, und finde mich an der
Straße laufend wieder. Das ist weniger schön. Die Landstraße schlängelt sich
unten in einem engen Tal, über das weit oben immer wieder die Autobahn
entlangführt. Zum Glück hat man zum Schutz der Pilger eine Betonmauer gleich
neben dem Fußweg hochgezogen. Auch andere Pilger laufen diese Strecke. Unter
anderem sehe ich zwei Männer, die ich dann überhole, die mir sehr unheimlich
sind. Zwar mit Jakobsmuscheln auf den Rucksäcken, aber ziemlich abgerissen und
dreckig und mit stierem Blick. Hoffentlich werden sie woanders zum Übernachten
hingehen als in Trabadelo.
Ich lasse mir trotzdem die Stimmung nicht verderben und
laufe, mein Liedchen singend, weiter und komme an. Trabadelo ist ein Miniort
und die zwei Typen wandern zum Glück weiter. Ich steuere die Municipal-Herberge
an, die sich als klein, aber fein entpuppt und nicht so überlaufen ist.
Wie in den letzten Tage dusche ich erst mal, dann Wäsche
waschen und etwas essen. Vor allem hier in der Pampa nimmt es wohl keiner mit
der Pünktlichkeit so genau, denn als ich am örtlichen Tante-Emma-Laden
vorbeilaufe, hat der entgegen einem Schild an der Tür geschlossen. Ich spaziere
einfach noch ein Stück weiter die Straße entlang. Ich brauche etwas zu trinken
und möchte ungern das Wasser aus dem Wasserhahn nehmen. Nach circa 200 Metern
komme ich zu einer Tankstelle. Die habe ich schon von Weitem gesehen. Und durch
die Nähe einer Autobahnausfahrt ist sie neu, groß und ziemlich gut sortiert.
Später schaue ich noch kurz beim Mini-Supermarkt, der
inzwischen offen ist, rein und sehe, dass dieser typisch für die Läden in den
kleinen Orten entlang des Jakobsweges ist. Ich mag diese Läden nicht sonderlich,
da die Waren oft überteuert sind, vor allem für Pilger. Es gibt keine
Preisauszeichnung, die Preise werden, so mein Gefühl, eher gefühlsmäßig je nach
Kundschaft gemacht. Oft sind die Läden auch schmuddelig und die Verfallsdaten
der Lebensmittel weit überschritten. Ich bin froh, dass ich noch Vorräte aus
Ponferrada habe.
Im Erdgeschoss der Herberge gibt es einen großen
Küchen-Aufenthaltsraum, im ersten Stockwerk befinden sich die „Schlafzimmer“
und Duschen. In meinem Zimmer (Sechs-Bett) ist eine australische Frau mit ihrer
Tochter. Diese schätze ich auf circa 14 Jahre, obwohl sie geistig eher auf dem
Stand einer Siebenjährigen ist. Die Frau erzählt mir, dass es ihr wichtig sei,
den Jakobsweg mit ihrer geistig behinderten Tochter zusammen zu laufen. Sie gehen
nur kurze Etappen, aber es macht Spaß. Sie hofft in Santiago anzukommen, falls
nicht zu Fuß, dann eben mit dem Bus. Ich bewundere sie, finde sie schlicht
unheimlich mutig!
Was „leiste“ ich dagegen schon wirklich? Prinzipiell
körperlich fit, bis auf meinen rechten Fuß, an dem sich an der alten,
verhärteten Stelle wieder eine Blase gebildet hat. Nur für mich allein
verantwortlich, muss mir um nichts sonst Gedanken machen, unbekümmert. In
diesem Moment komme ich mir fast schlecht vor und kann nicht sehen, dass auch
ich schon etwas geleistet habe. Auf dem Weg und in meinem Leben.
Den Rest des Abends sitze ich auf der Terrasse in der Sonne,
lese und beobachte die anderen Gäste. Unter anderem eine junge Deutsche. Bei
der bin ich mir nicht so wirklich sicher, was sie hier auf dem Jakobsweg tut.
Sie ist wohl mit ein paar Freundinnen unterwegs gewesen, mit denen sie sich
beim gestrigen Barbesuch zerstritten hat. Um ihnen zu „entkommen“, ist sie von
Ponferrada bis hier mit dem Bus gefahren. Nun trinkt sie erst mal ein paar
Bier, später wechselt sie zu Rotwein und raucht wie ein Schlot. Auch das mit
dem Wäscheaufhängen hat sie nicht so drauf und ich bezweifele, dass diese dann
am Morgen auch trocken sein wird. Doch meinen Tipp will sie nicht annehmen.
Immer wieder interessant, wie unterschiedlich die Menschen
doch sind, die auf dem Jakobsweg unterwegs sind. Das alleine ist es schon wert
ihn zu erleben. (© aus „Manchmal muss man einfach weiterlaufen“ von Wiebke B.
Beyer)
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